Interview mit Eva Maria Kraus "Nur durch gemeinsames Agieren können wir erfolgreich sein"

Frau Kraus, Sie haben eine Methode entwickelt, um hierarchieübergreifende Netzwerke in Unternehmen zu etablieren. Warum ist Vernetzung innerhalb einer Organisation so wichtig?
Eva-Maria Kraus: Die Komplexität unserer Welt nimmt laufend zu. Denken Sie nur an Digitalisierung, New Work, Globalisierung oder die Veränderungen unserer Arbeitswelt durch die Coronapandemie - diese Herausforderungen allein zu bewältigen, ist fast unmöglich. Nur durch gemeinsames Agieren können Unternehmen langfristig erfolgreich sein, und dies gelingt durch hierarchie- und unternehmensübergreifende Kompetenzvernetzung, die die Nutzung aller Potenziale ermöglicht. Dafür braucht es aktive Vernetzungsstrategien, die langfristig zu einer positiven Kultur des Miteinanders führen.
Wie kann klug vernetztes Arbeiten funktionieren?
Eva-Maria Kraus: Eine genaue Betrachtung des Status quo im Unternehmen ist unerlässlich - und damit meine ich wirklich eine schonungslose Analyse des derzeitigen Miteinanders. Ist bereits Zusammenarbeit auf Augenhöhe etabliert? Und kann Aus- und Weiterbildung in hierarchieübergreifenden Teams erfolgen? Oder macht sich Stille breit, sobald Führungskräfte mit im Raum sind? Je nach Ausgangssituation braucht es einen individuellen Weg: Manche müssen bei innerbetrieblichen Vernetzungsformaten beginnen, um in den Dialog zu kommen und sich anzunähern. Bei anderen können bereits gemeinsame Aus- und Weiterbildungskonzepte oder Formate zur Kompetenzvernetzung erarbeitet werden, in denen mit- und voneinander gelernt wird. Vor allem aber muss das Umdenken in der Führungsetage beginnen, damit von innen heraus Veränderung möglich wird.
Was heißt das genau?
Eva-Maria Kraus: Ich spreche nicht davon, von oben nach unten zu delegieren, dass ab jetzt eine Vernetzungskultur gelebt wird. Vielmehr geht es um einen Dialog miteinander - gemeinsam für eine Sache. Das beginnt bei der Visions- und Strategieentwicklung, die nicht von den Top 10 im Unternehmen entwickelt werden sollte, sondern auch hier im Best-Mix aus mehreren Blickwinkeln des Unternehmens. Dafür müssen die Hierarchien nicht niedergerissen werden. Eigenverantwortung, aktives Mitwirken sowie eine gute Lernkultur sind wichtige Faktoren, die ein Zusammen-Führen ermöglichen.
Wie lassen sich denn die berühmten Silos im Unternehmen aufbrechen?
Eva-Maria Kraus: Sie müssen aktiv und bewusst angegangen werden. Ein alteingesessenes Silo besteht beispielsweise in der Weiterbildung. Hier wird immer noch nach Zielgruppen und Hierarchien getrennt voneinander gelernt. Dabei bietet sich doch genau dort die Chance, miteinander Veränderungen zu forcieren und in ein gemeinsames Boot zu steigen! Als Beispiel: Alle Verkaufseinheiten könnten zusammen ausgebildet werden, damit sie ein Verständnis für die jeweils andere Verkaufssituation erhalten. Ziel ist es, dass sich einzelne Bereiche wie Shop-Sales, Telefon-Sales oder Technik künftig als Team sehen und nicht als Gegner. Wer ehrlich ist, weiß, dass das ein häufiges Problem darstellt. Die "Keiner macht es so gut wie das eigene Verkaufsteam"-Denke ist weit verbreitet. Durch gemeinsame Weiterbildung entsteht mehr Verständnis füreinander - und am Ende EIN Verkaufsteam.
Wie sehen die Maßnahmen konkret aus?
Eva-Maria Kraus: Ein reiner Vortrag reicht da nicht. Kultur muss getan und erlebt werden. Es beginnt mit dem großzügigen Teilen von Wissen und Kompetenz, mit aktiver Unterstützung untereinander und eigenverantwortlichem Handeln. Für sehr viele Menschen sind dies Entwicklungsfelder, weil wir Eigenständigkeit und selbstständiges Agieren oft verlernt oder gar nicht erst gelernt haben. Mit Formaten wie Working Out Loud Circle, BarCamps oder Hackathrons können diese Kompetenzen in die Umsetzung gebracht werden. Bei den Working Out Loud Circles etwa werden Menschen zusammengebracht, um gezielt an ihren individuellen eigenen Zielen zu arbeiten. Dabei werden Erfahrungswissen und andere Problemlösungsstrategien sowie unterschiedliche Netzwerke verflochten. Auch ein BarCamp bietet die Möglichkeit des aktiven Austauschs über Projekte, Wissen und Meinungen über die Weiterentwicklung bestimmter Bereiche im Unternehmen. Es kann sinnvoll sein, zusätzlich externe Teilnehmende zu bestimmten Weiterbildungsformaten einzuladen, damit noch andere Perspektiven ins Unternehmen gelangen.
Wie entsteht aus dieser Form der Weiterbildung dann Innovation?
Eva-Maria Kraus: Das gemeinsame Austauschen von Erfahrungen, Ideen, Meinungen, Lebensweisen und vielem mehr kann zu Vernetzung und dadurch zu Innovation führen. Wir müssen lernen, dem Prinzip Zufall die Tür mehr zu öffnen. Serendipität ist nachweislich erfolgsversprechend: Ich muss nur offen sein dafür, Lösungen durch unterschiedliche Hinweise miteinander zu einer Innovation zu kombinieren. Und offen sein heißt auch: Die Innovation kann von jedem im Unternehmen kommen – auch von Personen, die nicht in dem jeweiligen Thema in der Tiefe arbeiten. Die Vergangenheit hat uns dies schon sehr oft gezeigt: So hat etwa ein Perückenmacher durch die Erfindung der "Waterframe" – der ersten Spinnmaschine mit von Menschenkraft unabhängigem Antrieb durch ein Wasserrad – die Industrialisierung begonnen.
Wie langwierig ist der Prozess?
Eva-Maria Kraus: Essentiell ist das Bewusstsein, dass sich eine stärkenorientierte und dialogische Unternehmenskultur nicht in einem halben Jahr entwickelt, um dann womöglich wieder über Bord geworfen zu werden. Auf dem Weg zum vernetzten Unternehmen muss und soll natürlich immer wieder hinterfragt werden, ob die Richtung stimmt und die Maßnahmen greifen. Es ist ein Prozess und kein starrer Weg der Entwicklung.
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/pj
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