Kreative Workshops für Versicherer unter Anwendung von LEGO SERIOUS PLAY Mit den Händen denken
Von Marcus Dreyer, Manager bei 67rockwell Consulting
Im Rahmen unserer Beratungstätigkeiten konnten wir bei 67rockwell Consulting feststellen, dass sich im Bewusstsein der Führungskräfte von Versicherungsunternehmen zunehmend die Erkenntnis etabliert, dass herausfordernde Zeiten mitunter auch ungewöhnliche Methoden und Ansätze erfordern, sich Problemfeldern zu nähern. Kreative Workshopansätze wie Design Thinking, Rapid Prototyping und Co-Creation finden Beachtung und Anwendung in den Unternehmen. So ist sicher auch zu erklären, dass die Workshopmethode LEGO SERIOUS PLAY aktuell eine große Aufmerksamkeit erfährt. Leser mit Kindern werden sicherlich positive Assoziationen mit den bunten Plastikblöcken verbinden – von der einen oder anderen schmerzhaften nächtlichen Begegnung auf den Fußböden dunkler Kinderzimmer einmal abgesehen. Aber kann ein Kinderspielzeug wirklich helfen, komplexe strategische Fragestellungen zu lösen? Und wenn ja, für welche Themen ist der Ansatz geeignet und wie funktioniert er?
Anhand eines fiktiven Beispiels lassen sich die Möglichkeiten und die Wirkkraft der Methode gut erläutern: Nehmen wir den Bereichsvorstand Schaden eines deutschen Versicherungsunternehmens. Er steht vor der Aufgabe, seine Bereichsstruktur so zu verändern, dass sie für zukünftige Herausforderungen (Kostensenkungen, Automatisierung) gewappnet ist. Eine Struktur mit Einführung im Jahr 2020 hat er für sich gegebenenfalls zusammen mit einem Berater erarbeitet. Nun steht er vor der Herausforderung, dass er seine Mitarbeiter mit auf den Weg zur Veränderung nehmen muss. Eine reine Präsentation und anschließende Diskussion des erarbeiteten Modells greift seiner Ansicht nach zu kurz. Er befürchtet, dass sich die Mitarbeiter, die in den neuen Strukturen arbeiten müssen, nicht offen äußern und auf diese Weise mögliche gute Verbesserungsvorschläge gar nicht benannt werden. An dieser Stelle bietet die Methode LEGO SERIOUS PLAY hervorragende Ansätze, die Mitarbeiter in die Strukturfindung mit einzubinden und eigenständig Lösungsmöglichkeiten im Diskurs zu finden.
Die Methode
Auf der Suche nach einer innovativen Strategieentwicklungsmethode für das eigene Unternehmen entwickelte Kjeld Kirk Kristiansen, der Haupteigentümer von Lego, 1996 zusammen mit Wissenschaftlern vom International Institute for Management Development (IMD) in Lausanne die Methode LEGO SERIOUS PLAY. Diese setzte er zunächst exklusiv in seinem Unternehmen ein, seit 2010 ist sie unter einer Creative Commons Lizenz öffentlich nutzbar.
Seitdem wird LEGO SERIOUS PLAY meist in Rahmen von Workshops eingesetzt und verbindet Elemente der Spieletheorie wie Kreativität, Freude und Inspiration mit den ernsten und eher nüchternen Belangen der Geschäftswelt. Unter Anwendung eines strukturierten, mehrstufigen Moderationsprozesses werden abstrakte und komplexe Sachverhalte spielerisch bearbeitet und Lösungsansätze für Problemfelder entwickelt. Das metaphorische Bauen – der Denkprozess in Verbindung mit der Aktivität der Hände – erhöht die Gehirnaktivität um ein Vielfaches und entwickelt zudem in Kombination mit Story Telling eine hohe emotionale Wirkkraft. Die Methode macht sich zunutze, dass beim Menschen eine enge Hand-Hirn-Verbindung besteht, die – in Kombination genutzt – die Kreativität fördert.
In Abhängigkeit von der zu bearbeitenden Fragestellung besteht der Workshop aus einer unterschiedlichen Anzahl von Modulen, die aufeinander aufbauen. Ein Basis- beziehungsweise Markenworkshop beinhaltet vier Module und dauert rund einen halben Tag. Ein umfangreicher Strategieworkshop basiert auf sieben Modulen und kann ein bis zwei Tage in Anspruch nehmen. Für jedes Modul gelten dabei die folgenden Grundschritte von LEGO SERIOUS PLAY:
- Fragestellung (Challenge): Der Moderator führt mit einer klar verständlichen und offen gestellten Frage ein, auf die es keine offensichtliche / korrekte Antwort gibt.
- Bauen (Construction): Die Teilnehmer bauen mit LEGO-Elementen entsprechend der Fragestellung Modelle, die Metaphern für ihre Sicht auf das jeweilige Thema sind.
- Erzählen (Sharing): Die Teilnehmer teilen nacheinander die Bedeutung ihres Modells mit. JEDER erzählt, einzelne Aspekte werden am Modell gezeigt und veranschaulicht.
- Reflexion (Reflection): Das Gehörte wird zusammengefasst und reflektiert, Auswirkungen / Learnings diskutiert. Die Modelle können gegebenenfalls nach Kriterien bewertet / geclustert werden.
Allen Workshop-Ansätzen gemein ist der Einstieg über einen so genannten Skills Building Process, in dem die Teilnehmer anhand von kleinen Modellen mit einem vorgegebenen Set à 42 Steinen an die Funktionsweise des Bauens herangeführt werden. Durch die Präsentation der ersten eigenen Modelle gegenüber den anderen Teilnehmern (Sharing) wird das Story Telling angeregt.

Nachfolgend werden durch den Moderator, im Idealfall ein erfahrener und zertifizierter LEGO SERIOUS PLAY Facilitator, die umfangreichen LEGO-Sets eingeführt. Natürlich könnte man meinen, ein Griff in die heimischen LEGO-Boxen der Kinder reicht aus, um genügend Material zur Verfügung zu haben. Im Rahmen des Entwicklungs- und Anwendungsprozesses haben sich aber bestimmte Steinkombinationen bewährt, die vom Facilitator als Sets bereitgestellt werden sollten.
Der Facilitator führt nun in die Hauptfragestellung des Workshops ein. Wie im oben genannten Beispiel beschrieben, kann dies die Entwicklung einer neuen Organisationsstruktur oder eines neuen Produktes sein. Da diesem Schritt eine entscheidende Bedeutung für den weiteren Verlauf und den Erfolg des Workshops zukommt, muss der konkreten Auftragsklärung und der sich daraus ergebenden Ableitung der Workshopziele zwischen Facilitator und Initiator im Vorfeld genügend Aufmerksamkeit gewidmet werden. Bewährt hat sich hierfür ein Briefinggespräch, welches der Facilitator mit einem Fragenkatalog vorbereitet und moderiert. Die Zusammenarbeit mit einem methodisch und auch branchenspezifisch erfahrenen Moderator unterstützt die Definition der Workshopziele maßgeblich.
Im Modul selbst erarbeitet jeder Teilnehmer ein eigenes, individuelles Modell zur Fragestellung. Es bleibt den Teilnehmern überlassen, ob sie ihr Modell eher abstrakt in Form von Metaphern (zum Beispiel: ein Fensterbaustein als Zeichen für Transparenz) oder auch ganz konkret (zum Beispiel: Geldsteine stehen für Geld / Gewinn) bauen. Es gibt dabei kein Richtig oder Falsch. Farben spielen keine Rolle, außer wenn der Erbauer ihnen eine explizite Bedeutung zuspricht. Im Bauprozess ist es ausdrücklich erlaubt, sich von den anderen Modellen inspirieren zu lassen. Steal ideas, but not bricks lautet das Motto. Nach der Bauphase stellt jeder Teilnehmer seinen Prototypen vor und zeigt die Details seines Modells auf.
Um an dieser Stelle wieder das Beispiel einer neuen Organisationsstruktur aufzugreifen: die Teilnehmer werden nun die einzelnen zukünftigen Arbeitspakete modellieren, Abhängigkeiten und Zusammenhänge durch Verbindungen darstellen und die einzelnen Protagonisten mit einbauen.

Im nachfolgenden Modul wird von den Teilnehmern im Team ein neues, gemeinsames Modell (Shared Model) auf einer eigenständigen Grundplatte gebaut. Dazu werden Teile aus den individuellen Modellen abgebaut und in das gemeinsame Modell integriert. Welche Aspekte für so wichtig erachtet werden, dass sie übernommen werden sollen, wird gemeinsam diskutiert und entschieden. Jedes Teammitglied muss sich durch das fertige gemeinsame Modell mit seinen maßgeblichen Ideen repräsentiert sehen. Die Wirkkraft entsteht durch das Zusammenspiel der Teilmodelle, ergänzt durch neue Ideen, die sich im Diskurs ergeben haben. Im Kern geht es immer noch darum, die oben genannte Hauptfragestellung (eine neue Organisationsstruktur eines Bereichs) zu beantworten. Eine mögliche Lösungsstruktur wird durch das gemeinsame Modell aufgezeigt.

Das gemeinsame Modell ist kein reines "best of" der individuellen Modelle, sondern etwas komplett Eigenständiges. Auch dieser Prototyp wird durch eine Kurzpräsentation vorgestellt, die zu Dokumentationszwecken durch den Facilitator per Video aufgezeichnet wird. Durch den Einsatz moderner digitaler Techniken können ferner die Fotos der Modelle mit handschriftlichen Notizen ergänzt werden, um die relevantesten Aspekte nachvollziehen zu können und später mit den Erkenntnissen weiterarbeiten zu können.

Um abschließend das Beispiel noch einmal aufzugreifen: bei der Präsentation des gemeinsamen Modells ist der Versicherungsvorstand sehr überrascht, wie nah die Ergebnisse der Mitarbeiter an seinen Überlegungen sind. Vereinzelt sind für ihn neue Ideen dabei, die er für sein Modell nicht bedacht hatte und die sich aus Beobachtungen der derzeitigen operativen Strukturen und Prozesse durch die Mitarbeiter ergeben haben. Alles in Allem ist durch den Workshop der Boden bereitet, sein neues Modell vorzustellen; allerdings optimiert durch Ideen aus dem LEGO SERIOUS PLAY Mitarbeiterworkshop, was für das Team ein komplett anderes Comittment für die neue Struktur schafft. Für den gesamten Prozess gilt: das jeweilige LEGO-Modell selbst ist nicht das Ergebnis, es ist nur eine hilfreiche Unterstützung, um Themen / Dinge sichtbar zu machen und zu reflektieren.
Im Rahmen eines weitergehenden Strategie-Workshops folgt das Modul Szenarien. Jeder Teilnehmer formuliert zunächst in Eigenarbeit Ereignisse (Szenarien), die in der Landschaft (Landscape) eintreten können. Grundsätzlich gibt es hier keine Denkverbote: sowohl wahrscheinliche als auch unwahrscheinliche Vorkommnisse können formuliert werden. Wurde beispielsweise ein Modell eines Versicherungsunternehmens 2020 gebaut, so könnte ein Szenario der Markteintritt von Google in den Versicherungsmarkt sein. Ein weiteres Szenario könnte die intensivere Kontrolle durch Aufsichtsbehörden darstellen. Die Szenarien sollten möglichst konkret, aber neutral sein, ohne bereits Konsequenzen des Ereignisses auf das Modell zu beschreiben. Das Workshopteam sichtet alle Szenarien und sucht eine Anzahl heraus, die im darauffolgenden Modul Emergenzen durchdacht und am konkreten Modell durchgespielt werden. Das Modell wird für jedes zu prüfende Szenario so umgebaut, dass es in der Lage ist, die jeweiligen Konsequenzen und Einflüsse zu beherrschen. Die sogenannten fünf W-Fragen, die an das Modell gestellt werden, tragen zum Verständnis bei und helfen Ableitungen für den Status Quo zu formulieren:
- Wo wirkt sich das Szenario aus?
- Wie?
- Was kann man (jetzt schon) tun, um darauf vorbereitet zu sein?
- Was sollte man (jetzt schon) tun, um vorbereitet zu sein?
- Was wäre das Richtige zu tun?
Strategien werden auf diesem Wege spielerisch und risikofrei am realen Modell ausprobiert und für jedes Szenario kann nachvollzogen werden,
- was sich verändert,
- wie entschieden wird und warum so entschieden wird.
Aus den Emergenzen ergeben sich ganz natürlich Handlungsmuster, Simple Guiding Principles. Dies sind grundsätzliche Entscheidungsprinzipien, die immer gelten und mit der Identität und Umgebung (Landscape) harmonieren. Als letzten Workshopschritt bauen die Teilnehmer Modelle dieser Prinzipien, um sie zu verstehen und zu verinnerlichen. Die Prinzipien als Handlungsmaxime erlauben es, künftig flexibel und angemessen auf neue Situationen zu reagieren.
Fazit
LEGO SERIOUS PLAY ist als Workshoptechnik bei der Produkt-, Organisations-, Strategie- oder Teamentwicklung für Unternehmen und Organisationen jeglicher Größenordnung einsetzbar. Herausforderungen werden durch die Modelle simpel, verständlich und einprägsam dargestellt. Kritische Aspekte werden auf spielerische Weise offen diskutiert. Strukturen und Prozesse werden durch die Visualisierung besser verstanden und als Konsequenz wird die Kommunikation untereinander verbessert. Probleme können risikofrei, kreativ und direkt durch gemeinsames Bauen, Abstimmen, Priorisieren und Optimieren gelöst werden. Im Idealfall entstehen neue Ideen, deren Umsetzung durch die gemeinsame Entwicklung vom Team tatkräftig angegangen wird.
Zur Person:

Marcus Dreyer ist bei der auf die Versicherungswirtschaft spezialisierten Unternehmensberatung 67rockwell Consulting als Manager tätig. Er verantwortet die Bereiche PR / Marketing und Marktforschung und unterstützt die Consultants in ihren Projekten durch den Einsatz kreativer Workshoptechniken wie LEGO SERIOUS PLAY, für die er zertifizierter Facilitator ist. Der gelernte Versicherungskaufmann und Diplom-Soziologe war zuvor 16 Jahre in leitenden Positionen in Marktforschungsagenturen tätig.
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