#1Blick vom Beratungsforscher McKinsey zahlt – aber keine Strafe

Omnipräsenz von McK
McKinsey gilt gemeinhin als Consulting-Vorzeigeunternehmen und wird bei positiven wie negativen Entwicklungen in der Branche illustrativ herangezogen. In den letzten Tagen ist das Unternehmen selber mehrfach prominent in Erscheinung getreten: Zum einen bei der Neuwahl des globalen CEO, hier wurde erstmalig der aktuelle Chef nach seiner ersten Amtszeit nicht wiedergewählt. Zum anderen versucht McKinsey, der Opioid-Krise in den USA, die es nach Meinung von Kritikern selber mit verursacht oder zumindest befördert hat, zu entkommen und zahlt dafür viel Geld.
Eine Verbindung zwischen beiden Ereignissen wird von Beobachtern teilweise hergestellt, kann aber hier zunächst unberücksichtigt bleiben, da in diesem #1Blick nicht die firmeninternen Entwicklungen im Mittelpunkt stehen sollen, sondern die Verwerfungen am Markt. Die Geldzahlung kann nämlich am Selbstverständnis einer ganzen Branche rütteln.
Opioid-Krise in den USA - und welche Rolle McKinsey dabei spielt
Die USA sind in den vergangenen Jahren in eine Opioid-Krise mit mehreren hunderttausend Toten geraten. Vereinfacht gesagt wurden in den USA leichtfertig Schmerzmittel verschrieben, die in hohem Maße abhängig machen. Verschiedene Pharmaunternehmen haben einerseits mit massiven Marketingmaßnahmen versucht, den Absatz zu steigern, andererseits haben sie das Suchtrisiko lange Zeit verharmlost.
Für einen der Hersteller, Purdue Pharma (Hersteller des Schmerzmittels Oxycontin), hat auch McKinsey gearbeitet. Purdue hat seine Schuld eingestanden, 8,3 Milliarden US-Dollar gezahlt und zwischenzeitlich Insolvenz angemeldet. McKinsey hat mit dem Projekt Turbocharge Purdue dabei unterstützt, die Verkaufszahlen von Oxycontin zu erhöhen. Ende 2020 hat sich McKinsey entschuldigt (We "have a responsibility to take into account the broader context and implications of the work that we do. Our work for Purdue fell short of that standard.") und vor einigen Tagen einer Zahlung in Höhe von 573 Mio. US-Dollar im Rahmen eines Vergleiches zugestimmt. Mit dem Vergleich ist kein Eingeständnis eines Fehlverhaltens oder einer Verantwortlichkeit verbunden.
Rütteln an den Grundfesten des Berater-Selbstverständnis
Die Besonderheit dieses Vorgangs – neben den mit der Krise verbundenen menschlichen Schicksalen – liegt in der Art und Weise der Selbstwahrnehmung und Selbstdarstellung von Beratern. Traditionell lautet das Selbstverständnis der Branche, dass Berater beraten, also Rat geben und für die Umsetzung nicht verantwortlich sind. Entscheidungen trifft immer der Kunde.
Diese Grundfeste prägen das Beratungsselbst- und -fremdbild und sie sind in allen Beratungsformen zu finden, die von einem direkten Gutachten über die Erarbeitung einer Problemlösung gemeinsam mit dem Kunden und über Hilfe-zur-Selbsthilfe-Projekte bis hin zur systemischen, zielbildlosen Irritation der Kundenorganisation reichen können. Das Bild hat sich in den letzten Jahren zwar etwas aufgeweicht, wenn Kunden beispielsweise nicht nur PowerPoint-Folien erhalten, sondern auch Hilfe bei der Implementierung der Empfehlungen haben wollten oder Beratungen sich teilweise gezwungen sahen, auch Bodyleasing in ihr Portfolio zu aufzunehmen (... auch wenn sie es aus guten Gründen nicht so sagen).
Allen Varianten ist jedoch gemein, dass die Entscheidung für oder gegen eine Empfehlung immer der Kunde treffen muss. In Beschreibungen zur Tätigkeit "Beratung" kommt diese Rollenverteilung zum Ausdruck, zum Beispiel hier:
"Als organisationale Beratung wird ein professioneller, vertraglich beauftragter Dienstleistungs- und Transformationsprozess der intervenierenden Begleitung durch ein Beratersystem bei der Analyse, Beschreibung und Lösung eines Problems des Kundensystems – im Sinne einer Arbeit an Entscheidungsprämissen - mit dem Ziel der Transformation verstanden."
Das bedeutet: Beratung arbeitet zwar an den Problemen des Kunden, aber immer nur unter dem Vorbehalt, dass die Entscheidungsgewalt und -verantwortung bei diesem liegt.
Dies spiegelt sich auch im BGB wider: Hier wird in den §§ 611 und 631 von Dienst- und Werkverträgen gesprochen. Bei Werkverträgen muss ein definiertes Etwas geliefert werden, bei Dienstverträgen steht die erbrachte Leistung, oft in Form von Arbeitszeit, im Mittelpunkt. Berater haben ein Faible für Dienstverträge.
"Berater haften für ihre Kunden"
Diese etablierte Rollenverteilung hat mit der Entschuldigung von McKinsey für das Handeln und der Vergleichszahlung zur Befriedung von Rechtstreitigkeiten einen Schlag erhalten. Auch wenn die Zahlung von knapp 600 Mio. US-Dollar explizit kein Schuldeingeständnis darstellt, so schwingt implizit doch immer der entsprechende Gedanke mit, dass der Consultant hier für die Handlungen des Kunden haften könnte.
Die Opioid-Episode spielt zwar in den USA, aber auch in Deutschland bestehen schon heute Haftungsmöglichkeiten. Der auf das Recht der Unternehmensberatung spezialisierte Rechtsanwalt Professor Dr. Andreas Quiring merkt hierzu (in einem Interview mit dem Autor für ein jüngst erschienenes Buch) grundsätzlich an: "Professionelle Ratgeber können ihren Kunden, unter Umständen aber auch deren Banken und Gesellschaftern, regresspflichtig werden." Dafür genügt es beispielsweise schon, wenn der Consultant "ein berechtigter Weise in ihn gesetztes Vertrauen vorwerfbar enttäuscht [hat.]"
Wenn die Zahlung von McKinsey (die Summe entspricht übrigens circa sechs Prozent des globalen Jahresumsatzes) einen Dammbruch anzeigt und die Kunden auch an anderen Stellen stärker ihre Consultants in Haftung nehmen, dann kann dies zu einer Veränderung der Arbeitsweise führen und zu einem risikoaversen Agieren überleiten. Die zukünftige Zusammenarbeit zwischen Beratern und ihren Kunden wird sich deutlich verändern, wenn es in Anlehnung an ein bekanntes Warnschild heißt: "Berater haften für ihre Kunden!"
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/pj
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