Volker Riedel, Dr. Wieselhuber & Partner GmbH Mittelstand aufgewacht! Acht Thesen zur Strategischen Restrukturierung

Was bekommt man für die bestehenden Assets, das Know-how oder die Businessunits eigentlich im Markt? Sind sie veräußerbar? Gibt es jetzt ein positives Momentum? Je früher man sich als Gesellschafter diesen und weiteren Fragen stellt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man nach der Restrukturierung auch noch Gesellschafter ist.

Automobilhersteller und ihre Zulieferer sind ein Beispiel für die Notwendigkeit, Restrukturierungen und ihre Finanzierung rechtzeitig und strategisch anzugehen. Die Entscheidung des EU-Parlaments, ab 2035 keine Neuwagen mit Verbrennungsmotor zuzulassen, wird hier noch einmal den Druck erhöhen. (Bild: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Dominick Sokotoff)

1. Strategische Restrukturierung bedeutet Entscheidungen zu treffen

Strategie als langfristiges Führungsinstrument ist nicht unmittelbar operativ erlebbar, schon gar nicht in Krisen. Nun gut, wer vertraut dem Sanitäter auch bei einem schmerzhaften Beinbruch, wenn dieser erstmal beginnen würde, die gesamte Anamnese vorzunehmen? Macht dann „Strategie“ in der Restrukturierung einen Sinn? Strategie oder besser strategische Entscheidungen sind der primäre Antrieb, die Motivation, letztlich die Antwort, warum das unternehmerische Vorhaben überhaupt sinnhaft ist. Strategische Entscheidungen sind die Grundlagen von Vertrauen, insbesondere für Kapitalisierungs- oder Finanzierungsfragen.

2. Strategie heißt Machtpositionen zu erkennen und zu entwickeln

Im Jahr 2019 hat kein Finanzierer einen Cent auf Automobilhersteller gesetzt. Jetzt schreiben sie trotz Umbau der Wertschöpfung hin zur E-Mobilität und trotz massiver Einschläge in die Lieferketten Spitzenrendite. Dass es so kam, lag auch an der Marktmechanik – der sogenannten Marktmacht. Die Macht über Preis und Teilnehmer in der Lieferkette sind der Schlüssel, um strategische Positionen zu beschreiben; Wer darf rein? Wer fliegt raus? Und welche Aktion setzt man, wenn ein Kettenglied zu bersten droht?  Das haben die Automobilhersteller gelernt und gehen auch durch die Insolvenz mit den Zulieferern, allerdings in der Regel mit einem neuen Gesellschafter.

Das höchste Gut ist die Lieferfähigkeit zum besten Preis. Handelskonzerne sind hier noch konsequenter.

3. Strategie in der Restrukturierung ist die Allokation limitierter Ressourcen

Die strategische Restrukturierung ist primär eine Frage der Allokation von limitierten Ressourcen über alle Businessunits hinweg. Erhalten Units mit Marktmacht die Ressourcen oder zumindest die Units, die das Potential dazu haben? Welche finanziellen Mittel, wie viele Mitarbeiter werden in diesen Units eingesetzt beziehungsweise gebraucht? Welchen Schnitt setzt man bei den Ressourcen wie IT, Geld, Mitarbeiter, Produktionskapazitäten oder Marktgebieten an?

4. Strategie in der Restrukturierung bedeutet, sich von Geschäften verabschieden können

Strategie ist also nicht nur „sich für etwas“ zu entscheiden, sondern auch „gegen etwas“. Es gibt schlicht Geschäfte, die keinen Sinn (mehr) machen. Der Umbau der Gesellschaft und Ökonomie im Sinne ESG/Nachhaltigkeit führt zu harten Zielterminen, deren Verfehlungen massive Kostenbelastungen durch die Taxonomie und Kompensationszahlungen bedeuten. Wer zu lange wartet kommt zu einem Kipppunkt, an dem man sich nicht mehr eigenständig restrukturieren kann, weil die Restrukturierungskosten die finanziellen Mittel übersteigen. Dieses Verhalten ist, ex post betrachtet, die häufigste Ursache von massiven Restrukturierungen, Sanierungen oder sogar einer Insolvenz.

5. Strategie in der Restrukturierung bedarf der Transparenz über den Ressourcenverbrauch

Am Anfang von strategischen Entscheidungen steht daher die umfassende Transparenz. Technisch gesehen, werden Unternehmen in ihre veräußerungsfähigen Geschäftseinheiten/Assetklassen zerlegt, oder besser gesagt „filetiert“ - Und das über alle Prozesse, Strukturen und Ressourcen hinweg. Diese werden dann in ein Financial Model gegossen, um daraus eine faktenorientierte Basis zu schaffen beziehungsweise entscheidungsorientierte Vorlagen für die Letztentscheider zu erstellen. Was bekommt man für die bestehenden Assets, das Know-how oder die Businessunits eigentlich im Markt? Sind sie veräußerbar? Gibt es jetzt ein positives Momentum? Dann ist der Zeitpunkt gekommen, um zuzuschlagen.

Je früher man sich als Gesellschafter diesen Fragen stellt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man nach der Restrukturierung auch noch Gesellschafter ist. Das ist im Kern das Ziel der strategischen Restrukturierung.

6. Strategie in der Restrukturierung ist Stärkung der Risikosicht

Auch die Risikosicht darf in der strategischen Restrukturierung nicht vergessen werden. Ist das Unternehmen oder die Gruppe risikoadäquat gegliedert oder ist alles miteinander verbunden? Im Rückblick zeigt sich häufig, dass darin eine der Hauptursachen für „die Restrukturierungsunfähigkeit“ liegt. Denn die Kosten der Auflösung der Haftungsbrücken wie Patronate, Ergebnisabführungsverträge oder Sicherheiten und der erforderliche Zeitbedarf (teils Jahre) machen jegliche Form von Restrukturierung unmöglich oder so teuer, dass man sie nicht realisieren kann beziehungsweise aus dem Geld läuft.

7. Die Strategie in der Restrukturierung muss alle Restrukturierungspfade beleuchten

Alle Restrukturierungspfade müssen aus Sicht aller Stakeholder simuliert werden. In der Praxis gibt es häufig zwei Sichten: Die der Gesellschafter und die der Finanzierer. Kommen gerichtliche Restrukturierungsoption oder das StaRUG hinzu, dann sind auch die Sichtweise der besicherten und ungesicherten Gläubiger, des Gläubigerausschusses, des Gerichts oder die unmittelbar betroffenen Gläubiger und Gesellschafter eines StaRUG-Verfahrens zu berücksichtigen.

8. Strategische Entscheidungen in der Restrukturierung laufen nach einem festen Muster ab

Strategische Restrukturierung bedeutet, dass man Unvoreingenommen alles in Frage stellt: die Marktmacht, die Ertragsstärke, die Kipppunkte und Kapitalbindung faktenorientiert auf den Tisch legt und so zu einer - zumindest fast - neutralen Sicht kommen kann. Dann wird die Allokation der Ressourcen diskutiert und die Machbarkeit ehrlich, insbesondere mit Blick auf die Gegenreaktion des Marktes bei Kunden, Lieferanten, Wettbewerb, bewertet. Auf dieser Basis werden dann die eigentlichen strategischen Entscheidungen getroffen.

Fazit

Strategische Restrukturierung entscheidet über die Allokation von Ressourcen für die wirtschaftlich tragfähigen Businessunits. Sie nutzt das richtige (Verkaufs-) Momentum, um Geld für Investitionen und Transformationskosten zu generieren. Primär geht es also um die Entscheidung für Ergebnisträger und gegen Verlustträger sowie um die Entscheidung zu restrukturieren oder zu verkaufen.

Potentiale haben nur dann eine Berechtigung, wenn sie über ausreichend Ressourcen verfügen dürfen, um das Potential zukünftig auch in positive Cashflows zu wandeln. So wird das nachhaltige Bestehen am Markt sichergestellt.

Über den Autor

Volker Riedel ist Managing Partner der Dr. Wieselhuber & Partner GmbH. Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre war er als Projektleiter und Partner von inhabergeführten Unternehmen, als Vorstand und Geschäftsführer mittelständischer Unternehmen sowie als Generalbevollmächtigter (CFO) in Produktion und Handel tätig. Seit 2002 ist er bei Dr. Wieselhuber & Partner GmbH und leitet heute die Geschäftsbereiche Insolvenzberatung & Finance.

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