#1Blick vom Beratungsforscher Länge x Breite x Höhe: Die Dimensionen der Berater-Republik

Die Berater-Republik ist da. Und die Consultants sind gekommen, um zu bleiben. Ein beschwichtigendes „ist schon nicht so schlimm“ ist ebenso fehl am Platz, wie eine polemische Abwehr-Überreaktion. Dieser #1Blick stellt die Fakten zusammen und vermisst den Umfang der Staatsberatung in Deutschland.

Nico Semsrott (Die Partei) spielt mit Aufklebern nach der Bewerbungsrede von der Leyens vor den Abgeordneten des Europaparlaments auf ihre Berateraffäre an. Wenn die Entwicklung so weiter geht, werden die nächsten Skandale und Affären in der Berater-Republik nicht lange auf sich warten lassen, so Prof. Deelmann. (picture alliance/dpa | Michael Kappeler)

Berater-Republik in „a nutshell“ 

Die Zahl der Consultants in Deutschland hat 2022 einen neuen Höchststand erreicht und dieser wird 2023 voraussichtlich nochmal übertroffen: Die Marke von 200.000 Beraterinnen und Berater kann geknackt werden. Consultants durchdringen dabei immer mehr gesellschaftliche Bereiche in einer immer größeren Tiefe. Man kann daher durchaus formulieren, dass sich das Land zu einer Berater-Republik gewandelt hat. Dabei ist wichtig: Der Einsatz von Beraterinnen und Berater durch Unternehmen, Verwaltungen, Vereine, Kirchen, NGOs etc. ist dabei per se weder gut noch böse. Allerdings droht die Kontrolle über die Dienstleister zu entgleiten. Eingriffe und Professionalisierung sind notwendig, um sie wieder einzuhegen. 

Die Idee der Berater-Republik, die unterliegenden Wirkmechanismen und ersten Handlungsempfehlungen habe ich hier in einem Buch kondensiert und formuliert und hier nochmal ausgewählte Facetten in einem Interview diskutiert. In den nächsten Absätzen werden die Dimensionen der Berater-Republik detaillierter ausgelotet. 

Ausgewählte Daten und Modellierungen 

Der Bundesverband Deutscher Unternehmensberatungen (BDU) hat ermittelt, dass in 2022 rund 173.000 Consultants aktiv waren. Sie haben einen Gesamtumsatz von 43,7 Milliarden Euro erwirtschaftet. 2021 waren es noch 162.500 Consultants und 38,1 Milliarden Euro. Für den BDU erscheint es gut möglich, dass 2023 ein Marktvolumen von 50 Milliarden Euro erreicht wird. Unterstellt man der Einfachheit halber für 2023 ein ähnliches Umsatzvolumen pro Beraterin beziehungsweise pro Berater wie 2021 (234.000 Euro) oder 2022 (253.000 Euro), dann kann man durchaus erwarten, dass im laufenden Jahr rund 200.000 Consultants zu zählen sind. 

In den Fokus einer kritischen Diskussion geraten regelmäßig die Beratungsausgaben des öffentlichen Sektors, wie etwa das Interesse an der Berateraffäre im Verteidigungsministerium unter Ministerin von der Leyen gezeigt hat oder die Empörung darüber, dass die letzte Regierung Merkel rund eine Milliarde Euro für Consultants und die Ampel-Regierung im ersten halben Jahr ihres Bestehens 271 Millionen Euro ausgegeben haben. 

Der öffentliche Sektor hat in den vergangenen Jahren sehr konstant zwischen neun und zehn Prozent zum Gesamtumsatz der Consulting-Branche beigetragen; 2022 waren es exakt 10,0 Prozent, so der BDU. Dieser stabile Anteil erscheint zunächst beruhigend. Allerdings: Bei einer Verdopplung des Marktvolumens innerhalb von zehn Jahren (22,3 Milliarden Euro in 2012 und 43,7 Milliarden Euro in 2022) haben sich aber auch die Public-Ausgaben etwas mehr als verdoppelt (2,03 Milliarden Euro in 2012 und 4,37 Milliarden Euro in 2022). 

Schaut man noch etwas weiter in die Vergangenheit und vergleicht die Branchenzahlen mit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, dann zeigt sich: Das Bruttoinlandsprodukt ist von 1999 bis 2021 um durchschnittlich jährlich rund 2,6 Prozent gewachsen. Der Beratungsmarkt in Gänze um 5,9 Prozent und der Public-Teilmarkt sogar um 6,9 Prozent.  

Die Beratungsausgaben des Bundes sind rechnerisch in jedem Jahr sogar um 19,1 Prozent angestiegen – die gesamte Ausgabenseite des Bundeshaushalts dabei „nur“ um jährlich durchschnittlich 3,9 Prozent. 

Wichtig ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass die reinen Daten keinerlei Hinweise darüber geben, ob die Ausgaben zu hoch, zu niedrig oder genau passend sind. 

Profitabilität und Rendite der Beratungshäuser 

Interessant ist zudem die Frage nach der Profitabilität des Consulting-Business. Für die Anbieter ist eine einschlägige Messung betriebswirtschaftlich überlebensnotwendig, für die Kunden ist ein solides Verständnis durchaus hilfreich als Ankerpunkt etwa bei Honorarverhandlungen. Bert Erlen hat in seiner Consulting.de-Kolumne „Blick in die Bilanz“ einmal die Profitabilität von verschiedenen Beratungshäusern analysiert. Die EBIT-Marge von Roland Berger lag seinen Angaben zufolge knapp unter und die von Horvath knapp über 10 Prozent; Simon-Kucher hat bei fast 20 Prozent notiert. Für BCG konnte Erlen lediglich 2,8 Prozent ermitteln, dies mag aber den transferierten „Netzwerkumlagen“ in Richtung des amerikanischen Stammhauses geschuldet sein. 

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Auch der BDU hat die Profitabilität für Beratungen unterschiedlicher Größenklassen erhoben und kann für kleine Beratungen eine Umsatzrendite in Höhe von 17 Prozent kommunizieren, für mittlere sowie für große Beratungen eine Rendite von 18 Prozent. Die renditestärksten Beratungen weisen eine Rendite von 25 Prozent aus. Die Datenpunkte stammen aus 2017; ältere Werte aus 2013 sehen aber ähnlich aus. Nutzt man einen dicken Pinselstrich, dann scheint es wohl plausibel, bei vielen Beratungen eine Gewinnmarge zwischen 10 und 20 Prozent zu erwarten. Übertragen auf den öffentlichen Sektor wären dies zwischen 437 und 874 Millionen Euro, insgesamt zwischen 4,37 und 8,74 Milliarden Euro. 

Beratermasseäquivalent 

Es ist natürlich grob vereinfachend, aber auch erhellend, wenn die Marktzahlen und Ausgabenhöhen als Basis für illustrative Vergleiche genutzt werden. Gerade, um einen Eindruck von der Größe beziehungsweise dem Umfang der Unterstützung zu vermitteln, ist dies ein hilfreicher Schritt. 

Die 271 Millionen Euro Beratungsausgaben des Bundes im ersten Halbjahr der Ampel-Regierung lassen sich pragmatisch linear auf ein Jahr hochrechnen (542 Millionen Euro). Möchte man aber etwas zurückhaltender kalkulieren, dann sind vielleicht 520 oder 500 Millionen Euro ein passender Betrag. Für den folgenden Vergleich ebenfalls eher konservativ ist die Annahme, dass Consultants 220 Tage pro Jahr für ihre Auftraggeber arbeiten und diese Anzahl von Tagen fakturiert werden. Unterstellt man nun noch einen durchschnittlichen Tagessatz von 900 Euro (als Ansatzpunkt dienen hier Mittelwerte aus den großen und volumenstarken Rahmenverträgen, die der Bund über diverse Beratungsfelder mit den Branchengrößen vereinbart hat – Mengeneffekte und Premiumpreise gleichen sich dabei in etwa aus, so die Annahme), dann sind rechnerisch tagtäglich 2.525 Consultants für den Bund aktiv. Dies entspricht in etwa der Zahl der Beschäftigen in den größten Ministerien (2.500 beim BMVg, 2.583 in der Zentrale des Auswärtigen Amtes). 

Die entsprechende Berechnung mit den Daten für den gesamten öffentlichen Sektor und den hier realisierten Umsätzen (zehn Prozent des Gesamtmarktes von 43,7 Milliarden Euro in 2022, also 4,37 Milliarden Euro) führt zu rechnerischen 22.071 Consultants. Diese Zahl entspricht ungefähr der Einwohnerzahl einer Stadt mittlerer Größe. Beispiele für diese sogenannten Mittelstädte sind Theodor Storms „graue Stadt am Meer“ Husum an der Nordseeküste, Xanten am Niederrhein mit seiner 2000-jährigen Geschichte als Römerstadt oder das südlich von München und am Nordende des gleichnamigen Sees gelegene Starnberg. 

Die rund 20.000 Consultants sind ebenfalls in etwa so zahlreich, wie die Summe der insgesamt bei der Stadt Köln Beschäftigten, also in den Bereichen Verwaltung, Feuerwehr, Grünflächenpflege, ärztliche Dienste, Erziehung, hauswirtschaftliche Tätigkeiten und so weiter. Und die 20.000 Consultants entsprechen auch grob dem Wert, den man erhält, wenn man die Beschäftigtenzahlen von Innen- (rund 2.100), Finanz- (ca. 1.900), Verteidigungs- (rund 2.500), Wirtschafts- (knapp 2.200) sowie Arbeitsministerium (ungefähr 1.500; alle Daten waren Anfang 2023 auf den Internetseiten der Ministerien zu finden) addiert – und dann noch mal verdoppelt. 

Diese Beratermassenäquivalente – natürlich ein erfundener Begriff – mögen dabei helfen, die Dimensionen der Berater-Republik nicht nur quantitativ zu vermessen, sondern plakativ zu erfassen. 

Internationaler Vergleich: Der erste Blick 

Gerade bei den Ausgaben des Staates für Beratungsleistungen ist es naheliegend und attraktiv, einmal neugierig über die Landesgrenzen zu schauen und den internationalen Vergleich zu wagen. Der BDU schätzt den Anteil des öffentlichen Sektors am Gesamtmarkt (siehe oben) in Deutschland im internationalen Vergleich als eher gering ein. Auf einer Themenseite ist zu sehen, dass der „Anteil Public Sector am Consulting-Gesamtumsatz“ in UK und Dänemark bei 26 und 32 Prozent liegt, in Deutschland bei nur 10 Prozent. 

Damit könnten sich nun alle Beteiligten entspannt zurücklehnen und argumentieren, dass man doch nicht so abhängig sei, wie immer behauptet wird und doch nur sehr wenig Beratungsleistungen benötige, egal, wie stark die Zahlen angestiegen seien (Nachfrager-Sicht) beziehungsweise, dass die Unterstützung der öffentlichen Kunden hierzulande ja nur sehr behutsam erfolge und von einem Ausnutzen kaum die Rede sein könne (Anbieter-Sicht). 

Dann: Äpfel und Birnen 

Beiden Argumentationslinien liegt die Annahme zu Grunde, dass der relativ geringe Anteilswert in Deutschland direkt mit dem relativ hohen Anteilswert im Ausland vergleichbar sei. Das scheint aber zu schnell gedacht beziehungsweise drohen hier die sprichwörtlichen Äpfel mit Birnen verglichen zu werden. 

Zunächst muss man leider festhalten, dass nicht nur in Deutschland eine gewissen Uneinigkeit darüber herrscht, was Consulting eigentlich ist. Auch im internationalen Vergleich fehlt eine einheitliche Definition, um beispielsweise absolute Consulting-Volumina seriös vergleichen zu können. Selbst der europäische Dachverband der nationalen Beraterverbände, die FEACO, schafft es nicht, von ihren Mitglieder einschlägige Daten einzusammeln. Ihr jüngster Jahresbericht aus dem Januar 2023 beispielsweise stellt „nur“ die jeweils nationalen prozentualen Entwicklungen etwa zu den Marktvolumina dar, absolute Werte sucht man vergebens. Das ist in sich durchaus schlüssig und als Vorgehen pragmatisch, wenn nur heterogene Datenreihen vorhanden sind. 

Ergänzend dazu sind die Voraussetzungen für den Einsatz von externen Beratern in einzelnen Ländern sehr unterschiedlich. Dies arbeitet Vincent Grimault in einem Bericht für das European Data Journalism Network deutlich heraus. So zählen Dänemark und Großbritannien zu den „Meistern der Unterauftragsvergabe“. Die Ausgaben für Vorleistungen für öffentliche Services (gemessen als Anteil des Bruttoinlandsproduktes) variieren hier deutlich. Diese Vorleistungen bedeuten, dass eigentlich staatliche Leistungen nicht mehr selber ausgeführt, sondern an Dienstleister ausgelagert werden. Im Ergebnis reduziert dies dann natürlich die Zahl staatlich Beschäftigter. 

Zusätzlich zeigt die Liste der „öffentlichen Beschäftigten im weiteren Sinne“ (= die Beschäftigungsquote in den so genannten verwalteten Behörden, d. h. alle öffentlichen und privaten Arbeitsplätze, welche gemeinnützige Dienstleistungen erbringen) in dieser Studie, dass Deutschland hier sehr auskömmlich aufgestellt ist (mit gut 8 Beschäftigten pro 1.000 Einwohnern im Vergleich zu gut 2 Beschäftigten in UK und 1,5 in Dänemark) – und dementsprechend wohl auch weniger Bedarf daran hat, externe Dienstleister für Beratungsservices einzukaufen. Das Zwischenfazit hier: Wenn in Deutschland mehr Services durch den öffentlichen Sektor selber angeboten werden, dann sinkt c.p. die Menge der insgesamt zugekauften Dienstleistungen und damit einhergehend vermutlich auch die Quantität der Beratungsleistungen. 

Und schließlich ist zu beobachten, dass der Ausgabenanteil von 9 bis 10 Prozent am Gesamtmarkt über Jahre hinweg sehr stabil geblieben ist. Wäre ein struktureller Rückstand, ein Hinterherhinken im internationalen Vergleich, vorhanden, wäre also beispielsweise die Dienstleistung für den öffentlichen Sektor in Deutschland noch unbekannt und müssten Beamte erst mit Beratern Bekanntschaft schließen, dann wäre über die letzten Jahre ein mehr oder minder starker Anstieg des Anteils zu erwarten. Aber gerade ein solcher ist nicht sichtbar. Die Catch-up-These zieht hier also nicht. 

Abschluss 

Betriebswirte sind mit Make-or-Buy-Entscheidungen beziehungsweise ihren Auswirkungen vertraut und auch Volkswirte kennen über etwa die Transaktionskostentheorie Allokationsmechanismen für Aktivitäten und Aufgaben.  

Beide Blickwinkel legen nahe, dass der Einsatz von Consultants nicht per se gut oder schlecht ist – und auch, dass die reine Höhe der Ausgaben ebenfalls als Zahl wenig aussagekräftig ist. 

Allerdings müssen passende Mechanismen für die Dienstleistersteuerung etabliert werden. Das Unterlassen wiederholt einen Fehler, der vielen vermutlich noch als einer in Erinnerung ist, der beim IT-Outsourcing der „1. Generation“ gemacht wurde: Im Rahmen der ersten großen Outsourcing-Verträge sind seinerzeit typischerweise alle IT-Beschäftigten der Kunden zu den Dienstleistern übergegangen. Auch hier war die Grundidee der Verlagerung nicht per se schlecht – aber der damit einhergehende sofortige Verlust von Steuerungsexpertise war schmerzhaft. Es fehlte damit an der sogenannten „Retained Organization“. Nicht so sprunghaft, aber ebenso potenziell schmerzhaft entwickelt sich die Situation im öffentlichen Sektor. Der Gesamtpersonalbestand ist seit den 1990er Jahren zunächst massiv zurückgegangen und stagniert seither. Die Zahl der Consultants hat hingegen deutlich zugenommen – ein daraus ohne viel Phantasie ableitbares Szenario von Kundenorganisationen ohne ausreichende Consulting-Expertise macht keinen Mut. 

Zu befürchten ist vielmehr, dass die Kompetenzen zur Steuerung der externen Helfer bisher nicht im erforderlichen Umfang aufgebaut wurden und gewachsen sind. Und wenn diese Situation nicht behoben wird, dann führt dies wiederum zu Problemen im Umgang der Beamten mit den Beratern. Und dann werden die nächsten Skandale und Affären in der Berater-Republik nicht lange auf sich warten lassen. Leider. 

 

Über die Person

Professor Thomas Deelmann arbeitet seit über 20 Jahren als, mit, für und über Berater. In seiner consulting.de-Kolumne #1Blick kommentiert er Marktentwicklungen aus der Vogelperspektive und schaut hinter die Kulissen der Arbeit von Beratern und ihren Kunden. Er lehrt an der HSPV NRW, twittert @Ueber_Beratung und berät bei strategischen Fragen. Als Buch erschien von ihm zuletzt „Die Berater-Republik – Wie Consultants Milliarden an Staat und Unternehmen verdienen“ (2023, 256 Seiten, FinanzBuch... mehr

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