#1Blick vom Beratungsforscher Interessenkonflikte in Prüfung und Beratung – Wen kümmerts? Wer kümmert sich?

Therapeutin und gleichzeitig Schwiegermutter? Interessenkonflikte wie hier in dem Film "Couchgeflüster" mit Meryl Streep und Uma Thurman sind auch in der Consultingbranche immer wieder anzutreffen, wie Prof. Deelmann in seiner Kolumne an einigen Beispielen aufzeigt. (Bild: picture alliance/United Archives | United Archives / kpa Publicity)
Kollisionen als Nebeneffekte des ungestümen Booms
„Damals“ war die Consulting-Welt noch einfach: Es gab wenig Beraterinnen und Berater, es gab wenig Kunden und es gab wenig Projekte. Und die Gefahr, dass Consultants in Situationen gearbeitet haben, in denen es Interessenkonflikte gab oder hätte geben können, war dementsprechend gering.
Das „damals“ mag im Jahr 2000 verortet werden (gerne auch etwas davor oder danach) und ein Consultant, der hier seine Karriere gestartet hat, ist heute vielleicht 45 oder 50 Jahre alt. Die Branche war seinerzeit zwar nicht mehr klein, aber irgendwie noch überschaubar. Die Anzahl von Consultants, Kunden und Projekten ist seither massiv angewachsen.
Mit dem Branchenboom steigt dann fast zwangsläufig die Wahrscheinlichkeit, dass Interessenkonflikte auftreten.
Bei einem solchen Konflikt besteht die Gefahr, dass die Consulting-Arbeit für die eine Kundin von der Arbeit für eine andere Kundin negativ beeinflusst wird. Eine positive Beeinflussung wird von Kunden typischerweise gewünscht: Die Frage nach „Branchen-Best-Practices“ ist ein klarer Indikator hierfür. Die negative Beeinflussung ist hingegen meist kritisch, da der eine Kunde von seinem Consultant nicht die bestmögliche Unterstützung erhält, weil dem ja eine andere Geschäftsbeziehung entgegensteht.
Gefahr bei den Big Four und anderen Dienstleistungskonzernen
Im Zentrum der Kritik stehen etwa die integrierten Dienstleistungskonzerne, die aus Beratungs- und Prüfungsbereichen bestehen, insbesondere die sogenannten Big Four. Dabei wird angezweifelt, dass die Prüfer auch dann noch sorgfältig und objektiv arbeiten können, wenn sie die Ergebnisse ihrer Kolleginnen und Kollegen aus der Beratungssparte vor sich liegen haben. Auch Kanzler Scholz hat noch während seiner Zeit als Finanzminister eine Trennung von Prüfung und Beratung gefordert. Eine irgendwie gestaltete Regulierung scheint notwendig, wie die folgenden drei Beispiele illustrieren:
- Die Financial Times (FT) berichtet Anfang Februar 2023 über einen möglichen Interessenkonflikt bei EY. Das Big-Four-Unternehmen hat zunächst Britishvolt über Jahre hinweg in strategischen Fragen beraten und dafür mehrere Millionen Pfund Honorar erhalten. Das Geschäft des Batterie-Start-ups war nicht erfolgreich, es folgt die Insolvenz – mit EY als Insolvenzverwalter. Bei der FT wirft dies Fragen nach einen „conflict of interest“ auf: „While some insolvency specialists argue that administrators [Insolvenzverwalter; TD] have an advantage if they know the business well, critics say such arrangements create a risk that advisory firms will in effect be marking their own homework, threatening their independence.“
- Nochmal EY: Die beiden Marktforschungsgiganten NielsenIQ und GfK wollen fusionieren beziehungsweise die Amerikaner wollen die Deutschen übernehmen. Eine solche Transaktion wird typischerweise von einer ganzen Reihe von Anwälten, Steuerexperten und Consultants begleitet. Jede Gruppe von Helfern will dabei das Beste für seine Kundenseite. Für die milliardenschwere Übernahme von GfK durch NielsenIQ zeigen die Fachautoren bei Juve auf, dass EY nicht nur den Käufer und seine Investoren berät, sondern auch die Investoren der GfK als Kaufobjekt. Die Abbildung visualisiert die Beziehungen.

- Und schließlich hat sich jüngst ein Interessenkonflikt in die Schlagzeilen der großen Zeitungen katapultiert, etwa in der New York Times, dem Guardian und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: Die Consultants von McKinsey haben nicht nur den Opioid-Hersteller Purdue Pharma dabei beraten, wie er seinen Absatz in den USA anfeuern kann – und damit eine nationale Krise mit mehreren zehntausend Todesopfern vertieft. Parallel zum Einsatz bei Purdue hat McKinsey auch deren zuständige US-Aufsichtsbehörde, die Food and Drug Administration (FDA), beraten – der Guardian zitiert zu dieser mehr als interessanten Konstellation aus einem US-Untersuchungsbericht: „at least 22 McKinsey consultants, including senior partners, worked for both FDA and opioid manufacturers on related topics, including at the same time.“
Diese drei aktuellen Beispiele sind mit Blick auf die Ratgeber und ihre Kunden sehr prominent besetzt. Es würde nicht überraschen, wenn es an anderen Stellen noch eine Reihe weiterer Fälle gibt. Man darf annehmen, dass der Dunkelbereich beziehungsweise die Dunkelziffer hoch ist.
Verteidigungsmechanismen und Schutzmaßnahmen der Consultants
Consultants erkennen die Gefahren, die in diesen Situation liegen. Sie arbeiten deswegen typischerweise mit „Chinese Walls“ und anderen Sicherungsmechanismen, wie etwa McKinsey als Replik auf eine Reihe von Anschuldigen erklärt: „we have invested more than $600 million to upgrade our legal, risk, and compliance capabilities, and hired some of the world’s top experts to lead those teams. We now follow a global client selection policy more rigorous than any other in our industry.“ Der Konkurrent Bain hat es (zumindest bis vor einigen Jahren) nach Eigenangaben vermieden, zwei Kunden aus einer Branche parallel zu bedienen. Und EY, das verwundert wenig, will dem Spuk selbst ein Ende setzen und arbeitet an einer Aufteilung des derzeit noch integrierten Dienstleistungskonzerns, „um Fesseln der Regulierung abzuschütteln“, wie einer der Consulting-Geschäftsführer erläutert.
Erwartungshaltungen
Implizit scheinen die Fronten geklärt und durch die kommunikativen Einlassungen sowie die „Schuldeingeständnisse“ sind auch die Bösewichte gefunden: Die Consultants.
Aber vielleicht ist dies zu einfach gedacht? Natürlich, an Beraterinnen und Berater, die ihre Aufgabe professionell angehen, muss die Anforderung gestellt werden, dass sie negative Auswirkungen von Interessenkonflikten für ihre Kunden vermeiden.
Offen bleibt aber, wie und in welcher Form?
Mindestens drei Wege sind denkbar: (1) Vermeidung gewisser Kunden-Kombinationen (z.B. Purdue und FDA). (2) Proaktive Offenlegung von möglicherweise kritischen oder konfliktären Tätigkeiten bei einer Projekt-Bewerbung oder Kunden-Vorstellung. (3) Reaktive Offenlegung der Tätigkeiten inklusive einer „Interessenskonfliktfreiheitsbestätigung“ lediglich auf Nachfrage von Kunden.
Die Erwartungshaltung an die Consultants ist zu Recht hoch: Sie sind die Profis im Beratungsgeschäft und die Kunden oft nur Amateure. Aber wenn diese nach Projektreferenzen fragen können, um einen Eindruck über die Kompetenz der Anbieter und über deren Wissen zu Branchen-Best-Practices zu erlangen, dann könnten sie auch nach kritischen und konfliktären Kundenbeziehungen fragen, oder?
Über die Person
Professor Thomas Deelmann arbeitet seit über 20 Jahren als, mit, für und über Berater. In seiner consulting.de-Kolumne #1Blick kommentiert er Marktentwicklungen aus der Vogelperspektive und schaut hinter die Kulissen der Arbeit von Beratern und ihren Kunden. Er lehrt an der HSPV NRW, twittert @Ueber_Beratung und berät bei strategischen Fragen. Als Buch erschienen von ihm das Sachbuch „Die Berater-Republik – Wie Consultants Milliarden an Staat und Unternehmen verdienen“ (2023, 256 Seiten,... mehr
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