#1Blick vom Beratungsforscher Nix Neues im Westen - Unterwegs auf bekannten Wegen

Zwei Schulen der Beratung ziehen sich durch die Geschichte des Consultings, ein dritter Weg hat sich noch nicht etabliert. (Bild: picture alliance / Zoonar | Paolo Gallo)
Es ist einfach ein guter Zeitpunkt um festzuhalten, dass im Consulting gerade eigentlich nichts grundsätzlich Neues passiert. Selbst die sonst omnipräsenten Vorhersagen mit den mehr oder minder großen Mikro-, Makro- und Meta-Trends zum Jahreswechsel sind irgendwie in den Hintergrund gerückt.
Tatsächlich scheint die westliche Consulting-Welt in ihrer Arbeitsweise seit ewigen Zeiten still zu stehen.
Vor 2.500 Jahren waren die Sophisten im antiken Griechenland die ersten, die ihr Wissen gegen Geld verkauft haben. Als Alternative haben sich die Sokratiker eine feste Position behauptet. Ihr Ansatz im Umgang mit Wissen war ein anderer: Wie eine Hebamme wollten sie das Wissen, das bei ihrem Gegenüber vorhanden ist und schlummert, aktivieren und „auf die Welt“ bringen.
Alter Wein, neue Schläuche
Beide Schulen ziehen sich durch die Zeiten und ihre Spuren lassen sich immer wieder entdecken und beobachten. Die ersten Consultants im modernen Sinne haben sich unterschiedlich positioniert und standen jeweils einer Schule näher: Frederick Winslow Taylor hat eher das eigene Wissen in den Vordergrund gerückt. Bei Liliam und Frank Gilbreth kann man eine stärkere Berücksichtigung des Wissens ihrer Consulting-Kunden beziehungsweise der Betroffenen sehen. Jahrzehnte später greift Douglas McGregor die zwei Ansätze mit seiner Theorie X und Theorie Y auf und gibt ihnen einen publikumswirksamen Rahmen.
Noch immer sind die beiden Herangehensweise im Consulting präsent und stehen sich gegenüber: Einmal die MBB-Beratungen, die Big Four, die Next 200 und die vielen anderen Expertenberatungen, die in der Tradition der Sophisten arbeiten; und einmal diejenigen, die mit einem Hilfe-zur-Selbsthilfe-Ansatz Unternehmen, NGOs, NPOs und Verwaltungen unterstützen und mehr oder minder intensiv sokratische Methoden nutzen.
Die erste Gruppe lässt sich auch als Fach- oder Inhaltsberatung bezeichnen, die zweite als Prozess- oder Methodenberatung. Die einen stellen ihr Fachwissen in den Mittelpunkt der Beratungsarbeit, die anderen folgen mehr oder minder strickt einem Beratungsprozessmodell, das die Betroffenen zu Beteiligten macht und sie selbst zu einer Problemlösung kommen lassen will.
Es gibt in beiden Feldern so etwas wie „Neuerungen“, die aber bestehen im Wesentlichen in weiteren Ausdifferenzierungen und Detaillierungen des Bekannten. Die Inhaltsberatung kann in Form von Gutachten daherkommen oder als Expertenberatungsprojekt – dieser Ansatz ist auch noch immer insgesamt das dominierende Vorgehen im Beratungsmarkt. Und die Prozessberatung kann als Organisationsentwicklung Hilfe anbieten oder als systemische Beratung mit der Beobachtung zweiter Ordnung sich selbst stark zurücknehmend den Kunden begleiten.
Was ist mit Künstlicher Intelligenz?
Zugegeben, es haben in den letzten Dekaden eine ganze Reihe von Werkzeugen Einzug in die Beratungswelt gehalten – von der BCG-Matrix, über Business Process Reengineering und Objectives & Key Results bis zu New-Work-Ansätzen lassen sich hier viele Beispiele finden. Allerdings haben sie an den Handlungen der Consultants nichts verändert – die grobe Aufteilung in die beiden Ansätze bleibt bestehen.
Mit etwas Phantasie und noch mehr Wohlwollen kann man einen Mittelweg oder dritten Weg identifizieren, der sich als Kombination von Inhalts- und Prozessberatung herausgebildet hat.
Der eine oder die andere sieht dann auch das Change Management als Verknüpfung der beiden großen Schulen. Und ganz hoffnungsfrohe Menschen wünschen sich, dass Künstliche Intelligenzen (wie beispielsweise aktuell ChatGPT) Beratung substantiell verändern oder sogar revolutionieren werden. Beim dritten Weg muss man sich aber argumentativ schon arg ins Zeug legen, um zu vermitteln, was genau hier die Neuerung ist. Und ob KI die Beratung im Kern verändern wird – oder ob es nicht doch zu (dringend benötigten) Anpassungen an den Rändern kommt – das muss sich ebenfalls noch zeigen.
Das Neue, das niemand will
An einer Stelle hat sich „Beratung“ in den vergangenen Jahren tatsächlich massiv neu erfunden. Die sichtbaren Auswirkungen sind klein, wenn man in die Vergangenheit geht und werden größer, je näher man der Gegenwart kommt: Gemeint ist das Bodyleasing.
Unter dem Deckmantel des Consultings werden für Auslastungs- und Umsatzzwecke mehr und mehr Aufträge angenommen, die de facto einer gut bezahlten und hochqualitativen Leih- und Zeitarbeit nur wenig nachstehen.
Dummerweise wollen Consultants von dieser Veränderung offiziell aber meist nichts wissen und weisen ihre aktive Beteiligung daran weit von sich.
Daher bleibt’s wohl erstmal dabei: Nix Neues im Westen. Schade.
Über die Person
Professor Thomas Deelmann arbeitet seit über 20 Jahren als, mit, für und über Berater. In seiner consulting.de-Kolumne #1Blick kommentiert er Marktentwicklungen aus der Vogelperspektive und schaut hinter die Kulissen der Arbeit von Beratern und ihren Kunden. Er lehrt an der HSPV NRW, twittert @Ueber_Beratung und berät bei strategischen Fragen. Als Buch erschien von ihm zuletzt „Die Berateraffäre im Verteidigungsministerium“ (2021, Erich Schmidt Verlag, 49,95 Euro).
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