Interview mit Mario Zillmann, Lünendonk & Hossenfelder „KI-Technologien funktionieren nur dann gut, wenn auch die richtigen Daten vorliegen“

ChatGPT sei Dank - aktuell wird allerorten über Künstliche Intelligenz diskutiert. Welche Treiber und wirtschaftlichen Potenziale sehen Sie hinter diesem Thema, das natürlich über diese spezifische Anwendung hinausgeht?
Mario Zillmann: Spätestens durch Corona und den mit der Pandemie einhergehenden Auswirkungen auf Einkaufsverhalten, Lieferketten und Logistik sowie die Zusammenarbeit in Unternehmen ist deutlich geworden, dass die Digitalisierung Unternehmen einerseits dabei unterstützen kann, in ganz neue Geschäftsfelder und Geschäftsmodelle einzutreten und andererseits massive Effizienz- und Kostenvorteile zu schaffen. Künstliche Intelligenz ist ein Teilaspekt dieses Megatrends. Unternehmen haben vor allem die immensen Potenziale hinsichtlich Effizienz und Beschleunigung von Prozessen erkannt, die mit KI einhergehen.
Mit Künstlicher Intelligenz verbinden sich Hoffnungen, aber auch Sorgen. Eine davon ist, dass KI den Menschen vielfach ersetzen wird…
Mario Zillmann: Eine solche Entwicklung sehe ich nicht. Künstliche Intelligenz wird meiner Einschätzung nach Unternehmen dabei helfen, die verfügbaren und in vielen Feldern immer knapper werdenden Fachkräfte optimaler auf wertschöpfenden Feldern einzusetzen. Ein Beispiel: Controller verbringen heute circa zwei Drittel ihrer Zeit dem Zusammensuchen und Aufbereiten von Daten. Durch KI wird sich das in den nächsten Jahren drehen. Controller der Zukunft werden viel mehr Zeit haben, sich darum zu kümmern, auf Basis bereits ausgewerteter Daten Handlungsfelder und dazugehörige KPIs zu definieren, Maßnahmen abzuleiten und ihre Umsetzung zu überwachen. Weitere Anwendungsfälle sehen wir in weiteren Backoffice-Funktionen, aber auch in der Forschung und Entwicklung.
Analog dazu wird KI viele Freiräume dafür schaffen, dass Menschen das tun können, was sie besonders gut können: Kreativ und vorausschauend zu denken.
Welche Branchen, Unternehmensbereiche und Aufgaben sind aus Ihrer Sicht prädestiniert für den Einsatz künstlicher Intelligenz? Wer sind die Vorreiter?
Mario Zillmann: In den vergangenen Jahren sind Anwendungen Künstlicher Intelligenz dort erfolgreich gewesen, wo man repetitive, standardisierbare Aufgaben abarbeiten kann – mit dem Einsatz von Machine Learning oder auch im Bereich der Texterkennung. Banken und Versicherungen haben aufgrund der hohen zu verarbeitenden Datenmengen schon vor einer Dekade damit begonnen, sich intensiv mit Künstlicher Intelligenz auseinanderzusetzen.
Ein großes Thema ist es auch schon länger in der Industrie. Das Stichwort ist hier Industrie 4.0, also die automatisierte und auch Roboter-gestützte Steuerung von Produktionsanlagen und von Produktionsnetzwerken sowie im Qualitätsmanagement. Inzwischen bewegen sich die Anwendungsszenarien hier immer mehr in Richtung der Supply Chain und der Logistik sowie der Produktentwicklung. In letzterem hilft KI vor allem die Produktentwicklungszeiten massiv zu verkürzen.
Ein weiterer Bereich, der geradezu nach einer KI-Lösung schreit, ist das ESG-Reporting. Für solche Nachhaltigkeitsberichte müssen sie ja die ganze Lieferkette analysieren…
In einem Lünendonk Magazin aus dem Jahr 2020 haben Sie sich bereits mit KI unter dem Titel „Vom Hype zur Realität“ auseinandergesetzt. Wo stehen wir heute?
Mario Zillmann: Was grundsätzlich noch nicht so gut funktioniert: Auf der Basis von Daten verlässliche Vorhersagen für die Zukunft zu machen. Hier gibt es noch wenige gute Anwendungsbeispiele. Auch im Bereich Industrie 4.0 ist noch nicht der wirkliche flächendeckende Durchbruch in der Praxis erfolgt. Das große Problem bei der künstlichen Intelligenz ist es nicht, Usecases zu finden. Die gibt es entlang der gesamten Wertschöpfungskette tatsächlich zu genüge. Allerdings zeigt sich:
In vielen Fällen fehlen in den Unternehmen noch die Grundlagen für die sinnvolle Implementierung von KI-Lösungen, und das sind ganz einfach die Daten.
Was sind an dieser Stelle die größten Hürden?
Mario Zillmann: In unserer „Lünendonk-Studie 2022. Management-Beratungen in Deutschland“ haben wir die teilnehmenden Unternehmensberatungen gefragt, wo sie die größte Herausforderung sehen, wenn es um die Umsetzung von KI-Projekten bei Kunden geht. Die am häufigsten genannte Antwort ist, dass es an Know-how und Verständnis fehlt. Gleich danach folgen die Qualität und die Verfügbarkeit von Daten in den Kundenunternehmen. Hintergrund: KI-Technologien funktionieren nur dann gut, wenn auch die richtigen Daten vorliegen und Systeme auch die Fähigkeit haben, sich die relevanten Informationen zusammenzuziehen – das gilt insbesondere, wenn Sie eine künstliche Intelligenz zur Automatisierung von kompletten Prozessketten einsetzen möchten.
72 Prozent der an der Lünendonk-Studie teilnehmenden Beratungen verfügen über ein eigenes Kompetenzzentrum für KI / Data Analytics. Als Herausforderung für KI-Projekte sehen sie vor allem fehlendes Know-how und eine schlechte Datenlage (Zum Vergrößern klicken). (Grafik: Lünendonk-Studie 2022. Management-Beratungen in Deutschland)
Was bedeutet das für KI-Beratungsprojekte? Wo setzen diese idealerweise an?
Mario Zillmann: Oft hapert es schon an einer unternehmensweiten Datenstrategie. Das fängt an mit der Frage: Welche Ziele möchten wir überhaupt mit der Nutzung von Daten erreichen? Eine wichtige Rolle spielt natürlich auch eine einheitliche Datenbasis.
Oft ist noch so, dass unterschiedliche Unternehmensbereiche ihr eigenes Datenmanagement-System haben, also viele Kennzahlen in mehrfacher Ausprägung vorliegen.
Auch Data Governance ist ein wichtiges Thema: Ist der Zugriff auf Prozessdaten beispielsweise problemlos möglich, haben wir beim Zugriff auf Kundendaten den Aspekt des Datenschutzes, den es zu beachten gilt. Bei all diesen Fragestellungen setzen dann auch Beratungsunternehmen an, wenn sie mit dem Kundenunternehmen eine Digitalisierungsstrategie erarbeiten. Häufig geht es dann auch um einen Cultural Change: Für den Einsatz von KI benötigen Unternehmen eine andere Art von Mitarbeitenden mit anderen Qualifikationen und einer anderen Art des lösungsorientierten Denkens.
Wenn wir einen Blick auf die Angebotsseite werfen. Was macht Unternehmensberatungen aus, die bereits fundierte Beratungsleistungen zum Thema KI im Portfolio haben?
Mario Zillmann: Auf der einen Seite sind es natürlich die technologiegetriebenen Anbieter, die entsprechende Lösungen entwickelt und einen gewissen Vorsprung an Know-how aufgebaut haben, teilweise auch durch Zukäufe von spezialisierten kleineren Häusern. Zudem konnten es sich viele der großen internationalen Beratungshäuser einfach leisten, aufgrund ihrer Größe ein Stück weit früher in das Thema einzusteigen, bevor die Welle der Nachfrage das heutige Ausmaß erreicht hat. Sie verfügen über andere finanzielle Mittel, um beispielsweise in eigenen Innovationszentren entsprechende Forschung zu betreiben. Es gibt allerdings auch sehr viele kompetente lokale Managementberatungen, die häufig auf einzelne Branchen wie das Bankwesen oder auf einzelne Prozesse in der Wertschöpfungskette, zum Beispiel Produktion oder Logistik, spezialisiert sind.
Welche Potenziale sehen Sie für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz bei der Unterstützung der Projektarbeit in Unternehmensberatungen?
Mario Zillmann: Unternehmensberatungen, die vermehrt auf KI setzen, werden produktiver und im Wettbewerb mit anderen Consultancies sowohl um Kunden als auch um neue Mitarbeitenden Vorteile haben. In der Projektarbeit werden entsprechende Lösungen helfen, den komplexer werdenden Kundenherausforderungen zu begegnen. In der Wirtschaftsprüfung beispielsweise, wenn es gilt, große Datenmengen nach möglichen Unternehmensrisiken zu durchforsten.
Effizienzgewinne durch KI wird es beispielsweise auch im fachlichen Onboarding der Consultants geben. Die Entlastung von Junior Consultants oder auch Associates bei Routineaufgaben wie Recherche, Datenaufbereitung, PowerPoint Charting oder Excel-Dateien-pflegen wird dazu führen, dass sie viel schneller direkt in Kundenprojekte einsteigen können.
Letztlich werden Beratungen, die solche Tools nutzen, auch einen Vorteil auf dem Arbeitsmarkt haben: Die nachkommenden Fachkräfte sind hochgradig digitalaffin und werden den Einsatz solcher Tools zukünftig erwarten.
Das Interview führte Alexander Kolberg.
Über die Person
Mario Zillmann ist Partner beim Marktanalysten Lünendonk & Hossenfelder und verantwortet die Research-Aktivitäten in den Märkten IT-Beratung, IT-Services und Digital Experience Services. Seine fachlichen Schwerpunkte liegen vor allem in Digitalisierungsthemen wie Cloud, Data & Analytics oder Softwareentwicklung.
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