Stefan Müller, Senior Manager bei BearingPoint Logistik: Vom notwendigen Übel zum zentralen Ort digitaler Innovation

Mit Logistik verbinden viele Menschen noch das Bild des Staplerfahrers, der palettenweise Ware von A nach B durch große Industriehallen fährt. Auch wenn das natürlich auch heute noch in vielen Unternehmen zum Alltag gehört, merkt man deutlich, dass Innovationen immer stärker an Bedeutung gewinnen. Logistik wird zunehmend zentraler Teil der Smart Factory – einer intelligenten, digital vernetzten und automatisierten Fabrik.

Autonome Transportsysteme werden in der Logistik der Zukunft eine tragende Rolle spielen. Im Bild ein Szenario am Messestand der Firma Rexrodt während der Hannover Messe 2019. (Bild: picture alliance / Rupert Oberhäuser | Rupert Oberhäuser)

Die Rolle der Logistik war in der Vergangenheit klar definiert: Ware musste zum richtigen Zeitpunkt, in der richtigen Menge am richtigen Ort sein. Wie dies sinnvoll funktioniert, hat sich in den letzten Jahrzehnten immer wieder gewandelt. Schnell haben Unternehmen erkannt, dass Logistik keine wertschöpfende Tätigkeit ist und dementsprechend die Logistikkosten möglichst gesenkt werden sollen. Bestände wurden reduziert, Wertströme bis hin zur „Just-in-Sequence“ (JIS) Anlieferung optimiert und viele Teilbereiche mit großen Investitionen automatisiert (beispielsweise Automatikläger oder fahrerlose Transportsysteme).

Logistik der Zukunft mit KI und autonomen Systemen

Trotz aller Optimierung bleibt die Logistik ein nicht zu unterschätzender Kostenfaktor. Und viele Lean-Ansätze der letzten Jahrzehnte haben zwar die Prozesse verbessert, deren gleichzeitige Digitalisierung aber nicht immer berücksichtigt. Als wäre das nicht schon genug, wird die Welt volatiler und damit Logistikprozesse immer kurzlebiger. Hard- und Software müssen flexibel auf neue Situationen anpassbar sein und dürfen keine Verhinderer zukünftiger Wertströme und Produktionsprozesse sein.

  • Wie kann solch eine Logistik der Zukunft aussehen?
  • Welche Investitionen mit schnellem Return on Invest sind heute sinnvoll für Unternehmen?
  • Wie kann Digitalisierung eine Entlastung auf der Suche nach Fachkräften sein?

Ein Teil der Lösung kann im Einsatz von künstlicher Intelligenz und autonomen Systemen in der Logistik liegen. Viele solcher Lösungen lassen sich ohne größere Investitionen leicht pilotieren und nach dem Beweis erster Erfolge dann auch problemlos in Unternehmen über mehrere Standorte hinweg skalieren. Im Folgenden sollen dabei vor allem autonome Transportsysteme einerseits sowie die digitalisierte Steuerung der Logistik andererseits im Fokus stehen.

Autonome Transporte

Ein Kernaspekt in der Logistik produzierender Unternehmen ist ein Transport von Waren innerhalb der Fabrik – vom Wareneingang in ein Lager, vom Lager in die Produktion et cetera. Hier hat sich in den letzten Jahren unglaublich viel getan und das klassische Bild des Gabelstaplerfahrers, der auf Zuruf waren transportiert, ist in vielen Fällen längst Geschichte. Dabei wurden Gabelstapler beispielsweise durch Routenzüge und fix getaktete Fahrpläne zum bedarfsorientierten Auffüllen ersetzt. Außerdem wurden teure Automatisierungslösungen umgesetzt, in denen sogenannte Fahrerlose Transportsysteme (FTS) mit hohen Investitionskosten auf festen Routen Transportaufträge übernehmen. Oft sind es aber immer noch Menschen, die die Routen planen und oft auch immer noch die Fahrzeuge steuern.

  • Was wäre, wenn Ware zukünftig in der Intralogistik selbständig und vollautomatisiert von A nach B kommt?
  • Was wäre, wenn KI den Weg zwischen Start und Ziel selbst bestimmt – und das ganz ohne große Investitionen in Infrastruktur?

Hier kommt eine neue Technologie ins Spiel: Autonome mobile Roboter (AMR). Von vielen Anbietern gibt es inzwischen für unterschiedliche Zwecke entsprechende Transportsysteme, die selbstständig (ähnlich der in autonomen Autos zukünftig verbauten Technologie) in Werken navigieren und nach einer kurzen Anlernphase selbständig von definierten Startpunkten zu definierten Endpunkten navigieren können.

Schneller ROI bereits mit kleinen Flotten

Der Knackpunkt ist dabei die eigenständige Navigation und die Orientierung nicht nur der eigenen Position, sondern auch das Erkennen möglicher Hindernisse, anderen Verkehrsteilnehmern sowie gegebenenfalls relevanter Infrastruktur (wie beispielsweise von Brandschutztoren).

Durch die autonome Orientierung der Roboter ohne fest installierte Infrastruktur lässt sich durch AMR bereits mit kleinen Flotten ein schneller Return on Invest erzielen – erst recht, wenn sie erfolgreich in die IT eingebunden sind.

Künstliche Intelligenz (KI) spielt in solchen Lösungen nicht nur für die Navigation eine Rolle, sondern auch beim Betrieb entsprechender Roboterflotten. Über die Navigation hinaus spielt KI auch beim Betrieb entsprechender Flotten eine große Rolle. Dabei geht es nicht nur um regelbasierte Vorgaben für das Zusammenspiel von Flotten (zum Beispiel beim gleichzeitigen Anfahren von Ladestationen), sondern beispielsweise auch um die automatisierte Fehlererkennung im täglichen Betrieb.

AMR gibt es inzwischen für viele Einsatzbereiche. Angefangen von autonomen Kleinlagern, die mit minimalem Platzbedarf maximalen Lagerplatz bei gleichzeitiger Flexibilität bieten, über den Transport von Behältern innerhalb der Produktion bis hin zum Rangieren von kompletten Trailern auf dem Werksgelände.

Autonome Transporte allein sind aber noch kein autonomer Wertstrom. Zwei zusätzliche Punkte fehlen:

  • die Vernetzung einzelner Systeme miteinander und
  • die passenden autonomen Prozesse in der Disposition der Logistikprozesse.

Logistik als zentraler Ort digitaler Innovation ist autonom, transparent, vernetzt und kollaborativ. Zum Vergrößern anklicken. (Grafik: BearingPoint)

Kollaborative Logistik

Auch in einer zukünftigen, autonomen Logistik wird der Transport nur ein Teil eines logistischen Wertstroms sein.

Eine Integration mit vor- und nachgelagerten Prozessen ist der logische nächste Schritt beim Aufsetzen intelligenter Gesamtprozesse.

Eine solche durchgängige Denkweise beginnt beispielsweise beim Anfordern eines Transports. Während einfache Anwendungsfälle per Knopfdruck lediglich einen AMR zu einem definierten Abholpunkt ordern, kann beispielsweise die Integration mit sogenannten Wearables (also Datenbrillen, smarten Handschuhen et cetera) nicht nur den Transport anfordern, sondern gegebenenfalls auch direkt Informationen über die benötigte Ware mitgeben.

Auch für des Ein- und Ausladen von Behältern stehen inzwischen kollaborative Roboter zur Verfügung. Einmal angelernt, erkennen diese per Bilderkennung unterschiedlichste Waren und können darauf angepasst agieren.

Am Ende ist entscheidend, dass die Prozessschritte Hand-in-Hand ineinandergreifen.

Insbesondere in durchgängig digitalisierten Prozessen wird eine solche Integration dann zum wirklichen Erfolgsfaktor für eine zukünftige, flexible und hochautomatisierte Logistikkette.

Steuerung der Logistikprozesse

Als dritter Punkt ist die Steuerung der logistischen Prozesse von Bedeutung. Wir bewegen uns weg vom Lager und weg von der Produktion und werfen nun einen Blick in die dispositiven Tätigkeiten rund um die Logistik und die Materialwirtschaft.

Auch wenn die Prozesse dort seit Jahrzehnten inzwischen softwaregestützt laufen, übernehmen Menschen heute noch eine Vielzahl der anfallenden Arbeitsschritte. Stammdaten müssen aufwendig gepflegt werden, damit die Prozesse richtig laufen.

Die Versorgungsabsicherung erfolgt über feste Arbeitsvorräte – und immer wieder werden Dinge übersehen, sind Daten falsch und am Ende droht entweder ein Materialengpass oder Bestände veralten und werden obsolet.

Auch hier bieten sich unendliche Einsatzbereiche für KI-Lösungen und autonom agierende Prozesse. Bei der Stammdatenpflege beispielsweise können über Regelwerke Zusammenhänge innerhalb von integrierten Systemen überprüft werden. Wenn beispielsweise ein Bedarf für eine bestimmte Sachnummer vorliegt, müssen auch die Parameter für die logistische Versorgung entsprechend gepflegt sein. Über solche automatisierten Stammdatenchecks lassen sich – je nach Komplexität des Regelwerks – viele mögliche Fehler bereits im Vorfeld verhindern.

Arbeitsvorräte – Maschinen als planende Entscheider

Ein weiterer Aspekt ist die Simulation in die Zukunft. Basierend auf den vorhandenen Daten zu Abrufen, der logistischen Steuerung und dem geplanten Nachschub lässt sich leicht eine Vorschau in die kommenden Wochen realisieren und entsprechend visualisieren. Daraus können ganz neue, variable Arbeitsvorräte entstehen und der Fokus wirklich auf die kritischen Komponenten gelenkt werden.

Hier kommt nun für die Logistik der Zukunft wieder KI ins Spiel: Was, wenn nun ein entsprechendes System den Arbeitsvorrat autonom abarbeitet und die logistischen Parameter jederzeit dem Bedarf in Menge und Zeitpunkt anpasst – ganz ohne manuellen Eingriff? Technisch möglich ist das heute bereits.

Den meisten Unternehmen fehlt hier jedoch der Mut, sich auf ein maschinelles Entscheiden einzulassen.

Trotzdem bleiben unendliche Chancen, spannende Innovationen einzusetzen und damit nicht nur die Prozesse zu optimieren, sondern sogar Mehrwert durch eine drastisch höhere Flexibilität zu schaffen.

Innovationen als Chance und Wettbewerbsvorteil

Alle genannten Beispiele eignen sich hervorragend, sowohl für kleine als auch große Unternehmen, die sich bereits heute für eine erfolgreiche Zukunft aufstellen wollen. Dabei schlagen sie gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe: während gleichzeitig ein schneller Return on Invest möglich ist (die Rentabilität der Lösungen ist also sehr hoch), wappnet man sich gleichzeitig mehr für eine Zukunft mit immer relevanter werdendem Fachkräftemangel und Personalengpässen.

Die Zukunft der Logistik ist autonom, vernetzt, transparent und im kollaborativen Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine. Trotzdem wird es zunehmend darum gehen, mit immer weniger vorhandenen Mitarbeitern Produktion und Logistik am Laufen zu halten.

Das Gute an vielen der vorgestellten smarten Lösungen ist, dass die Technologien stufenweise skalierbar sind und bestens zusammenspielen. Sie lassen sich kombinieren, um die individuelle Wirksamkeit weiter zu steigern. Die Vorstellung autonomer Wertströme, die abhängig von den Bedarfen der Produktion mehr oder weniger automatisch den logistischen Nachschub organisieren, rückt damit in greifbare Nähe. Es gibt viele Gründe, den Einstieg zu wagen und sich mit digitalen Innovationen in der Logistik auseinanderzusetzen. Auf dieser Grundlage gilt es dann, die richtigen Anwendungsfälle und Technologien auszuwählen, zu pilotieren und danach vor allem auch erfolgreich zum Leben zu erwecken.

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Über die Person

Stefan Müller ist Senior Manager bei der Management- und Technologieberatung BearingPoint. Seine fachlichen Schwerpunkte sind u.a. die Digitalisierung von Produktion und Logistik sowie Veränderungsprozesse in Organisationen. Auf LinkedIn diskutiert er darüber hinaus leidenschaftlich über die Zukunft von Mobilität und Automobilindustrie. 

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