#1Blick vom Beratungsforscher Lilli McKinsey & die KI-Dividende

Künstliche Intelligenz hat Auswirkungen auf die Consulting-Branche, so viel scheint unstrittig zu sein. Die Platzhirsche nehmen auch bereits Veränderungen an internen Prozessen vor – und sehen, dass dadurch Bearbeitungszeiten reduziert werden können. Dieser #1Blick fragt, was mit der gewonnenen Zeit geschieht. Beratungsprojekte können für Kunden günstiger, für Beratungen profitabler oder für beide umfangreicher werden. Eine „KI-Dividende“ steht also im Raum – offen ist, wer sie erhält.

(Bild: picture alliance / Alexander Limbach/Shotshop | Alexander Limbach)

Rückblick

Zugegeben, der Beitragsüberschrift klingt nach einer neuen Kinderabenteuergeschichte oder wie der verkappte Titel eines drittklassigen Regionalkrimis. Er ist aber viel mehr der Fingerzeit auf Dreierlei: Den Einsatz von Technologie, die Würdigung einer der ersten Frauen in der Beratungsbranche und das Aufkommen einer Verteilungsfrage. Aber der Reihe nach.

An anderer Stelle fragt ein #1Blick, ob Künstliche Intelligenz (KI; engl. Artificial Intelligence, AI) wirklich wichtig für das Consulting wird. Hilfreich war das Abschichten in drei Felder: KI als Beratungsthema, Auswirkungen von KI auf die beratungsinternen, eher kundenfernen Prozesse sowie die etwaigen Veränderungen am Consulting-Geschäftsmodell durch KI.

Als kritisch sind die Auswirkungen auf die Personalpyramide und auf das Finanzmodell der Beratung identifiziert worden. Das Vertrauen der Kunden in die KI beziehungsweise in die KI-unterstützten Lösungsvorschläge war durchweg eine notwendige Voraussetzung. Als Antwort auf die Ausgangsfrage des #1Blicks „Does AI matter?" gab es am Ende ein klares Ja!

Was die Platzhirsche meinen

Hier setzt dieser #1Blick an und fokussiert zunächst auf die dritte der oben skizzierten Perspektiven: Kann KI das Geschäftsmodell von Beratungen unterstützen oder sogar den Consultants wesentliche Arbeitspakete abnehmen?

Überraschend wäre es, wenn Consultants zu den Möglichkeiten, die sich ihnen mit und durch KI bieten, still bleiben würden. Und tatsächlich haben sich mittlerweile einige Berater und jede Menge Berater-Berater geäußert und Statements zu ihren Sichten, Wünschen und Erwartungen abgegeben. Auf der Anwendungsebene werden emsig verschiedene Listen und Werkzeugkästen à la „ChatGPT für Berater“ zusammengestellt, etwa hier oder hier. Etwas abstrakter spricht BDU-Präsident Ralf Strehlau für die Branche: „Klar ist: Für Unternehmensberatungen liegt in der neuen Technologie enormes Potenzial – und das gilt sowohl für die Arbeit im Kundenauftrag als auch für die Neuordnung der eigenen Prozesse.“ Er sieht also Neugeschäft für die Branche, aber auch interne Effekte bei einem KI-Einsatz.

Interessant ist typischerweise zu beobachten, wie die Platzhirsche agieren. Im Sommer haben sich Chefs der großen Häuser zu Wort gemeldet. Eine gute Gelegenheit, um ihre Einschätzungen zu sammeln:

  • Bains Weltchef Manny Maceda sieht im Interview mit Tanja Kewes vom Handelsblatt nicht nur allgemein ein weltveränderndes Potenzial von KI, sondern schlägt zunächst für sein Unternehmen einen ähnlichen Bogen, wie Strehlau für die Branche: „Wir dachten zunächst, dass es [gemeint ist die Kooperation mit OpenAI und konkret der Einsatz von ChatGPT; TD] eine nützliche Technologie für uns als Berater sein könnte, um einen intelligenten Assistenten zu haben, der uns hilft, uns schlanker aufzustellen. Doch dann kam die neue Version, die unsere Vorstellungskraft beflügelt hat, dass diese Technologie für alle Bereiche und alle Ebenen hilfreich sein könnte.“

Im Verlauf des Interviews gibt es noch zwei interessante Consulting-spezifische Ergänzungen. Zunächst die offene Frage der Redakteurin: „Wie wird KI die Beratungsindustrie verändern?“ und die Antwort von Maceda: „Wir werden uns noch stärker auf unser eigentliches Beratungsgeschäft konzentrieren können. Viele Zu- und Nacharbeiten werden Anwendungen, die auf KI beruhen, erledigen können.“ Dann zugespitzt die die Frage: „Werden Sie eines Tages Roboter zu Ihren Kunden schicken? KI statt Mensch? [Macedas Antwort:] Nein, das glaube ich nicht.“

  • Die „Arbeitsteilung“ zwischen Künstlicher Intelligenz und menschlichem Consultant wird von Andreas von der Gathen (CEO von Simon-Kucher) in einem Interview mit dem Harvard Business manager so gesehen: „[Frage:] Was bleibt dann [wenn die Kunden künftig viele Beratungsleistungen auch von einer Kl-Anwendung erhalten können; Fortsetzung einer vorangegangenen Frage; TD] noch für Sie als Berater? [Antwort:] Die einfachen Sachen werden Unternehmen mit KI selbst machen können. Aber Kern der Beratung ist, Antworten auf schwierige Fragen zu finden, und die Berater werden KI dafür als Tool nutzen. Wir setzen KI auch heute schon ein. Ich bin überzeugt: Die Beratungsbranche wird vielleicht personalmäßig nicht mehr so stark wachsen wie früher, aber wertmäßig auf jeden Fall.“ (HBM, August 2023, S. 72-77, hier S. 75)
  • Eine eher nachdenkliche Aussage über die Entwicklungen in der Branche beziehungsweise innerhalb der einzelnen Beratungen stammt von McKinsey. „Alex Singla [Global Leader von QuantumBlack, aka McKinseys KI-Chef; TD] is vaguely worried skipping the time-consuming part of actually reading and digesting raw information may eventually hinder one’s ability to synthesize complex data, which he said is ‚a skill people need to learn and a key strength of management consultants.‘“

Der Tenor lautet also: KI wird nicht nur den Kunden verkauft, sondern auch im Rahmen des Beratungsprozesses genutzt oder genutzt werden. Das Motto lautet hier: Eat your own dog food.

Lilli McKinsey

Von McKinsey gibt es aber nicht nur die zurückhaltenden Töne über die Auswirkungen auf die Kompetenzen einzelner Consultants. Die Firma erlaubt an anderer Stelle einen seltenen Einblick in ihre neue Arbeitswelt. Aktuell getestet wird der Einsatz von Lilli. Dies ist eine generative KI, die nach der ersten bei McKinsey angestellten weiblichen Fachkraft benannt ist: Lillian Dombrowski, 1945 in New York als Buchhalterin eingestellt und später als Controllerin, Corporate Secretary und Archivarin aktiv.

Die KI-Lilli kann (hoffentlich unter Berücksichtigung diverser Chinese Walls) mit allgemein verfügbaren Daten und Informationen, wie sie etwa auch von ChatGPT genutzt werden, McKinsey-eigenem Input und schließlich kundenspezifischen Daten trainiert und dementsprechend für unterschiedliche Zwecke beziehungsweise Fragestellungen herangezogen werden. Erik Roth, der für die Einführung verantwortliche McKinsey-Partner, zeigt sich nach den ersten Wochen der Beta-Testphase mit 7.000 Test-Usern begeistert: „[Lilli] has already cut down the time spent on research and planning work from weeks to hours, and in other cases, hours to minutes.

Der Einsatz von Lilli soll in fast jedem Schritt der Consultant-Kunde-Zusammenarbeit erfolgen können, von der reinen Informationssammlung über etwa Kundenbranchen und Kundenwettbewerber bis hin zur Formulierung von Implementierungsplänen.

Wenn sich der Senior Partner jetzt so enthusiastisch zeigt, dann liegt die Vermutung nahe, dass dies in Kürze auch Auswirkungen auf die übrigen McKinsey-Consultants haben wird. Und damit auch auf die Kunden.

KI-Dividende

Sollten nämlich wirklich größere Teile der Arbeit Dank Lilli (oder anderen KIs in anderen Beratungen) in einem Bruchteil der bisher notwendigen Zeit erledigt werden können, dann stehen Fragen im Raum wie zum Beispiel: Was geschieht mit dieser frei gewordenen Zeit? Welche weiteren Auswirkungen ergeben sich? Wer profitiert wie davon? An dieser Stelle entsteht eine „KI-Dividende“, die wiederum verteilt werden will.

Hier gibt es mindestens drei Möglichkeiten. Vereinfacht gesprochen: Projekte könnten, erstens, nun schneller bearbeitet und beendet werden; mit signifikanten Auswirkungen auf das notwendige Personalgerüst, die interne Finanzstruktur und damit das Geschäftsmodell der Beratungen. Projekte könnten aber, zweitens, auch inhaltlich ausgedehnt werden, um das nun freigewordene Budget des Kunden auszuschöpfen; wobei sich zumindest in einigen Fällen die Frage stellt, welche „Zusatzleistungen“ jetzt als unabdingbar angepriesen und verkauft werden, die bisher weniger wichtig erschienen und out-of-scope waren. Oder, drittens, die Projektstruktur bleibt im Wesentlichen unverändert, weil etwa die Kunden die KI-induzierten Veränderungen nicht im notwendigen Umfang nachvollziehen können und nicht entsprechend reagieren; dann wird es für die Beratung profitabler. Eine Vermengung aller drei Fälle ist selbstredend ebenfalls denkbar.

Beratungen sollten nun überlegen, wie sie sich hier positionieren und ob etwa das liebgewonnene „Time & Material“-Abrechnungsmodell noch trägt. (Gleiches gilt übrigens auch für Festpreisprojekte, die ja oft auch auf Basis von Zeiteinheiten kalkuliert werden.) Für die Kundinnen und Kunden heißt es hingegen aufpassen, was als Arbeitspaket formuliert beziehungsweise was und wofür abgerechnet wird.

Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz wird zu Effizienzgewinnen führen. Offen ist aber noch, wer die Hand aufhalten und die KI-Dividende einstreichen kann.

CONSULTING.aktuell: der Newsletter der Consultingbranche

News +++ Jobs +++ Whitepaper +++ Webinare
Wir beliefern täglich mehr als 4.000 Abonnenten
 

Über die Person

Professor Thomas Deelmann arbeitet seit über 20 Jahren als, mit, für und über Berater. In seiner consulting.de-Kolumne #1Blick kommentiert er Marktentwicklungen aus der Vogelperspektive und schaut hinter die Kulissen der Arbeit von Beratern und ihren Kunden. Er lehrt an der HSPV NRW, twittert @Ueber_Beratung und berät bei strategischen Fragen. Als Buch erschienen von ihm das Sachbuch „Die Berater-Republik – Wie Consultants Milliarden an Staat und Unternehmen verdienen“ (2023, 256 Seiten,... mehr

Diskutieren Sie mit!     

Noch keine Kommentare zu diesem Artikel. Machen Sie gerne den Anfang!

Um unsere Kommentarfunktion nutzen zu können müssen Sie sich anmelden.

Anmelden

Weitere Highlights auf CONSULTING.de

Editors Choice

alle anzeigen