#1Blick vom Beratungsforscher Kahlschlag bei Konsultanten?

Einige der großen Beratungen wie Accenture, EY, McKinsey und KPMG setzen gerade den Rotstift beim Personal an. (Bild: picture alliance / dpa Themendienst | Christin Klose)
Einerseits, andererseits
Zugegeben, es ist irritierend: Auf der einen Seite sprechen Beratungsunternehmen wie Marktbeobachter seit Monaten davon, in welch großem Umfang ihr Umsatz beziehungsweise wie stark Marktsegmente und Gesamtmarkt gewachsen sind. Auf der anderen Seite werden immer wieder Pläne an die Öffentlichkeit gespült, in denen von Entlassungen bei den großen Consultancies die Rede ist.
Das Wachstum ist dabei eigentlich nichts Neues. Beratungen schaffen es typischerweise, in gesamtwirtschaftlich guten Zeiten ihre Kunden bei der Top-Line-Entwicklung zu unterstützen, und in schlechten Zeiten helfen sie ihnen, die Bottom-Line in Schuss zu halten.
Bemerkenswert erscheint dem einen oder anderen die Höhe des Wachstums – verschiedentlich fiel die Einschätzung, das Umsatzwachstum hätte sich von der Gesamtwirtschaft entkoppelt. (Kleine Randnotiz hier: In der Vergangenheit lag das Branchenwachstum regelmäßig sechs bis sieben Prozentpunkte über dem BIP-Wachstum. Wenn der Wachstumswert jetzt deutlich darüber liegt, dann baut sich da vielleicht eine „Beratungsblase“ auf, über die noch zu sprechen sein wird!)
Was bisher geschah
Personalrückgänge sind ebenfalls nichts Neues. So verzeichnet etwa der BDU in seinen Branchenstudien einen Rückgang für die Jahre 1993, 2002 sowie 2003, 2009 und 2022 gegenüber den jeweiligen Vorjahren. Wichtig ist der Hinweis, dass diese Rückgänge sich immer auf den deutschen Gesamtmarkt beziehen, während einige der jüngeren Wachstumsmeldungen nur einzelne Unternehmen beziehungsweise kleine Unternehmensgruppen herausgreifen, andere hingegen ebenfalls auf den Gesamtmarkt fokussieren.
Beim Blick auf die Zahlen fällt auf eines auf: Die Zeitpunkte, in denen die Anzahl der Consultants zurückgegangen ist, ging mit einem Umsatzrückgang einher und dieser wiederum mit einer eher schlechten gesamtwirtschaftlichen Situation, die sich etwa in der Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes ausgedrückt hat. Wer jetzt denkt: „Klar, ist halt ein volatiles People Business – geht’s den Kunden schlecht, stoppen diese die Projekte und wo kein Projektumsatz, da keine Leute!“, der liegt damit nicht verkehrt.
Die Großen bauen ab
In den vergangenen Monaten haben einige der großen, global arbeitenden Beratungshäuser beziehungsweise Professional-Service-Konzerne angekündigt, Personal abbauen zu wollen. Ohne ein umfassendes Lagebild geben zu können (oder zu wollen), nachfolgend eine kleine Zusammenstellung der Entwicklung (in alphabetischer Reihenfolge):
- Accenture will weltweit etwa 19.000 Stellen abbauen, dies entspricht rund 2,5 Prozent der insgesamt 738.000 Mitarbeitenden. Deutlich mehr als die Hälfte der Stellen sollen auf das Backoffice entfallen, während die Consultants (und Outsourcing-Servicekräfte) eher geschont werden.
- EY wollte noch im Januar „nur“ in Deutschland 40 seiner 800 Partner (die Mehrheit davon im Geschäftsbereich Wirtschaftsprüfung) sowie weitere 380 Vollzeitäquivalente im Backoffice abbauen. Für die Partnerreduktion wird der Wirecard-Skandal verantwortlich gemacht, für das Backoffice werden Kostengründe genannt. Kurz nach dem Abbruch von Projekt Everest, also dem vorläufigen Ende der Aufspaltungspläne von Beratung und Prüfung, hat das Unternehmen angekündigt, in den USA 3.000 Stellen streichen zu wollen, um Überkapazitäten zu reduzieren. Dies träfe gut 5 Prozent der landesweit 50.000 Beschäftigten.
- KPMG hat im Februar 2023 bereits 2 Prozent der Stellen im US-amerikanischen Consulting-Bereich reduziert (700 Personen sollen davon betroffen sein) und kündigt im Juni 2023 einen Cut von 5 Prozent der Stellen in den USA in allen Service-Lines an. Rund 1.950 Stellen werden gestrichen (von circa 39.000).
- McKinsey zählt weltweit rund 45.000 Beschäftigte, die sich relativ gleichmäßig auf beratende und unterstützende Funktionen aufteilen. Davon sollen 1.400 bis 2.000 Stellen gestrichen werden, offenbar alle in Backoffice-Funktionen.
Vermeintlich einheitliches Bild für Außenstehende, aber Heterogenität in den Gründen
Die aktuellen Meldungen scheinen in Summe mit der oben aufgezogenen People-Business-Argumentation (Gesamtwirtschaft >>> Beratungsumsatz >>> Personalbestand) zu brechen: Der Umsatz ist ja offenbar vorhanden, über Entlassungen wird dennoch gesprochen. Bei EY geht man zwar in Teilen davon aus, dass hier Überkapazitäten reduziert werden und KPMG will anscheinend eine organisch unterdurchschnittliche Fluktuationsrate auf das normale beziehungsweise auf ein für das Geschäftsmodell notwendige Niveau heben. Aber schon McKinsey stellt parallel zum Abbau neue Beschäftigte ein.
Es zeigt sich bereits nach diesem kurzen Blick eine recht heterogene Situation.
Sie verstärkt sich vermutlich noch, wenn man die Stellenabbaumitteilungen in Brutto- und Nettoabbau aufschlüsseln oder die regionalen Unterschiede (global, nur USA, DACH-Region, Deutschland) im Detail ansehen könnte. Auch über zeitlich verzögerte beziehungsweise verschobene Personaleinstellungen ist wenig bekannt, ebenso über den Umgang mit den Sub-Dienstleistern und Freelancern, auf die auch große Anbieter gerne zurückgreifen.
Und ein weiterer Aspekt darf bei der Betrachtung der Entlassungen nicht unerwähnt bleiben: Fast immer wird das Backoffice als Abbaureservoir genannt. Das ist selbstredend eine schlimme Situation für alle Beschäftigten. Aber eine Korrektur dort muss nicht zwingend mit den positiven Umsatzentwicklungen in den operativen Service Lines in Widerspruch stehen, wie zwei Aspekte unterstreichen:
- Der eine oder andere Beratungskonzern hat in der jüngsten Vergangenheit Zukäufe getätigt, um etwa fachliche Kompetenzen zu ergänzen oder die Wachstumserwartungen zu erfüllen. Neben den übernommenen Beraterinnen und Beratern sind auch HR-, Finanz-, Rechts-, Recherche-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter gewechselt. Die Möglichkeit, hier Synergien zu realisieren, ist naheliegend und drängt sich auf: Eine Vergrößerung der operativen Funktionen benötigt zwar einen Anstieg der Support-Funktionen, der aber nur relativ geringer auszufallen braucht.
- Zudem beraten alle Häuser ihre Kunden intensiv zu Fragen der Digitalisierung und bewegen sich elegant auf der KI-Welle. Auch hier liegt es nahe, die Potenziale nicht nur den Kundenorganisationen zu vermitteln, sondern auch selber hausintern zu realisieren: getreu dem Motto: Eat your own dog foot! Das mag dann Auswirkungen auf den Recruiting-Prozess, die Bearbeitung der Reisekosten oder die Durchführung von Recherchen haben – und zu einem geringeren Personalbedarf führen.
Per Definition ist die Veränderungsreise nicht beendet, aber als Zwischenfazit zu den Personalentwicklungen bzw. den Ankündigungen aus den letzten Tagen, Wochen und Monaten kann man festhalten: Für Außenstehende mag die Situation in der Consulting-Branche dramatischer aussehen, als sie sich im Innenverhältnis darstellt. Das homogene „Abbau-Bild“ zerfällt dabei in eine Zahl heterogener (guter und nachvollziehbarer) Gründe.
Ein Grund zum Ausruhen ist das jedoch nicht: Das oben unter dem Stichwort der Entkopplung erwähnte überdurchschnittliche Wachstum muss in den Geschäftsmodellen irgendwie verankert werden, damit einer Blasenbildung vorgebeugt werden kann.
Über die Person
Professor Thomas Deelmann arbeitet seit über 20 Jahren als, mit, für und über Berater. In seiner consulting.de-Kolumne #1Blick kommentiert er Marktentwicklungen aus der Vogelperspektive und schaut hinter die Kulissen der Arbeit von Beratern und ihren Kunden. Er lehrt an der HSPV NRW, twittert @Ueber_Beratung und berät bei strategischen Fragen. Als Buch erschienen von ihm das Sachbuch „Die Berater-Republik – Wie Consultants Milliarden an Staat und Unternehmen verdienen“ (2023, 256 Seiten,... mehr
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