Dagmar Hebenstreit, Agileus Consulting Mehr Mut zur Frau in Beratungen! Warum lassen Beratungen so viel Potenzial auf der Straße liegen?

Auf den ersten Blick lesen sich die Zahlen des BDU vielversprechend: 39 Prozent der Mitarbeitenden in Unternehmensberatungen sind Frauen. Der zweite Blick ist ernüchternd: Nur 14 Prozent haben eine Leitungsposition inne. Zwar haben viele Beratungen spezielle Programme für Frauen initiiert, doch reichen sie nicht aus, um mehr Frauen in Führungspositionen von Beratungen zu bringen. Die Branche braucht einen fundamentalen Wandel in der Unternehmenskultur!

Wie können Unternehmensberatungen mehr Frauen für den Consultant-Beruf begeistern? Agile Arbeitszeitmodelle sind eine Lösung. (Bild: picture alliance / Zoonar | Robert Kneschke)

Vor sechs Jahren habe ich mit meinem Vater Agileus Consulting gegründet. Wir unterstützen unsere Kunden dabei, mit einer agilen Unternehmenskultur schneller und effektiver auf Marktveränderungen reagieren zu können und so fit für aktuelle und künftige Herausforderungen zu sein. Unser diverses Team zeichnet sich durch unterschiedliche Hintergründe, Charaktere und Interessen aus. Bei uns hat jeder die gleiche Stimme und wird gehört. Und wir sind fast zur Hälfte Frauen – auch ohne Quote. Wie das geht? Eine Umfrage in meinen sozialen Netzwerken zeigt: Beraterinnen wollen keinen Quoten-Stempel, sondern aufgrund ihrer Kompetenz anerkannt, gefördert und einfach nur gleichbehandelt werden.

Warum sind so wenig Frauen in Beratungen?

Das wundert mich gar nicht. Beratungen haben immer noch den Ruf der Knochenmühle, trotz New Work und Home-Office: 16-Stunden-Tage, endlose Meetings am Rechner, verschwimmende Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben, keine Zeit für Hobbies, Sport und Freizeit. Die Erwartungshaltung der Branche, nämlich always on sein zu müssen, schreckt viele Frauen ab, vor allem wenn neben der Karriere- auch Familienplanung zum Lebensentwurf gehört. Oft dient ein Job in der Beratung als Sprungbrett in andere Branchen - viel länger als zwei Jahre bleiben die Wenigsten dabei.

Diese Knochenmühle habe ich selbst noch erlebt und wusste: Das machst Du nicht mit. Es muss doch auch anders gehen.  Aber wie?

Die Erfolgsformel basiert auf zwei einfachen Erkenntnissen:

  1. Wer viel arbeitet, muss auch die Gelegenheit zum Erholen bekommen. Ich arbeite viel, nehme mir aber die Freiräume, die ich brauche, um meine Akkus wieder aufzuladen: Reisen, Sport, Freunde, Familie. Die gleichen Freiräume, die ich mir nehme, gestehe ich auch meinem Team zu. Jede:r bekommt bei uns die Chance, seine individuelle Work-Life-Balance zu etablieren, damit wir alle unseren Job gesund, motiviert und belastbar ausüben können und nicht irgendwann mit physischen und psychischen Problemen in einer Arztpraxis sitzen. Was es dazu braucht? Zuerst einmal den festen Wunsch und einen eisernen Willen, es tatsächlich umzusetzen. Vom Himmel fallen solche Veränderungsprozesse schließlich nicht. Die Säulen bilden Vertrauen, Transparenz, Disziplin, klare Strukturen und feste Regeln.
     
  2. Motivation lässt sich nur bedingt extrinsisch, etwa durch Gehaltserhöhungen, erzielen. Sie muss aus mir selbst kommen, weil ich Lust auf meine Arbeit habe und mir Spaß macht, was ich tue. Das versuchen wir umzusetzen, indem unsere Mitarbeiter, im Alignment mit unseren Unternehmens- und den Kundenzielen, einen großen Entscheidungsspielraum haben, z.B. wie sie Dinge umsetzen, woran sie sich beteiligen wollen und was sie dafür benötigen. Auch hierfür bedarf es Mut, Transparenz, Disziplin und einer großen Portion Vertrauen.

Seit unserer Gründung mache ich mit dieser Einstellung durchweg positive Erfahrungen. Bei uns bewerben sich nicht nur viele Frauen, sondern auch Young Professionals – und sind bisher alle geblieben – was für unsere Branche herausragend ist.

Agile Arbeitszeitmodelle statt „Head Down and Deliver“

Wie sieht bei uns die konkrete Umsetzung aus? Der Hauptbaustein ist unser agiles Arbeitszeitmodell, mit dem wir uns im Consultingmarkt differenzieren – sowohl intern als auch extern. Wenn wir unsere Kunden zu agilen Schritten bewegen wollen, müssen wir als Beratungsunternehmen ebenfalls zukunftsorientiert und innovativer sein als unsere Mitbewerber. Unsere Mitarbeitenden entscheiden selbst, wie viel Geld sie verdienen und wie viel Urlaub sie machen wollen. Sie können sich Zeit für Freunde, Familie und Hobbies freischaufeln. Jeder bekommt ein Grundgehalt und eine prozentuale Umsatzbeteiligung. Die Arbeits- und Urlaubszeiten plant jeder selbst und eigenverantwortlich, aber immer in Hinblick darauf, dass Kundenprojekte termingerecht erfüllt werden. Mit diesem Modell unterstützen wir unsere Kolleginnen und Kollegen, ihre Arbeitszeit so flexibel wie möglich zu gestalten – etwa um mehr Planungsfreiheit für die Familie, Reisen, Hobbies und Sport zu haben. Der Erfolg gibt uns recht: Unser Team leistet hervorragende Arbeit, wächst und ist weitgehend konstant.

Sieben Tipps für mehr weibliche Kompetenz in Unternehmensberatungen

Consultingfirmen sollten sich darauf konzentrieren, die Talente von Frauen zu stärken und aus den stereotypen Programmen auszubrechen. Zwar bieten die meisten Beratungen Initiativen speziell für Frauen, doch sie scheinen nicht nachhaltig zum Ziel zu führen, wie die eingangs erwähnte Analyse des BDU zeigt. Aus eigener Beobachtung weiß ich, dass es zwar viele junge Frauen in die Beratungsbranche lockt, diese sich aber zu einem hohen Prozentsatz nach nur wenigen Jahren neuorientieren. Was für ein großer Verlust! Aufgrund meiner eigenen Erfahrungen empfehle ich folgendes: 

  • Mut zur Frau. Immer noch gilt die Beratung als Männerdomäne. Doch Frauen sind mindestens genauso befähigt für diesen Beruf und gemischte Teams sind noch dazu erfolgreicher. Consultingfirmen sollten gezielt kompetente Beraterinnen fördern und Wege finden, sie zu halten. Wenn Sie sich unsicher sind, was ‚Jobmagneten‘ sein können – fragen Sie die Betroffenen und nehmen Sie deren Wünsche ernst.
  • Agile Arbeitsmodelle. Bei uns hat jeder Einzelne selbst Einfluss darauf, wie viel er verdienen und arbeiten möchte und damit deutlich mehr Flexibilität als üblich. Damit ist gesichert, dass eine gute Work-Life-Balance erreicht werden kann. ‚Head Down and Deliver‘ war gestern! Wer weiterhin an dieser Arbeitsmoral festhält, verliert seine Mitarbeiter:innen.
  • Beratung und Familie, das geht! Aus meinem Netzwerk weiß ich: Beratungen haben oft Angst, dass Frauen schnell ausfallen, weil sie Familien gründen wollen. So what? Männer nehmen sich heute auch ihre Auszeiten, um ihre Kinder aufwachsen zu sehen. Vertrauen Sie darauf, dass beide kreative Lösungen entwickeln, ihre Familienzeit zu planen und gleichzeitig ihren Leave optimal zu überbrücken, so dass alle Seiten davon profitieren. Schaffen Sie als Arbeitgeber Spielräume, die es Müttern und Vätern ermöglichen, Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen (siehe „Agile Arbeitszeitmodelle“).
  • Wettbewerbsvorteile nutzen. Laut einer Studie des Harvard Business Review sind Frauen resilienter, motivieren ihre Teams besser und sind bessere Change-Managerinnen. Lauter Qualitäten, die im heutigen Umfeld mehr als gefragt sind. Holen Sie sich diese Kompetenzen ins Unternehmen! Mit kreativen und innovativen Ansätzen sorgen Sie für Reputation im Markt, was wiederum Ihre Akquise unterstützt.
  • Recruiting ohne Scheuklappen. Wir setzen klar auf Kompetenz und zwischenmenschliche Chemie statt auf eng vordefinierte Studienfächer oder andere Faktoren. Das Gesamtpaket muss stimmen. Dazu gehört in erster Linie, dass wir verstehen, wie sich der Mensch ins Team einfügt und warum er seine Energie und Kreativität für Agileus Consulting investieren möchte. Beratung ist ein People Business. Nur wenn wir miteinander gut klarkommen, können wir Spitzenergebnisse für unsere Kunden erzielen.
  • Employer Branding. Überlegen Sie sich: Was ist in Ihrer Firma besonders attraktiv? Warum sind gerade Sie der ideale Arbeitgeber für Beraterinnen? Reden Sie darüber. Stellen Sie das Besondere heraus. Wir reden hier schon lange nicht mehr über den Kickerkasten oder das bezahlte Fitnessstudio, sondern zum Beispiel über Jobsharing für Führungskräfte, selbst über sein Arbeitspensum zu entscheiden oder auch mal unter Palmen den Laptop zu öffnen.
  • Karriere selbst planen lassen. Warum müssen Karrierepfade vorgegeben sein? Lassen Sie sie Ihr Team doch selbst planen. Und lassen Sie sich auf Experimente ein. Dazu kann auch Job Sharing in Führungspositionen gehören. Seit der Firmengründung habe ich positive Erfahrungen damit gemacht, mein Team selbstständig entscheiden zu lassen. Mit gegenseitigem Vertrauen und Transparenz funktioniert das gut. 

Fazit

An alle Frauen, die Beraterinnen werden wollen, appelliere ich: Legt Eure eigenen Scheuklappen ab. Bewerbt euch, traut euch mehr zu, und traut euch vor allem zu sagen, ich bin die richtige Person für diesen Job! Tipp für alle Beratungen: Traut euch, diese Frauen einzustellen!

 

Über die Person

Dagmar Hebenstreit ist Mitgründerin von Agileus Consulting. Sie ist Beraterin und Agile Coach mit internationaler Erfahrung und einer Passion für Kommunikation und Veränderung. Für die Agileus Consulting kümmert sie sich um die Themen HR, Marketing und neue Entwicklungsfelder. Als Mitglied der Organisation Healthcare Shapers setzt sie sich mit der Fragestellung auseinander, wie Agilität verstärkt in der MedTech Einzug halten kann. 

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