Virtuelle Managementberatung Möglichkeiten und Grenzen von Künstlicher Intelligenz im Consulting

Welche Aufgaben kann ein simulierter Dialog im Consulting erfüllen? Wo liegen heute die Grenzen von KI im Consulting? Und welche Perspektiven zeichnen sich für ihren Einsatz ab? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Dr. Werner Boysen, Gründer der Dr. Boysen Management + Consulting, am Beispiel einer virtuellen Managementberatung, die sein Haus vor einem Jahr launchte.

Wie weit lässt sich im Consulting der Dialog zwischen Berater und Klienten auf Mensch und Maschine übertragen? (Bild: picture alliance / Zoonar | Alexander Limbach)

In der Managementberatung ist neben fachlichen Skills die Qualität der Dialogführung mit Klienten erfolgsentscheidend. Dabei bestehen die Herausforderungen insbesondere darin, wirklich zu verstehen, was Klienten meinen und auf eine angemessene Weise zu hinterfragen, ob das von Klienten beschriebene Problem tatsächlich das Kernproblem ist oder ob die Ursache für beobachtete Phänomene nicht eher an anderer Stelle zu suchen ist. Erfahrene Berater können durch eine gezielte Gesprächsführung beide Herausforderungen bewältigen. Allerdings ist diese Annäherung in der Regel aufwändig und beraterseitig sind professionelle Intuition, Fachkompetenz und Kreativität gefragt. Um den Beratungsprozess effizienter zu gestalten, haben wir* 2021 mit „consultingcheck“ eine virtuelle Managementberatung konzipiert und umgesetzt.

Dabei ging es im Kern darum, den Dialog zwischen Berater und Klient auf einen Dialog zwischen Maschine und Klient zu verlagern.

Sowohl für die Akzeptanz der Lösung als auch für die Wirksamkeit des virtuellen Beratungsprozesses kam es also insbesondere auf die Qualität einer Kommunikationsschnittstelle zwischen Mensch und Maschine an.

Grundannahmen für die Konzeption eines virtuellen Beratungsdialogs

Das in der Unternehmenspraxis gefragte inhaltliche Managementspektrum ist sehr breit und das Management-Knowhow potentiell uferlos. Doch niemand braucht das gesamte Wissen auf einmal. Vielmehr benötigen Fach- und Führungskräfte gezielte Unterstützung bei der Bewältigung ihrer individuellen aktuellen Herausforderungen. Dabei können zwei Zugangsweisen zu den Wissenselementen hilfreich sein:

  1. Ein direkter Zugang zu den Themen, die für Nutzer gerade relevant sind. Dafür müssen Nutzer sowohl das Problemfeld wie auch den Lösungsraum bereits kennen und können ihr Thema aus einem breiten Themenspektrum auswählen.
     
  2. Eine Annäherung an einen Lösungsraum über einen virtuellen Dialog. Dieser Dialog beginnt bei der von Nutzern wahrgenommenen Problemstellung und führt interaktiv zu sinnvollen Lösungsfeldern. In einer akuten Problemlage können Priming-Effekte zu spontanen Entscheidungen führen, die nicht hinreichend reflektiert wurden und somit im unternehmerischen Kontext schädlich sein können. Auch das (unbewusste) Ableiten von Entscheidungen vor dem Hintergrund bestehender und verinnerlichter Frames kann für die akute Situation destruktiv sein, weil notwendige neue Perspektiven auf die Problemsituation ausbleiben. Durch gezielte Impulse beziehungsweise durch eine Gesprächsführung von außen können die Gefahren von Priming und Framing minimiert und nachhaltige Lösungsansätzen ermittelt werden. Auch ein virtueller Consulting-Dialog muss dieser Anforderung gerecht werden.

Die erste Zugangsweise ist bei consultingcheck durch eine Themenliste mit Auffächerung in Unterthemen in einem Fly-out Menü umgesetzt. Die zweite Zugangsform ist nicht trivial umsetzbar. In der Maximalvorstellung sollte ein freier Dialog zwischen Nutzern und Anwendung ermöglicht werden, idealerweise mit einem Austausch in Gesprächsform. Als zweite Wahl denkbar war ein schriftlicher Austausch mittels Eingaben der Nutzer über ihre Tastatur. In beiden Fällen wurde ein intelligenter virtueller Gesprächspartner (Conversational Agent) benötigt, der die Fragen von Nutzern ohne menschliche Einbindung im automatisierten Dialog klären sollte.

Anwendungsbeispiel: Klienten gelangen über einen automatisierten Dialog zu zielgerichteten Lösungsansätzen. Zum Vergrößern klicken. (Bild: Dr. Boysen Management + Consulting GmbH)

Lösungsansätze mit Künstlicher Intelligenz (KI)?

Aktuell kommerziell verfügbare „Conversational Agents“, die schlüsselwortgesteuert arbeiten, erkennen anhand von Trainingsdaten Kommunikationsmuster und lernen mit zunehmender Nutzung und durch den Vergleich mit den Trainingsdaten, besser zu entscheiden. Indem sie kognitives Wissen in Algorithmen umsetzen, simulieren sie intelligentes Verhalten.

Einfache Agenten können eingesetzt werden, um eine Basiskommunikation auszuführen. Das genügt den Ansprüchen an einen Beratungsdialog allerdings nicht.

Eingesetzte Agenten sollen auch Kontextinformationen, die ihnen im Laufe der Interaktion mit Nutzern verfügbar werden, in ihre Kommunikation situativ einbeziehen, um die Customer Journey zu gestalten. Wenn Nutzer der Anwendung bereits bekannt sind, weil sie sich registriert haben und ihre Customer Journeys in einer Datenbank aufgezeichnet sind, kann auch historische Kontextinformation in die Interaktion einbezogen werden. Aus Präferenzen und Interaktionen kann das System lernen und die Kommunikation situativ anpassen. Nutzer fühlen sich von der Anwendung verstanden. So können sich Beziehungen zwischen einem Agenten und Nutzern entwickeln, die Empathie vermuten lassen. Die in der Interaktion gewonnenen Informationen können dann unter Berücksichtigung datenschutzrechtlicher Herausforderungen sogar die Information im CRM anreichern, wodurch der Kommunikationsablauf lernfähig werden kann.

Diese Optionen erscheinen auch für den virtuellen Beratungsdialog vielversprechend. Es stellt sich daher die Frage, ob der Einsatz von Chatbots im Beratungsdialog mehrwertstiftend ist, denn Bots versprechen in Kombination mit Messaging-Systemen interessante Convenience- und Effizienzvorteile.

Die Interaktion mit Chatbots fühlt sich teilweise bereits natürlich und menschenähnlich an.

Grenzen von Chatbots im Beratungsdialog

Grob lassen sich Chatbots unterscheiden in solche, die einem Entscheidungsbaum folgen, solche mit Keyword-Erkennung und solche, die Fragen in einem Kontext erfassen können. Nur Letztere nutzen Künstliche Intelligenz und brauchen ausreichend Daten, um sinnvolles Entscheiden zu lernen (Supervised Learning).  In ersten Test-Setups mit lernenden Chatbots stellte sich bei consultingcheck heraus, dass die Quote missverstandener Eingaben zu hoch war und wiederholt missverstandene Eingaben bei Nutzern zu Frust und Abkehr führen würden. Chatbots können mit Beispieldaten, insbesondere bei Standardfragen, grundsätzlich gut trainiert werden.

Immer mehr mobile Interaktionen werden von Chatbots gesteuert, aber diese zu steuernden Prozesse sind in der Regel Standardtransaktionen, bei denen die Auswahl sinnvoller Antworten sehr begrenzt ist, beispielsweise bei Anfragen nach dem günstigsten Flug, einem Upgrade oder einer Sitzplatzänderung.

Solche Prozesse unterscheiden sich erheblich vom Charakter echter Business-Dialoge. In diesem Fall ist die Anzahl der Eingabemöglichkeiten völlig offen und prinzipiell unendlich. Es fehlt daher an hinreichenden wiederkehrenden Nutzungsdaten, die als Trainingsgrundlage erforderlich sind. Wenn der Dialog mit Beratern auf einen Dialog mit einem System umgestellt wird, wird von den Nutzern eine komplexe Systemintelligenz erwartet, die mit Chatbots bislang (noch) nicht erreicht werden kann.

Vorteile einer vorstrukturierten, automatisierten Gesprächsführung

Die technische Antwort auf die Anforderungen eines konstruktiven Beratungsdialogs liegt für uns in Abwägung aller Möglichkeiten in einem vordefiniert strukturierten Dialog. Zwar ist dieser Dialog prinzipiell starr und nicht lernfähig, aber er besteht im Fall von consultingcheck aus etwa 3.500 Zeilen und ermöglicht dadurch viele verschiedene Wege durch bislang 540 Inhaltselemente (themenbezogene kurze Fachartikel). Es wird ein Beratungsdialog simuliert, der der Nutzerlogik folgt, zugleich aber Hinweise auf weitere relevante Aspekte liefert und thematisch passende Lösungsansätze anbietet.

Nutzer können nahezu beliebig weit in die Materie ihres Interesses beziehungsweise ihres Problemfeldes eintauchen und erhalten neben inhaltlichen Impulsen auch Empfehlungen für passende Arbeitsmittel (z.B.: vorverformelte Rechenanwendungen, web-basierte Simulationsanwendungen, Formatvorlagen, Checklisten, Whitepapers und Briefings zu bestimmten Themen).

Ausblick

Es bleibt zu beobachten, wie sich die Möglichkeiten der Chatbots entwickeln. Mit zunehmender Nutzung von consultingcheck und entsprechend wachsender Customer Journeys als Grundlage geeigneter Trainingsdaten ist im Zusammenspiel mit komplexeren Chatbots eine entsprechende Weiterentwicklung der Anwendung perspektivisch denkbar. Aktuelle Chatbots beziehen Informationen für ihre Entscheidungen sogar selbst aus dem Internet und müssen nicht mehr aktiv mit Daten „gefüttert“ werden. Die Entwicklung bleibt spannend.

*„Wir“ steht für das Entwickler-Team von consultingcheck, das neben dem Autor, Betreiber und ideellen Urheber, Dr. Werner Boysen, auch Janosch Skrobek (bworx: Programmierung & Web-Entwicklung) sowie Michael Konrath und sein Team der Agentur forty-four Multimedia GmbH umfasst.

Über die Person

Dr. Werner Boysen ist Managementberater und Fachbuchautor. Der Diplom-Ingenieur Maschinenbau hält u.a. einen Master of Science in Elektronik und hat in Wirtschaftswissenschaften mit Ausrichtung auf Wirtschaftsinformatik promoviert. Mit seiner Dr. Boysen Management + Consulting GmbH hat Dr. Boysen im Jahr 2021 consultingcheck.com, die weltweit erste und einzige virtuelle Managementberatung, umgesetzt. (Foto: Sabine Reuther)

 

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