Daniel Nerlich - Der Consultant Hunter Neues Jahr, neue Recruiting-Ansätze im Consulting?

Beratungen bemühen sich um enge Kommunikation mit (zukünftigen) Bewerbenden (Bild: picture alliance / Ulrich Baumgarten | Ulrich Baumgarten)
Wenn man sich derzeit im Beratungsmarkt umhört, wird das positive Klima, das durch aktuelle BDU-Studien quantitativ beschrieben wird, auch von zahlreichen Personalern und Entscheidern verbal bestätigt. Nachdem die meisten Beratungshäuser zuletzt so viele neue Mitarbeitende einstellten wie noch nie zuvor, ist man auch für das laufende Jahr überwiegend optimistisch. So setzt man beispielsweise bei der Managementberatung Horváth nach einem Einstellungsrekord im Jahr 2022 auch in 2023 auf weiteres Wachstum. Man spürt einen hohen Druck im Wettbewerb um qualifiziertes Personal, der das Recruiting intensiver werden lässt. Möglichst nah an den Kandidaten und Kandidatinnen dranzubleiben, lautet die Devise.
Doch wie schafft man dies? „Wir kommunizieren sehr zügig und über das persönliche Gespräch mit unseren Bewerbenden - auch im Falle einer Absage“, erklärt Fabienne Ramb, HR Managerin mit Fokus auf Recruiting bei Horváth. „Außerdem haben wir zuletzt auf unserer Karriereseite von ‚Sie‘ auf ‚Du‘ umgestellt. Das Duzen setzt sich dann auch in unseren Interviews konsequent fort. Diese Nähe in der Kommunikation wird nicht nur von Jüngeren immer stärker gewünscht“. Eine Vielzahl der offenen Bedarfe wird über das eigene Netzwerk besetzt, daneben arbeitet man mit Personalberatungen und Portalen wie squeaker, Absolventa oder studydrive zusammen, deren Performance stets im Blick behalten wird. Zudem setzt Horváth auch auf das eigene „Active Sourcing“. Das Talent-Acquisition-Team, welches relevante Personen im Markt direkt anspricht, wurde zuletzt nochmals ausgebaut.
Auf die persönliche Note kommt es an
Die internationale Managementberatung Alvarez & Marsal setzt auf zwei Strategien: Einerseits führt man soeben eine digitale Recruiting-Plattform ein, die technisch alle Prozessschritte von der Kandidatenidentifikation bis zur Terminierung von Interviews und das Handling der Kandidatinnen integriert. Damit wolle man noch smarter an den Markt herantreten als bisher. Auf der anderen Seite wird die persönliche Note im Rahmen des Recruitings gestärkt. So wolle man die einzelnen Beratenden viel stärker in das Recruiting einbinden. Dies soll beispielsweise über den „A&M Career Talk“, der im Dezember auf Consulting.de gelauncht wurde, oder durch Präsenz bei Hochschulveranstaltungen von WHU, EBS oder der Goethe Universität erfolgen. Alle Beratenden sollen sich beteiligen, auch wenn nicht jedes Format gleichermaßen für jede Person geeignet sei. Nicht jeder fühle sich mit allen Recruiting- und Medienaktivitäten gleichermaßen wohl. „Wenn sich aber jeder nur an ein oder zwei Aktivitäten pro Jahr beteiligt, ist der Brand schon sehr gedient“, kommentiert David Beger, Director Talent Acquisition DACH und Benelux bei Alvarez & Marsal.
Straffe, verbindliche und persönliche Prozesse
Für die Turnaround-Beratung Struktur Management Partner (SMP) war die Schnelligkeit ihrer Recruiting-Prozesse lange Zeit ein Wettbewerbsvorteil. Dieser schwand jedoch, als sich auch der Wettbewerb um immer schnellere Prozesse bemühte und in der Geschwindigkeit gleichzog. SMP durchleuchtete daraufhin die gesamte Candidate Journey und führte mit ehemaligen Kandidaten und Kandidatinnen persönliche Gespräche, um Ansatzpunkte für Optimierungen zu ermitteln. In der Folge konnte man Maßnahmen ableiten, die SMP nun im Recruiting schneller sein lassen, als man sich zuvor hätte vorstellen können. Ein zentrales Element besteht beispielsweise darin, innerhalb von 24 Stunden nach einem Erstkontakt eine Präqualifizierung von Kandidaten vorzunehmen und nächste Schritte einzuleiten. Man hat die gesamte Candidate Journey gestrafft und zugleich mehr persönliche Begegnungen eingebaut.
Nach Visitenkarte und Unternehmensbroschüre kommt es nun zur Digitalisierung der Reputation
Ein sauberer Prozess ist gut, doch bei weitem nicht alles. SMP hat sich zuletzt intensiv um das Brand Management gekümmert und dabei die sozialen Medien ins Visier genommen. Eine Kollaboration mit David Döbele, einem Instagram- und Youtube-Influencer im Segment Consulting und Investment Banking, steigerte dabei die Reichweite insbesondere bei der jüngeren Zielgruppe.
„Social-Media-Präsenz ist nichts anderes als die Digitalisierung von Reputation“,
kommentiert Georgiy Michailov, Managing Partner bei Struktur Management Partner. „Wir wollen in diesem Zusammenhang systemisch vorgehen, um nicht nur Eintagsfliegen zu produzieren“. Michailov publiziert selbst regelmäßig den Newsletter "Thoughts for Leaders" via LinkedIn sowie den Podcast "SMP LeaderTalks", in dem er in Form von Interviews relevante Managementthemen bespricht. Zeitnah möchte er ein weiteres Format auf Youtube angehen. Wichtig sei in diesem Zusammenhang, ausschließlich höchst qualifizierten Content zu erzeugen – unter allen Umständen gelte es, das Posten von Belanglosigkeiten zu vermeiden. So veröffentlicht Michailov stets nur solche Inhalte, die ihn auch selbst interessieren würden.
Eine der international führenden Strategieberatungen reagiert auf die veränderten Marktbedingungen, indem man an gleich an mehreren Stellen im Recruitingprozess ansetzt. Nachdem zuletzt bereits eine umfassende Personalmanagement-Plattform eingeführt wurde, rollt man soeben ein weiteres digitales Tool aus, um die Candidate Journey weiter zu optimieren. Dies geht einher mit einer Umstellung des analogen Interviewverfahrens:
Immer weiter weg von den berühmt-berüchtigten Case Interviews und hin zu psychometrischen Testverfahren wie zum Beispiel jene von Hogan Assessments.
Wie lautet nun die „Coca-Cola-Formel“ für das Recruiting 2023?
Wie man sieht: Es tut sich einiges im Recruiting von Unternehmensberatungen. Mal analog, mal digital, mal analog-digital gehen die Consultants an den Kandidaten-Markt heran. Folgende Handlungsempfehlungen lassen sich aus den unterschiedlichen Ansätzen ableiten:
- Bunter Recruiting-Kanal-Mix: Das eigene Netzwerk (und entsprechende Referral-Programme), die unternehmensinternen Talent-Acquisition-Teams, Direktansprache durch spezialisierte Personalberatungen und im Falle von Young Professionals auch Anzeigen oder Portale gehören zum eher klassischen Repertoire der Personalbeschaffung. Hier lohnt die individuell richtige Mischung, die Auswahl der richtigen Partner und eine kennzahlenbasierte Messung der Erfolgskennzahlen.
- Brand Management: Eine exzellente Reputation ist enorm wichtig, um wahrgenommen zu werden und weiterführende Gespräche überhaupt erst zu ermöglichen. Dieses Image wird nicht mehr nur durch Mund-zu-Mund-Propaganda oder klassisches Marketing kreiert, sondern vor allen Dingen durch soziale Medien. Die digitale Reputation kann dabei durch interne „Corporate Influencer“ aufgebaut werden, indem diese konsistent und konstant auf Plattformen wie LinkedIn, per Blog oder Podcast kommunizieren.
- Timing: Die Geschwindigkeit der Recruiting-Prozesse hat sich im Markt deutlich erhöht und ist zu einem der entscheidenden Erfolgsfaktoren geworden. Wer zu langsam ist, zu viele Interviewschleifen dreht, Feedbacks verzögert und Gesprächstermine auf die lange Bank schiebt, hat verloren.
- Schlechte Verfahren, schlechte Ergebnisse: Wenn noch immer reine CV-Gespräche oder unstrukturierte Interviews geführt werden, wenn in mehreren Interviews die immer gleichen Fragen gestellt werden, erzeugt man viel Aufwand, viel Redundanz und trifft am Ende doch die falsche Wahl. Selbst wenn der Markt immer enger wird, sollten die höchsten Qualitätsstandards an den Auswahlprozess angesetzt werden. Dies sollte auch den Einsatz psychometrischer Auswahlverfahren beinhalten.
- Automatisierung und Digitalisierung: Prozesse sollten so gut es geht automatisiert und digital umgesetzt sein. Sei es durch eine integrative HR-Management-Plattform, sei es durch einzelne (Recruiting-) Lösungen, die künstliche Intelligenz einsetzen, um Schritte zu beschleunigen oder die Candidate Journey zu verbessern.
- Flexibilität: Woher kommt die Idealbesetzung für die vakante Position? Flexibel sein und nicht mehr nur im selben Teich fischen, lautet die Devise. Vielleicht kommen die richtigen Kandidatinnen aus dem Ausland? Vielleicht sind sie heute in der Industrie und wollen in die Beratung zurückkehren? Passt die Person ins Team, bringt aber einzelne Kompetenzen noch nicht in vollem Ausmaß mit? Dann empfiehlt sich eine Einstellung der Person und zügige Entwicklung durch geeignete Talent-Management-Maßnahmen.
- Persönliche Nähe: Alle vorgenannten Punkte sind hinfällig, wenn bei Kandidaten das Gefühl aufkommt, dass man „nur eine Nummer“ ist. Stattdessen möchte sicherlich jede Kandidatin ein Zeichen der Wertschätzung sehen. Dann erst setzt man gerne die Unterschrift unter den Arbeitsvertrag. Es ist allen am Recruiting Beteiligten nur anzuraten: Persönliche, individuell wertschätzende Kommunikation ist geboten. Zugleich sollten sich jene Interviewer, mit denen man zukünftig eng zusammenarbeiten wird, stark an dieser Kommunikation beteiligen. Insbesondere in der Angebotsphase ist jede Minute, die man persönlich kommuniziert, sehr gut investierte Zeit.
Sind diese Empfehlungen der Weisheit letzter Schluss? Sicherlich nicht. Wie immer sollte man sich mit der eigenen Ausgangslage beschäftigen und smarte Lösungen entwickeln, die individuell am besten passen, für Aufmerksamkeit sorgen und die auf die eigene Reputation einzahlen.
Im Ergebnis kommt vermutlich keine Coca Cola heraus – dafür vermutlich aber ein Elixier, das den Recruiting-Aktivitäten im Jahr 2023 Flügel verleiht.
Über die Person
Daniel Nerlich ist Gesellschafter und Partner bei einem führenden Unternehmen im Executive Search, Board Consulting und Management Audit. Zu seinen Klienten zählen die Top-10 der internationalen Strategieberatungen, die Big-4 Wirtschaftsprüfungs- und Advisory-Gesellschaften sowie sogenannte „Hidden Champions“. Seit rund fünfzehn Jahren liegt sein Fokus auf der Besetzung von Führungspositionen innerhalb der Unternehmensberatung. Zudem ist er Gründer des Online-Magazins CONSULTANT career lounge.
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