Interview mit Paul Lieske und Betina Kaske von Deloitte „Inklusion in der Beratungsbranche muss vor allem in den Köpfen stattfinden“

Paul Lieske arbeitet als Manager bei Deloitte. Er hat eine sogenannte Schallleitungsschwerhörigkeit bedingt durch das Treacher-Collins-Syndrom, ähnlich dem Protagonisten aus dem bekannten Film und Buch „Wunder". CONSULTING.de sprach mit ihm und Betina Kaske, die bei Deloitte als Head of Diversity arbeitet, über seinen Werdegang, welche Schwierigkeiten es für Menschen mit Behinderung in der Beratungsbranche gibt und warum Inklusion vor allem in unseren Köpfen stattfinden muss.

Inklusion Interview (Bild: Deloitte)

Diversity, Frauenquote, Inklusion – Wenn Sie die drei Themen nach danach sortieren müssten, wie weit die Consultingbranche bereits darin gekommen ist: Wie wäre Ihre Reihenfolge? 

Betina Kaske: Diversity beschreibt grundsätzlich die Vielfalt von Menschen und drückt sich in ganz unterschiedlichen Aspekten wie Alter, ethnischer Herkunft und Nationalität und Geschlecht aus. Bei Deloitte möchten wir ein Umfeld schaffen, in dem sich alle Kolleg:innen entwickeln und ihr volles Potenzial einbringen können, in dem sie sich respektiert und wertgeschätzt fühlen. Insgesamt sind wir in Sachen Diversity schon gut unterwegs: Beispielsweise sind Mitarbeitende aus 98 Nationen bei uns beschäftigt – das sind fast 15 Prozent der Belegschaft, im Consulting sind es sogar 20 Prozent. Sicherlich gibt es auch hier noch weitere Ansatzpunkte, zum Beispiel mit Blick auf die kulturelle Vielfalt in den Führungsebenen.  

Gleiches Bild beim Thema Geschlechtergerechtigkeit: Über 40 Prozent der Kolleg:innen auf Einstiegslevel sind bereits weiblich, auf Führungsebene sind es dagegen nur rund zehn Prozent. So arbeiten wir weiterhin intensiv daran, mehr Frauen für die Beratungsbranche zu gewinnen und für Führungspositionen zu begeistern.  

Inklusion, also die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung, ist ein Thema, das für uns immer mehr an Bedeutung gewinnt. 

Wie viele Menschen mit Behinderung arbeiten bei Deloitte aktuell? 

Betina Kaske: Etwa ein Prozent der Kolleg:innen haben ihre Schwerbehinderung angegeben. Wir gehen aber davon aus, dass nicht alle Behinderungen erfasst, also bei der Bewerbung und beim Einstieg ins Unternehmen bewusst verschwiegen werden. Gespräche mit behinderten Kolleg:innen zeigen, dass viele von ihnen leider immer noch Angst vor den Vorurteilen anderer haben, etwa dass mit Offenlegen der Behinderung ihnen gleichzeitig Kompetenz abgesprochen werden könnte. 

Wie würde gelebte Inklusion für Sie in der Consultingbranche aussehen? 

Paul Lieske: In einer perfekten Welt spielt eine Behinderung so gut wie keine Rolle. Niemand müsste sich Gedanken darüber machen, ob eine Behinderung offengelegt wird oder nicht.  

Manche Behinderungen erfordern Ausgleichsmaßnahmen, aber da gibt es bestimmt inzwischen Lösungen für fast alles. Die größte Herausforderung sind wir selbst und unsere unbewussten Denkmuster. 

Betina Kaske: Menschen mit Behinderung können ihre Fähigkeiten genauso auf Projekten einbringen wie Menschen ohne Behinderung. Sollten sie dafür technische Hilfen oder besonderes Equipment benötigen, stellen wir das natürlich zur Verfügung. Generell sind all unsere Kolleg:innen sensibilisiert für eine inklusive Zusammenarbeit. Zum Beispiel laden wir zu Workshops ein, in denen wir Unconscious Bias, also unbewusste Denkmuster, sichtbar machen. 

Filmauschnitt Wonder (Bild: picture alliance / Everett Collection | ©Lions Gate/Courtesy Everett Collection)

Paul Lieske hat eine sogenannte Schallleitungsschwerhörigkeit bedingt durch das Treacher-Collins-Syndrom, ähnlich dem Protagonisten aus dem bekannten Film und Buch „Wunder“. CONSULTING.de (Bild: picture alliance / Everett Collection | ©Lions Gate/Courtesy Everett Collection)

Was ist aus Ihrer Sicht die größte Herausforderung bzgl. des Themas Inklusion in der Consultingbranche? 

Paul Lieske: Inklusion muss vor allem in den Köpfen stattfinden.  

Stellen Sie sich vor, die gute Fee der Inklusion kommt bei Ihnen vorbei. Sie haben einen Wunsch frei, um die Inklusion in der Beratungsbranche grundlegend zu verbessern. Was wäre der eine Wunsch? 

Paul Lieske: Das traditionelle Bild des Beratungsberufes ist mit unzähligen Klischees behaftet:  

Junge, gutaussehende Menschen, intelligent und top ausgebildet, arbeiten hart und schaffen es dennoch viel Sport zu treiben, sind dazu im Idealfall gesellschaftlich engagiert.  

Dagegen ein eher negatives Bild von Menschen mit Behinderung: Sie werden als weniger leistungsfähig wahrgenommen, ihnen wird Kompetenz abgesprochen. Beides passt, wenn man diesen Vorurteilen folgt, nicht zusammen. Da dürfen wir aber mutig sein, insbesondere unseren Kunden gegenüber, und hier als Role Models vorangehen.  

Diesen Mut wünsche ich genauso allen Menschen mit Behinderung – egal ob im Consulting oder einer anderen Branche –, dass sie zu ihrer Behinderung stehen, sich trauen sie offenzulegen und bestenfalls selbst zum Role Model werden. 

Welche Aktivitäten macht Deloitte im Bereich Inklusion? 

Betina Kaske: Gemeinsam mit der Schwerbehinderten-Vertretung gestalten wir ein Umfeld, in dem jeder dazu gehört und selbstbestimmt am Arbeitsleben teilnehmen kann. Zudem organisieren sich Mitarbeitende mit Behinderung gemeinsam mit Allies im V/DisAbility Network, um Erfahrungen auszutauschen, Ideen für weitere Aktivitäten im Bereich Inklusion zu entwickeln und konkrete Maßnahmen anzuschieben. Extern sind wir Partner von Team D Paralympics und zeigen so: In dem richtigen Umfeld kann jeder Spitzenleistungen erzielen. 

Herr Lieske, wie verlief der Einstieg damals bei Deloitte für Sie? Welche Besonderheiten gab es für sie, wenn Sie den Prozess rückblickend mit Kollegen vergleichen, die ähnlich lange im Haus sind? 

Paul Lieske: Ich kam bereits während meines Studiums als Praktikant zu Deloitte. Im Anschluss bin ich mit meinen Kolleg:innen in Kontakt geblieben und direkt nach Studienabschluss fest eingestiegen. Besonderheiten im Prozess gab es keine. Ich denke, ich habe damals bereits gelebte Inklusion erfahren, als das meine Behinderung keine relevante Rolle gespielt hat. 

Gibt es so etwas wie ein Netzwerk von Consultants mit Behinderung? Wenn noch nicht, würde es aus Ihrer Sicht Sinn machen, wenn es so etwas gäbe? 

Paul Lieske: Ein consultingweites Netzwerk ist mir nicht bekannt, wäre aber hilfreich, um Erfahrungen und Wünsche von Einzelnen auch auf andere Personen und Organisationen zu übertragen. Die übergreifende Koordination von Einzelinitiativen und ein gemeinsamer umfassenderer Dialog können sicherlich helfen, mehr Visibilität für das Thema zu erreichen. 

Was steht aus Ihrer Wahrnehmung gelebter Inklusion in der Beratung im Weg?  

Pauls Lieske: Nichts. Die Beratung selbst steht für das schnelle Finden und Umsetzen umfassender Lösungsansätze. Genauso sind es Menschen mit Behinderung gewohnt, mit den kleinen Barrieren des Alltags umzugehen und individuelle Lösungen zu finden. Ich glaube, sie bringen große Flexibilität und Anpassungsfähigkeit mit, sind mitunter kreativer und denken stärker „out of the Box“ als andere.  

Das Einzige, was im Wege stehen könnte, steckt in den Köpfen der Menschen, in uns allen. Um diese Hürde in jedem einzelnen zu überwinden sind aber viele kleine Schritte notwendig und ich hoffe mit diesem Interview einen kleinen Beitrag leisten zu können.  

Über Paul Lieske 

Paul Lieske, Deloitte (Bild: Deloitte)
Paul Lieske ist als Manager im Bereich Human Capital Advisory Services bei Deloitte für das Market Organization Transformation tätig, berät vor allem im Rahmen von Technologieimplementierungen sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Seine Expertise liegt in der Begleitung von Mitarbeitenden durch die Transformation mithilfe von Change Management, von Kommunikationsstrategien und von personenzentrierten Lernerfahrungen. Paul Lieske hat eine sogenannte Schallleitungsschwerhörigkeit bedingt durch das Treacher-Collins-Syndrom (vergleichbar wie der Protagonist aus dem bekannten Buch und Film „Wunder“). 

Über Betina Kaske 

Betina Kaske, Deloitte (Bild: Deloitte)
Betina Kaske verantwortet als Head of Diversity, Inclusion & Well-being alle Konzepte und Maßnahmen, die Vielfalt und Gesundheit bei Deloitte fördern und eine inklusive Unternehmenskultur stärken. Dazu gehören unter anderem die Themen Gender Balance und Female Leadership, LGBT+ Inclusion, Mental Health und Arbeitsflexibilisierung. Neben ihrer Expertise rund um Diversity & Inclusion verfügt Betina Kaske über langjährige Erfahrung im HR-Umfeld sowie in der Change-Management-Beratung. 

 

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