Blick in die Bilanz: CONSULTING.de-Kolumne von Bert Erlen Kennen Sie Knuffingen? Eine Bilanzanalyse des Miniatur-Wunderlandes in Hamburg

Knuffingen ist in Hamburg, in der Speicherstadt. Es gibt dort einen Flughafen, jede Menge Modelleisenbahngleise und auch sonst wirklich außerordentlich beeindruckende Modellbahnwelten. Aber wer steckt eigentlich dahinter? Und ist das ein gutes Geschäft? Grundsätzlich kann man den Eindruck haben, denn der Besucherstrom war bis Corona sehr hoch. Der Eintrittspreis ist für das, was man geboten bekommt, allerdings moderat und die Kosten und Investitionen sind nur schwer einzuschätzen. Wir schauen daher genauer in den Jahresabschluss 2019.

Kolumne Erlen Knuffingen Beitrag (Bild: Autor)

Umsatz

1. Frage: Wie hoch war der Umsatz des Miniatur-Wunderlandes in 2019 und um wieviel hat er sich im Verhältnis zum Vorjahr verändert?

Das Miniatur-Wunderland in der Speicherstadt in Hamburg erzielte 2019 einen Umsatz von 24,1 Mio. Euro. Das waren sieben Prozent mehr als 2018, nach einer Steigerung um 10,2 Prozent im Vergleich zu 2017. Möglicherweise ist das Unternehmen dank seines großen Besucherstroms an der Kapazitätsgrenze (die Besucherzahlen sind in den letzten Jahren auch kaum gestiegen), eine Steigerung kann also nur durch höhere Preise oder durch zusätzliche Mehrwertprodukte wie Führungen und Kooperationen erreicht werden. Und tatsächlich stieg der Umsatz pro Besucher auch leicht von 16 Euro in 2018 auf 16,90 Euro in 2019 an.

Diese Werte entsprechen übrigens auffallend dem Umsatz pro Besucher der weltweit tätigen Merlin-Gruppe, zu der die Legoland-Parks und Freizeitattraktionen wie Madame Tussaud´s, The Dungeon, SeaLife und die Riesenräder London Eye und Sidney Tower Eye gehören. Merlin erwirtschaftet einen Umsatz von 1,7 Mrd. Pfund (etwa zwei Mrd. Euro) und gehört mittlerweile internationalen Finanzinvestoren.

Und Corona?

Für die Entertainment-Branche ist Corona ein herber Rückschlag. Das Miniatur-Wunderland war im Frühjahr 2020 für zwei Monate geschlossen, durfte danach nur mit eingeschränkten Besucherzahlen öffnen und ist seit Ende 2020 wieder zu. Nennenswerte Umsätze können in diesen Schließzeiten nicht erzielt werden, so dass der Umsatzrückgang in 2020 und 2021 erheblich sein wird.

Das Miniatur-Wunderland wird weiterwachsen

Aber danach soll es wieder aufwärts gehen. Die Modellbahngesellschaft will die Besuchskapazität erweitern und hat neue Räume erschlossen, die derzeit ausgebaut werden - die Erfolgsgeschichte kann nach der Pandemie also weiter gehen. Durch die Präsenz in den Sozialen Medien wird die Fangemeinde bei der Stange gehalten und weiter vergrößert und insbesondere der sehr große Elan der beiden Gründer und Geschäftsführer Gerrit und Frederick Braun lässt darauf schließen, dass das Wachstumspotential noch lange nicht ausgeschöpft ist.  

Schauen Sie sich für einen Eindruck einmal die aktuellen Youtube- und Facebook-Videos an! Die sind im Übrigen dank großer Abonnentenzahlen auch eine Umsatzquelle.

Profitabilität: Umsatzrendite

2. Frage: Wie hoch ist der prozentuale Anteil des operativen Ergebnisses EBIT (Earnings before interest and taxes, Gewinn vor Zinsen und Steuern) am Umsatz?

Vor Zinsen und Steuern hat das Wunderland im Jahr 2019 ein Ergebnis von drei Mio. Euro erzielt, nach 4,9 Mio. Euro im Jahr davor. Die EBIT-Margen betrugen 12,6 Prozent (2019) und beachtliche 22,0 Prozent (2018). Das zeigt, wie lukrativ das Geschäft mit Freizeitattraktionen ist. Merlin erwirtschaftete in den gleichen Zeiträumen EBIT-Margen von 13,3 Prozent (2019) und 21,4 Prozent (2018).

Der größte Anteil der Aufwendungen sind die Personalkosten. Das ist nachvollziehbar, denn der Modellbau benötigt insbesondere findige und ideenreiche Mitarbeiter und auch der Service im Ticketing und in der Gastronomie ist personalintensiv. Es fällt auf, dass die Lohnnebenkosten mit 17 Prozent (2019) und 20 Prozent (2018) unterdurchschnittlich sind, das spricht für die Beschäftigung von 400-Euro-Jobbern. 

Im Geschäftsbericht geben die Geschäftsführer an, dass sie dank Kurzarbeit und Überbrückungshilfen nicht mit einem sehr großen Ertragsloch in 2020 und in 2021 rechnen. Gleichwohl ist sicher davon auszugehen, dass das EBIT negativ wird. 

Profitabilität und Vermögensrendite 

3. Frage: Wie hoch ist das operative Ergebnis EBIT im Verhältnis zum Vermögen des Unternehmens?

2019 erhöhte der ROI das Vermögen um 14 Prozent nach 24 Prozent in 2018. Das Geschäft ist also auch für die Kapitalgeber lukrativ. Der hohe Bilanzgewinn deutet darauf hin, dass die Gewinne auch schon länger positiv sind und dass sie, wenn überhaupt, nur moderat von den Eigentümern entnommen werden. Auch hier sieht man, dass das Geschäft auf Wachstum aus eigener Kraft ausgelegt ist: Gewinne werden reinvestiert.

Das Vermögen: Die Modellbahnanlagen

4. Frage: Mit welchen Vermögensgegenständen wurde der EBIT erwirtschaftet?

Das Miniatur-Wunderland verwaltet ein Vermögen von 21,5 Mio. Euro. Der mit Abstand größte Vermögensgegenstand ist mit 48 Prozent das Sachanlagevermögen, also die Anlagen, die IT-Ausstattung, die Kassen- und Zutrittssysteme etc. Interessant ist hierbei die Frage, wie eigentlich die Modellbahnwelten bewertet sind. Im Geschäftsbericht findet sich nur der allgemeine Hinweis auf "Anschaffungs- und Herstellungskoten, vermindert um planmäßige lineare Abschreibungen", und wenn der Personalaufwand zur Erstellung der Anlagen als Herstellungskosten aktiviert wird, ist der hohe Wert erklärbar. Denn offensichtlich steckt sehr viel Handarbeit in der Anlage.

Finanzanlagen und Kasse: Cash is King als Risikovorsorge 

Nicht unerheblich sind mit 4,6 Mio. Euro auch die Finanzanlagen, im Jahr davor übrigens ungefähr genau so viel. Es ist möglich, dass die Gesellschaft Eigentumsanteile an einer anderen Gesellschaft hält, genauso kann es aber auch sein, dass hier einfach nur Geld auf die hohe Kante gelegt wurde. Näheres erläutert der Geschäftsbericht nicht, aber wenn man von der Sparthese ausgeht, war das natürlich eine gute Vorbereitung auf die Coronakrise und schützt vor Insolvenz durch Illiquidität. 

Auch die Kasse war Ende 2019 mit 2,5 Mio. Euro gut gefüllt. Kasse und Finanzanlagen zusammen ergeben 7,1 Mio. Euro, das wären 65 Prozent des Personalaufwandes von 2019. Ein Nachtragsbericht weist darauf hin, dass "nahezu alle Mitarbeiter" in Kurzarbeit sind, so dass diese Fixkostenbelastung deutlich gemindert werden kann. 

Und wie wird das Wachstum finanziert?

Im Geschäftsbericht wird erwähnt, dass man weiter in neue Kapazität investiert. Die Youtube-Videos zeigen Erneuerungsmaßnahmen der bestehenden Anlage, aber insbesondere auch den Aufbau einer neuen Anlage in neuen Räumlichkeiten. Im letzten Jahr wurde dafür eine spektakuläre Brücke in ein neu angemietetes Nachbargebäude gebaut.

Es geht also weiter, man bereitet sich auf die Nach-Corona-Zeit vor und benötigt auch dafür Geld. Aber wie gesagt: Dank thesaurierter Gewinne aus der Vergangenheit, dank Kurzarbeit und dank gut gefüllter Kassen (und wenn Corona nicht zu lange dauert) scheint es zu gehen.

Die Kapitalquellen: Solide Finanzen

5. Frage: Wie ist das Unternehmen finanziert? Wie hoch ist der prozentuale Anteil des Eigenkapitals am Gesamtkapital?

Mit einer Eigenkapitalquote von 58 Prozent ist die Gesellschaft sehr solide finanziert. Da das Gezeichnete Kapital lediglich 65.000 Euro beträgt, scheint es so zu sein, dass schon lange Gewinne nicht ausgeschüttet wurden und daher die Eigenkapitalquote konsequent gestärkt worden ist.

Hinzu kommen Pensionsrückstellungen, die ebenfalls noch lange zur Verfügung stehen werden. Inklusive der Rückstellungen ergibt sich eine Quote von 87,5 Prozent aus langfristig zur Verfügung stehendem Kapital, so dass auch hier Corona nicht so gefährlich werden kann.

Im Umkehrschluss hat die Gesellschaft nur geringe rückzuzahlende Verbindlichkeiten. Die sind zwar ausnahmslos kurzfristig, also entweder ein Kontokorrentkredit bei der Bank oder Lieferantenverbindlichkeiten, aber die Höhe entspricht dem Kassenbestand und scheint verkraftbar.

Liquidität und Cashflow: Der EBITDA

6. Frage: Wie viel Bargeld generiert das Unternehmen aus dem laufenden Geschäft?

Das Miniatur-Wunderland veröffentlicht keine Kapitalflussrechnung. Aber wir können uns dem operativen Cashflow annähern, in dem wir aus dem Ergebnis die nicht-zahlungswirksamen Aufwendungen und Erträge wieder heraus rechnen. Eine gängige Kennzahl hierzu ist der EBITDA, also das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen ("Depreciation and Amortization"). Etwaige noch nicht eingegangene Forderungen, noch nicht gezahlte Lieferantenverbindlichkeiten und Veränderungen in den Rückstellungen werden dann zwar nicht berücksichtigt, aber man erhält einen sehr verlässlichen Indikator für die Cashgenerativität des Geschäftes.

Der EBITDA betrug 2019 4,6 Mio. Euro nach 6,6 Mio. Euro im Vorjahr. Hat das gereicht, um anstehende Investitionen zu finanzieren? Wahrscheinlich, denn es wurden kaum neue Kredite und auch kein neues Eigenkapital aufgenommen.

Aus eigener Kraft investieren?

7. Frage: Kann das Unternehmen seine Investitionen aus dem laufenden Geschäft selbst finanzieren? (Übersteigt der operative Cashflow den Cashflow aus Investitionstätigkeit?)

Und tatsächlich: Im Jahr 2019 wurde insgesamt für 4,1 Mio. Euro investiert, die Zahl steht im Anlagespiegel. Auch ohne Kapitalflussrechnung lässt sich also ermitteln, dass die Gesellschaft aus eigener Kraft wachsen kann.

Sehr interessant ist die Frage, wie sich diese Relation in den Coronajahren 2020 und 2021 entwickelt. Die Umsatzeinbrüche werden dazu führen, dass im operativen Geschäft kein Geld eingenommen wird und dass die finanziellen Reserven aufgebraucht werden müssen. Wie alle hofft also auch das Miniatur-Wunderland, dass die Lockdowns bald vorbei sind.

Kreatives und engagiertes Unternehmertum

Die Beschäftigung mit dem Miniatur-Wunderland in Hamburg hat mich sehr fasziniert. Waren Sie schonmal da? Falls nicht: es lohnt sich absolut. 

In der gesamten Anlage spürt man den Spaß, das Engagement und die Konsequenz, mit denen Kreativität und Leidenschaft "auf die Straße" gebracht werden. Wenn hoffentlich demnächst der Lockdown beendet wird, bietet sich vielleicht die Gelegenheit, bei weniger Besuchern das Wunderland durchstreifen zu können. Bis dahin können die Youtube-Videos den Originaleindruck etwas ersetzen.

Und die Geschäftszahlen spiegeln die Erfolgsgeschichte wider: Hohe Ertragskraft, finanzielle Solidität und nachhaltiges Wachstumsstreben. Chapeau!

Bert Erlen begleitet Unternehmen in Veränderungsprozessen. Er begeistert Führungskräfte für unternehmerisches Denken und Handeln, erleichtert die Kommunikation zwischen Controllern und dem operativen Management und stärkt die Finanzielle Führung in Organisationen. Gerade in betriebswirtschaftlichen Schwächephasen kann er mit Wissen und Klarheit eine neue Vision vermitteln. Er ist zertifizierter Unternehmercoach, langjähriger Managementtrainer für Finanzielle Führung, Blogger und veröffentlicht einen Business Podcast.

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