Interview mit Dietmar Fink, WGMB "Intellektuelle Vielfalt ist Pflicht"

Dietmar Fink, Professor für Unternehmensberatung, gilt als Kenner der Consultingbranche. Für CONSULTING.de wirft er einen Blick auf die neuesten Entwicklungen am Beratermarkt und verrät, wie sich die Aufgaben der Berater verändern und welche Geschäftsmodelle profitabel bleiben.

Dietmar Fink (Bild: www.martinkittner.de)
Dietmar Fink (Bild: www.martinkittner.de)

CONSULTING.de: Herr Fink, Sie waren früher selbst Consultant. Reizt es Sie angesichts der aktuellen Herausforderungen in der Branche, selbst mal wieder in die Unternehmensberaterrolle zu schlüpfen?

Dietmar Fink: Der Sprung aus der Beratung in die akademische Welt war tatsächlich weit größer, als ich es vorher erwartet hatte. Wehmut kommt aber keine auf. Ich habe ja das große Glück, dass ich vielen der führenden Beratungsfirmen seit fast 20 Jahren bei der Weiterentwicklung ihres eigenen Geschäfts als Sparringspartner mit Rat und Tat zur Seite zu stehen kann. Insofern habe ich mich eigentlich nie so ganz aus der Rolle des Ratgebers verabschiedet. Und langweilig wird es mir als Begleiter der Beratungsbranche momentan auf keinen Fall.

CONSULTING.de:
Die Branche ist ja eigentlich immer in Bewegung, aber gerade scheint es noch ein bisschen heißer herzugehen. Die Digitalisierung sorgt in vielen Kundenbranchen dafür, dass kein Stein auf dem anderen zu bleiben scheint. Gilt das so oder ähnlich auch für die Consultingbranche – zum einen, weil sich die Kundenbedürfnisse ändern, zum anderen, weil das eigene Geschäft durch Digitalisierung betroffen ist?

Dietmar Fink: Absolut. Beide Entwicklungen prägen die Branche momentan ganz maßgeblich. Auf der Kundenseite sorgen Digitalisierung und Disruption dafür, dass der Beratungsmarkt richtig gut läuft. Die letzten zwei, drei Jahre waren in dieser Hinsicht vor allem durch strategische Themen geprägt. Viele Unternehmen waren extrem verunsichert, wie sich ihre Geschäftsmodelle gegen neue Wettbewerber absichern und erfolgreich in eine digitale Zukunft überführen lassen. Berater wurden vor allem engagiert, um das bestehende Geschäft herauszufordern, und um die Leitplanken für die Zukunft zu definieren. Anders als früher sind viele dieser Projekte heute trotz ihres strategischen Charakters viel praktischer angelegt. Da wird nicht nur ein innovatives Geschäftsmodell auf dem Papier entworfen, sondern auch gleich eine passende App designt und mit den nötigen Algorithmen analytisch hinterlegt.

CONSULTING.de:
Wie haben sich die Consultants angesichts dieser Veränderung selbst inhaltlich weiterentwickelt?

Dietmar Fink: Die großen Berater haben sich zum Teil selbst neu erfunden, um in agilen Organisationseinheiten den dafür nötigen digitalen Spirit zu schaffen. BCG Digital Ventures, die Digital Labs von McKinsey oder auch die Garage von Deloitte sind perfekte Beispiele dafür. Derzeit geht die Digitalisierung auf Kundenseite allerdings in eine zweite Phase. Wir beobachten, dass der Markt immer stärker umschwenkt, von strategischen Themen hin zur digitalen Transformation des operativen Geschäfts. Es stellt sich die Frage, wie die neuen Geschäftsmodelle mithilfe innovativer Technologien im Tagesgeschäft mit Leben gefüllt werden können. In der Fertigung rückt mit Industrie 4.0 die Gestaltung intelligenter Verfahren und intelligenter Objekte in den Fokus. An der Kundenschnittstelle steht die konsequente Kontinuität der Customer Journey in der physischen und in der virtuellen Welt im Vordergrund. Und für die Supply Chain schaffen Data Analytics, Cloud Computing und neue Mobility-Konzepte einen rasanten Innovationsschub.

CONSULTING.de:
Da liegt die Vermutung nahe, dass sich auch die Arbeitsweise der Berater verändert.

Dietmar Fink: Das stimmt. Nicht nur die Kunden der Berater sind von der Digitalisierung betroffen. Auch die Berater selbst stehen vor neuen Herausforderungen. Das Geschäft der großen Managementberater folgt ja, sehr vereinfacht gesagt, drei immer gleichen Schritten: Es werden Daten zusammengetragen, aus den Daten werden die notwendigen Erkenntnisse gewonnen und diese Erkenntnisse werden in konkrete Handlungsempfehlungen überführt. Das intellektuelle Kapital einer Beratung steckt vor allem im letzten Schritt, die meiste Arbeit steckt in den beiden ersten. Der letzte Schritt ist der margenträchtigste, die ersten beiden sind vor allem Volumengeschäft, das von jüngeren Beratern abgewickelt wird.

Alle drei Schritte sind von der Digitalisierung betroffen: Viele Daten müssen heute nicht mehr aufwendig recherchiert werden, sie sind quasi auf Knopfdruck von Anbietern wie Google, von spezialisierten Datenprovidern oder aus den Systemen der Kunden verfügbar. Die Tools zur Analyse und Aufbereitung der Daten werden immer effizienter, viele Arbeitsschritte lassen sich automatisieren. Beides führt dazu, dass das Volumengeschäft der Berater an Masse verliert. Zugleich stellt sich die Frage, wie sie ihr intellektuelles Kapital in Zukunft am Markt anbieten wollen. Weiterhin in Form klassischer Beratungsprojekte? Oder vielleicht in Form einer maßgeschneiderten App, die der Kunde mit Daten von Drittanbietern hinterlegt und die ihm in Echtzeit die optimale Handlungsoption auswirft?

CONSULTING.de: Gibt es da schon erste Gehversuche?

Dietmar Fink: Ja, einige große Beratungsfirmen haben ihre strategischen Algorithmen bereits in technisch sehr beeindruckende, individuell erstellte Apps eingebracht. Kunden sind bereit, für eine solche Anwendung, wenn sie maßgeschneidert ist, gut zu bezahlen. Das klingt auf den ersten Blick sehr attraktiv für die Berater. Das Problem ist: Wenn sie die App an einen einzelnen Kunden verkaufen, machen sie in dem betreffenden Bereich kaum noch Geschäft. Der Kunde, der die App besitzt, braucht keinen Berater mehr. Und als guter Kaufmann ist er intelligent genug, entsprechende Projekte für seine Wettbewerber vertraglich auszuschließen. Das neue Geschäft ist also einerseits finanziell sehr attraktiv, es ist in den Partnerschaften vieler großer Beratungsfirmen aber auch umstritten. Etwas vereinfacht gesprochen: Die älteren Partner warnen vor der Kannibalisierung des klassischen Geschäfts, die jüngeren sagen, es gibt gar keine andere Chance, denn die Welt entwickelt sich weiter, und es wird ohnehin so kommen.

Wie die Digitalisierung das Beratungsgeschäft verändert

CONSULTING.de: Die Vorzüge von Digitalisierung sind höhere Effizienz und geringere Kosten. Da müsste Beratung doch bald günstiger werden, oder?

Dietmar Fink: Das ist richtig. Die Tagessätze für erfahrene Experten werden zwar nicht fallen, die Teams, die zur Recherche und Analyse erforderlich sind, werden in Zukunft jedoch kleiner werden. Und das reduziert natürlich die Projektkosten. In der Partnerschaft einer sehr renommierten Beratung rechnet man zum Beispiel damit, dass man in den kommenden Jahren weiterhin zweistellig wachsen wird, dass man gleichzeitig aber auf fast 20 Prozent der Berater verzichten kann. Auch wenn dieses Szenario vielleicht etwas drastisch gezeichnet ist, es zeigt doch, dass die Veränderungen des Beratungsgeschäfts nicht unerheblich sind. Die größte Herausforderung wird in diesem Zusammenhang übrigens nicht das Preismodell sein. Schwieriger ist, dass von der zunehmenden Automatisierung vor allem die Tätigkeiten junger Berater betroffen sind, die in den Projekten bislang die Kärrnerarbeit gemacht haben. Wenn die Branche aber immer weniger junge Nachwuchsberater braucht und ausbildet, dann stellt sich früher oder später unweigerlich die Frage, wo die erfahrenen Berater von morgen herkommen sollen.

CONSULTING.de: Neue Wettbewerber, die schlankere Strukturen haben und günstiger arbeiten, innovative Geschäftsmodelle, Demokratisierung des Wissens. Sind große Beratungshäuser angreifbar?

Dietmar Fink: Inwieweit die großen Beratungsfirmen wirklich angreifbar sind, muss sich erst noch zeigen. Fakt ist: Sie werden angegriffen. Firmen wie Eden McCallum oder COMATCH haben sehr erfolgreiche Geschäftsmodelle entwickelt, um in der Beratungsbranche Fuß zu fassen. Kurz zusammengefasst bieten sie erfahrenen Beratern, die einige Jahre bei McKinsey, BCG, Bain oder einer anderen klassischen Managementberatung gearbeitet haben, eine Plattform, um als Freelancer weiter zu beraten. Für ehemalige Berater ist das eine sehr attraktive Option. Viele von ihnen haben sich aus der klassischen Beratung verabschiedet, um ihr eigenes Geschäft aufzubauen. In den Anfangsjahren erwirtschaften sie damit oft noch nicht allzu große Erträge. Indem sie einige Tage als Freelancer weiter beraten, können sie ihr persönliches Einkommen sichern und zugleich ihr neues Geschäft voranbringen. Für Beratungskunden sind die vermittelten Berater hochattraktiv, weil sie bei den führenden Beratungsfirmen sozialisiert und ausgebildet wurden und vergleichsweise preiswert sind.

Der hohe Qualitätsstandard gilt allerdings bei weitem nicht für alle Plattformen, die sich momentan am Markt zu etablieren versuchen. Ähnlich wie bei den klassischen Beratern bildet sich auch hier eine Zweiklassengesellschaft heraus. Für die klassischen Berater sind die neuen Plattformen bisher übrigens mehr Segen als Fluch. Denn zum einen wird es noch dauern, bis diese für die Großen der Branche zu einer wirklichen Konkurrenz herangewachsen sind. Zum anderen greifen einige große Berater selbst gerne auf die Plattformen zurück, um interne Belastungsspitzen abzudecken.

CONSULTING.de: Wie wirken sich diese Veränderungen auf die Kunden der Consultants aus? Sind sie kritischer, anspruchsvoller?

Dietmar Fink: Die meisten Unternehmen gehen schon seit langem recht professionell mit ihren Beratern um. Das mag nicht auf jeden Beratungseinkäufer zutreffen, die Fachabteilungen sind aber meist sehr informiert, reflektiert und anspruchsvoll. Das liegt vor allem daran, dass die meisten Führungskräfte an den gleichen Business Schools studiert haben wie die Berater, dass viele von ihnen selbst einige Jahre als Berater gearbeitet haben, bevor sie auf die Kundenseite gewechselt sind, und dass der Markt seit Ende der 1990er Jahre immer transparenter geworden ist. Außerdem ist der Einsatz von Beratern heute keine Ausnahme mehr, sondern eher schon der Regelfall. Da stellt sich auch in der Zusammenarbeit eine gewisse Routine ein.

Diese Beratungserfahrung vieler Führungskräfte führt dazu, dass die Angebote von Plattformen wie Eden McCallum auf offene Ohren treffen. Für einfache Aufgaben braucht man nicht unbedingt die Reputation und die Organisation von McKinsey. Da reichen ein paar erfahrene Freelancer, um ein solides Ergebnis zu erzielen. Die notwendigen Daten hat man im Zweifel ohnehin bereits in den internen Systemen vorliegen oder man beschafft sie sich preiswert bei Drittanbietern. Wenn sich dieses Denken auf Kundenseite mehr und mehr durchsetzt, könnte das die klassischen Berater bei Standardthemen durchaus Geschäft kosten. Bei den großen strategischen Transformationen wird man aber auch in Zukunft nicht an ihnen vorbeikommen.

CONSULTING.de: Was bedeutet die oben skizzierte Dynamik im Umkehrschluss für Bewerber?

Dietmar Fink: Das Beraterleben wird bunter. Intellektuelle Vielfalt ist Pflicht. Die Zeiten, in denen junge Berater auch in den eigenen Büros vorzugsweise dunkle Anzüge und Krawatten getragen haben, sind noch nicht lange her, sie sind aber wohl endgültig vorbei. Läuft man heute über die Flure der großen Beratungsfirmen, hat man eher den Eindruck, in einem Start-up-Workspace unterwegs zu sein. Die großen Berater tun viel dafür, um im Wettbewerb um die besten Talente gegen Firmen wie Google oder Apple bestehen zu können. Das Arbeitsklima ist lässig, die Büros sind cool ausgestattet und selbst in der Beratungssparte einer Wirtschaftsprüfung wird man auf dem Flur schon mal von einem Roller überholt. Das soll dazu beitragen, den Spirit der digitalen Welt in den Arbeitsalltag der Berater hineinzutragen. Denn auf den ersten Blick scheinen die digitalen Top-Talente, die man in der Beraterbranche händeringend sucht, nicht so recht zu den traditionellen, karrierebetonten Kulturen von McKinsey, BCG und Co. zu passen. Das ist aber nur der erste Blick.

CONSULTING.de: Und auf den zweiten Blick?

Dietmar Fink: Schaut man hinter die Kulissen, stellt man schnell fest, dass die großen Managementberater den talentiertesten Querdenkern schon immer Entfaltungsmöglichkeiten geboten haben, die man so in kaum einer anderen Branche findet. Außerdem entspricht ihr projektbezogenes Denken seit jeher den heute propagierten Arbeitswelten der digitalen Elite: Fachliche Experten finden sich für eine vorab definierte Aufgabe als Team zusammen, um sich, wenn das Projektziel erreicht ist, in neuer Konstellation mit einem neuen Team ganz neuen Aufgaben zuzuwenden. Im Grunde leben Beratungsunternehmen auf diese Weise eine Art interne Gig Economy. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Beratung immer noch eine der arbeitsintensivsten Branchen ist. Wer hier nicht die nötige innere Motivation mitbringt, wird schnell feststellen, dass er fehl am Platze ist.

Dietmar Fink ist Direktor der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Management und Beratung (WGMB). In zahlreichen Analysen setzt er sich mit dem Beratermarkt auseinander und berät führende Consultingunternehmen. (Bild: Graham Trott)
Dietmar Fink ist Direktor der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Management und Beratung (WGMB). In zahlreichen Analysen setzt er sich mit dem Beratermarkt auseinander und berät führende Consultingunternehmen. (Bild: Graham Trott)

CONSULTING.de: Sie arbeiten mit einigen Beratungsunternehmen enger zusammen. Ist der Beratungsbedarf der Consultants selbst größer geworden?

Dietmar Fink: Wir merken sehr deutlich, dass sich immer mehr Beratungsunternehmen an uns wenden. In dieser Hinsicht sind wir allerdings sehr strikt. Wir begleiten ausschließlich die zehn führenden Managementberater, die vier großen Wirtschaftsprüfer, die zwei führenden IT-Berater und eine Handvoll Hidden Champions – mittelgroße Beratungsfirmen, die in ihrem Spezialgebiet auf Augenhöhe mit McKinsey, BCG und Bain konkurrieren. Wenn wir diese Firmen als Maßstab nehmen, sehen wir sehr unterschiedliche Entwicklungen. Nehmen wir zum Beispiel die Hidden Champions. Das sind Firmen, die in ihrem Bereich extrem gute Leistungen bringen. So gut, dass sie in Deutschland häufig an ganz natürliche Wachstumsgrenzen stoßen. Die Frage, die sich dann schnell stellt, ist die nach einer Ausweitung des fachlichen Leistungsportfolios oder nach einer internationalen Expansion. Manchmal stellen die Eigentümer auch fest, dass sie ihre unternehmerische Ambition besser gemeinsam mit einem starken Partner verwirklichen können. Bei BrainNet war das zum Beispiel der Fall, die sich KPMG angeschlossen haben, bei Inverto, die heute zu BCG gehören, oder bei J&M, die mit EY zusammengegangen sind.

CONSULTING.de: Wie sieht es bei den Big 4 aus?

Dietmar Fink: Die Fragestellungen der Big 4 standen in den vergangenen Jahren ganz im Zeichen der klar kommunizierten Absicht, wieder maßgeblich in der klassischen Managementberatung Fuß zu fassen. Alle vier hatten ihre Ziele wirklich sehr ehrgeizig formuliert. Allein aus eigener Kraft konnten sie die kaum erreichen. Also wurde nach potenziellen Übernahmekandidaten Ausschau gehalten. Manche haben sich eher im Kleinen verstärkt, andere haben größer zugeschlagen, allen voran PwC mit Booz. Heute verstärken sich die Big 4 eher selektiv, mit kleinen, sehr spezialisierten Technologie-Boutiquen und mit einzelnen Beratern oder kleinen Teams, die sie von den klassischen Managementberatern abwerben. Die klassischen Managementberater selbst wiederum haben eine Zeit hinter sich, in der einige Firmen ganz gehörig ins Wanken geraten sind. Am offensichtlichsten ist das wahrscheinlich bei Roland Berger. Insgesamt profitieren allerdings auch die schwächer aufgestellten Firmen momentan von dem für den gesamten Beratungsmarkt extrem gut laufenden Geschäft. Das kaschiert die eine oder andere Schwäche – und die wird dann auch gerne ganz schnell überspielt.

CONSULTING.de: Die klassische Strategieberatung werde immer weniger nachgefragt, so heißt es oft. Sie mache nur noch 20 Prozent aller neuen Aufträge aus. 2013 sprachen Sie von einer Renaissance der klassischen Strategieberatung, zwei Drittel der von Ihnen befragten Vorstände rechneten mit steigenden Ausgaben für strategische Projekte. Wie würden Sie die aktuelle Situation einschätzen?

Dietmar Fink: Zunächst einmal ist es nicht leicht zu definieren, welche Projekte das Label Strategieberatung überhaupt verdienen. Fragt man Berater: fast alle. Fragt man Kunden: nur wenige. Insofern ist es schwierig und immer mit einer gewissen Subjektivität verbunden, einen konkreten Anteil anzugeben, den die Strategieberatung am Geschäft der großen Managementberater ausmacht. Trotzdem versuchen auch wir, solche Werte zu berechnen. Für Firmen wie McKinsey, BCG und Bain halten wir 20 Prozent für durchaus realistisch. Nehmen wir die Beratungssparten der Big 4 hinzu, sinkt der Wert rapide ab. Dass er selbst bei den klassischen Managementberatern nur noch bei rund 20 Prozent liegt, hängt übrigens nicht damit zusammen, dass das Strategiesegment nicht wachsen würde. Im Gegenteil. Über die letzten Jahre liegt das durchschnittliche Wachstum in diesem Bereich bei etwa zwei bis drei Prozent. Die klassischen Strategieberater haben ihr Leistungsportfolio allerdings in der gleichen Zeit ganz massiv in immer neue, immer operativere Bereiche ausgedehnt, so dass der Anteil, den strategische Projekte an ihrem Geschäft ausmachen, immer weiter abgenommen hat.

2014 und 2015 haben Strategieprojekte vorübergehend sogar sehr deutlich zugelegt. Das hing mit der damals einsetzenden Verunsicherung zusammen, die sich mit der Volatilität der globalen Märkte sowie der zunehmenden Digitalisierung und Disruption traditioneller Geschäftsmodelle verband. Heute schwingt das Pendel, wie eingangs schon angesprochen, wieder stärker in Richtung Operations. Für die Berater ist das eine positive Entwicklung, denn hier liegen deutlich höhere Umsätze als im strategischen Bereich.

Wie sich Beratungen für die Zukunft aufstellen

CONSULTING.de: In welchen Feldern bzw. Geschäftsmodellen mussten und müssen sich Beratungsunternehmen nun engagieren, um profitabel zu bleiben und am Markt zu bestehen?

Dietmar Fink: Wir beobachten, dass sich die klassische Einteilung des Marktes in Strategieberatung und IT-Beratung zunehmend auflöst. Die Themen sind heute auf Kundenseite so geschnitten, dass die digitalen Technologien immanenter Bestandteil des Geschäftsmodells werden. Und ein guter Ratschlag zählt nur noch dann, wenn er vom Berater auch zum Laufen gebracht wird. In Zukunft werden die Firmen den Beratungsmarkt dominieren, die die Balance aus Strategie und Technologie am besten managen. Das bedeutet auch, dass das Geschäft der klassischen Strategieberater ohne operative Komponente nicht mehr auskommen wird. Ein Stratege wie BCG kauft ja nicht von ungefähr eine Einkaufsberatung wie Inverto. Und ganz unüberlegt war es bestimmt auch nicht, dass McKinsey die Designagenturen Lunar und Veryday übernommen hat. Da entstehen Vollsortimenter, die ein Leistungsangebot aufbauen, das weit über das heute vorstellbare Maß hinausgeht.

CONSULTING.de: Auch die Wirtschaftsprüfer drängen seit Jahren in den Beratungsmarkt, wie sieht der Wettbewerb zwischen Wirtschaftsprüfern und Beratungsunternehmen aktuell aus?

Dietmar Fink: Die vier großen Wirtschaftsprüfer und klassische Managementberater wie McKinsey und BCG treffen immer häufiger aufeinander. Das liegt aber weniger daran, dass die Wirtschaftsprüfer immer weiter in das traditionelle Geschäft von McKinsey und BCG vordringen. Es liegt an dem gerade beschriebenen Umstand, dass McKinsey und BCG in immer operativere Beratungsbereiche hineingehen und damit mehr und mehr in den klassischen Sphären von PwC, KPMG, EY und Deloitte unterwegs sind.

CONSULTING.de:
Welchen Anteil würden Sie schätzen, macht das Beratungsgeschäft bei den Wirtschaftsprüfern am Gesamtgeschäft aus?

Dietmar Fink: Die Big 4 selbst wachsen weiterhin stark im Consulting-Geschäft. In Deutschland machen sie mittlerweile zwischen 30 und 40 Prozent ihres Umsatzes mit Corporate-Finance- und Managementberatung. War ihre Entscheidung, wieder ernstzunehmend in den Beratungsmarkt einzusteigen also ein Erfolg? Ich würde sagen: ein klares „Ja“. Sie sind zwar in strategischer Hinsicht nicht auf Augenhöhe mit McKinsey, Bain und BCG. Aber ist das überhaupt nötig? Sie sind es dort, wo das wesentliche Geld verdient wird: in den Operations. Auch wenn ihre Tagessätze in der klassischen Beratung – anders als im M&A-Umfeld – noch etwas hinterherhinken.

CONSULTING.de: Ein Blick in die Zukunft: Wird es weitere Elefanten-Hochzeiten geben oder ist die Zeit der Übernahmen und Einkäufe erst einmal vorbei?

Dietmar Fink: Im Moment zeichnen sich keine weiteren Mega-Deals ab. Einerseits sind die Big 4 mit ihrem bestehenden Geschäft in Größenordnungen unterwegs, die sich aus sich selbst heraus sehr solide entwickeln können. Nicht zuletzt, weil sie mittlerweile auch für Partner und erfahrene Berater klassischer Managementberatungen interessant werden, die nach neuen Karrierealternativen suchen und über einen Wechsel des Arbeitgebers nachdenken. Zum anderen gehen den Big 4 die Übernahmekandidaten aus. Wer käme denn für einen Mega-Deal infrage? McKinsey, BCG und Bain? Auf keinen Fall. Die haben es nicht nötig und könnten sich durch eine Fusion nur abwärts integrieren. A.T. Kearney scheint momentan selbstbewusst genug, um es aus eigener Kraft zu versuchen. Oliver Wyman hat mit Marsh & McLennan eine wiedererstarkte Muttergesellschaft in der Hinterhand, die nicht nur zu den erfolgreichsten unter den S&P-500-Firmen zählt. Die ist auch schlau genug, an ihrer Beratungstochter festzuhalten. Bleibt Roland Berger, aber die sind nach ihrer fusionalen Geisterfahrt mittlerweile wohl unverkäuflich.

Guter Impact: Was erfolgreiche Beratungen richtig machen

CONSULTING.de: In Ihrer Consulting Impact Study 2016 haben Sie die wirkungsvollsten Beratungen ermittelt, dazu haben Sie über 1.000 Führungskräfte zu ihren Erfahrungen mit Beratern befragt. Auf den vorderen Plätzen: McKinsey, Boston Consulting Group und Bain. Warum sind hier die Kunden besonders zufrieden?

Dietmar Fink: Zunächst einmal adressieren McKinsey, BCG und Bain die richtigen Themen. Sie wissen, was ihre Kunden gerade bewegt, und sie bieten die passende Unterstützung an. Keiner anderen Beratung wird von den Führungskräften, mit denen wir gesprochen haben, ein vergleichbares Einfühlungsvermögen in ihre thematische Agenda zugesprochen. Das mag auch daran liegen, dass die Frequenz, in der vor allem McKinsey und BCG ihre Kunden betreuen, deutlich höher ist als die von anderen Beratern. Den größten Nachholbedarf haben in dieser Hinsicht übrigens die vier großen Wirtschaftsprüfer.

Das gilt auch für den zweiten Punkt, der McKinsey, BCG und Bain in die Karten spielt: Sie gelten als versierte Strategen. Und das ist nicht nur bei originären Strategieprojekten von Bedeutung. Unsere Studien zeigen, dass Berater, denen eine hohe Strategiekompetenz zugesprochen wird, auch bei vielen operativen Themen eher zum Zuge kommen. Zumindest, solange der Preis nicht zum entscheidenden Kriterium wird. Darüber hinaus setzen McKinsey, BCG und Bain in analytischer und in methodischer Hinsicht den Maßstab. Das alles sind Dinge, die man diesen drei Beratern wahrscheinlich unbesehen zugestehen würde. Überraschender ist vielleicht, dass sie auch als überdurchschnittlich kreativ gelten, als gute Motivatoren und als sensible Moderatoren. Vor allem McKinsey hat da in den letzten Jahren enorm zugelegt. Einsame Spitze ist McKinsey allerdings unverändert in einer anderen Disziplin: bei der Kommunikation mit Vorständen und Aufsichtsräten.

Dietmar Fink (Bild: Graham Trott)
Dietmar Fink (Bild: Graham Trott)
CONSULTING.de: Die Top-Unternehmen haben auch Schwächen, wie Sie eruiert haben, McKinsey, Accenture und Roland Berger gelten etwa als vergleichsweise arrogant und selbstverliebt. Kostet das Aufträge und schreckt auch Nachwuchskräfte abseits vom Typ des klassischen Nachwuchs-Beraters ab?

Dietmar Fink: Arroganz und eine übersteigerte Hybris sind natürlich per se schon keine Eigenschaften, die man gerne für sich in Anspruch nimmt. In der Beratung können sie zusätzlich einen ganz unmittelbaren Einfluss auf den Erfolg oder Misserfolg eines Projektes haben. Unsere Studien zeigen, dass die Mitarbeiter auf Kundenseite seltener das tun, was ihnen ein arroganter Berater nahelegt, selbst dann, wenn sie den Ratschlag inhaltlich für sinnvoll halten. Und natürlich hält das Image, überheblich zu sein, auch im Recruiting den einen oder anderen guten Bewerber fern. Inwiefern das bei Accenture und Roland Berger zu einem Problem wird, vermag ich nicht zu beurteilen. Bei McKinsey ist es jedenfalls eher selten ein kritischer Punkt. Zu McKinsey geht man, weil man dort Bestätigung findet. Ich arbeite für McKinsey? Dann muss ich wohl einer der Besten sein. Denn nur die Besten bekommen ein Angebot von McKinsey. Inwieweit diese Erwartungen mit der Realität korrespondieren, das ist eine Frage für sich. Was zählt, ist die Wahrnehmung – die der Bewerber im Recruiting und die der Kunden im Projekt.

CONSULTING.de: Das Wahrnehmungsmanagement ist Ihrer Einschätzung nach eine zentrale Herausforderung für die Consultingunternehmen. Gestaltet man die Wahrnehmung des Kunden nicht aktiv, geht sie eigene Wege. Welche guten und gar großen Unternehmen müssen an dieser Stelle wie ansetzen?

Dietmar Fink:
Im Moment laufen viele Beratungsfirmen in eine Wahrnehmungsfalle. Nehmen Sie zum Beispiel A.T. Kearney. Die haben das wahrscheinlich elementarste Problem: Sie werden kaum noch wahrgenommen. Wenn wir mit Vorständen und Budgetverantwortlichen über Berater sprechen, werden sie von unseren Gesprächspartnern kaum noch erwähnt. Selbst dann nicht, wenn man gerade ein laufendes Projekt mit A.T. Kearney macht. Warum das so ist, das kann ich nicht erklären. A.T. Kearney macht ein solides Geschäft und hinterlässt zufriedene Kunden. Aus dem Relevant Set der führenden Managementberater sind sie aber irgendwie rausgerutscht. Da müssen sie dringend nachjustieren.

Noch viel dringender ist das allerdings bei einer anderen Beratung: bei Roland Berger. Die haben ihre Wahrnehmung durch eine sehr ungeschickte Medienarbeit nachhaltig ramponiert. Vor allem in der Ära von Burkhard Schwenker hatte sich Roland Berger ja noch exzellent entwickelt. Dass sich die Firma sowohl nach dessen erstem, als auch nach seinem zweiten Abschied aus der Chefrolle die eine oder andere fragwürdige Entscheidung in eigener Sache geleistet hat, das schlägt sich nun leider auch in der Wahrnehmung am Markt nieder. Und auch die vier großen Wirtschaftsprüfer versuchen schon seit einiger Zeit korrigierend auf die Wahrnehmung ihrer Marken einzuwirken.

CONSULTING.de: An welchen Punkten versuchen sie, die Wahrnehmung zu korrigieren?

Dietmar Fink: In Deutschland war ihr starkes Wirtschaftsprüferimage keine gute Basis, um wieder stärker in die Managementberatung zurückzukehren. Im Grunde galten sie als staubtrockene Erbsenzähler, nicht als kreative Strategen. So langsam ändert sich das zwar, es ist aber ein langer Weg. Wenn wir beratungserfahrene Führungskräfte bitten, uns spontan zehn Managementberater zu nennen, dann entspricht die Wahrnehmung der Big 4 bei weitem nicht dem Geschäft, das sie mittlerweile wieder mit klassischer Beratung machen. Der Anteil der Nennungen aller vier Firmen liegt weiterhin im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Lediglich Deloitte kann sich da ein bisschen absetzen. Zum Vergleich: McKinsey wird spontan von über 90 Prozent unserer Gesprächspartner genannt, BCG immerhin von rund 80 Prozent.

CONSULTING.de:
Wie kann der einzelne Berater seine Reputation gezielt managen und seinen Impact erhöhen?

Dietmar Fink: Zunächst einmal können wir festhalten: Es gibt einen signifikanten Zusammenhang zwischender Reputation eines Beraters und dem Impact, den er beim Kunden bewirkt. Sehr einfach ausgedrückt: Mit einem renommierten Berater können Sie in Ihrer Organisation mehr bewirken als mit einem No Name. Je besser die Reputation eines Beraters ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Mitarbeiter des Kunden das tun, was er empfiehlt. Ganz so einfach wie es klingt, ist es in der Praxis aber natürlich nicht. Was macht eine gute Reputation zu einer besseren? Und was kann einen Kunden dazu bewegen, etwas zu tun, was er ohne den Berater nicht getan hätte? An unserem Institut haben wir ein komplexes Steuerungstool entwickelt, das Beratungsunternehmen hilft, ihre Reputation anhand von 59 Stellhebeln gezielt zu gestalten. Zum Besten des Beratungsunternehmens und zum Wohle ihrer Kunden.

Zur Person

Dietmar Fink war ein Jahrzehnt selbst als Berater tätig. Seit 1998 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Unternehmensberatung an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg und hat als Autor zahlreiche Fachbeiträge und Bücher publiziert. Fink ist außerdem Fellow Emeritus der Universität Oxford und Direktor der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Management und Beratung. In dieser Funktion setzt er sich in zahlreichen Analysen mit dem Beratermarkt auseinander und berät führende Beratungsunternehmen.

 

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