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- „Nur wenn ein Unternehmen seinen Worten konkrete Taten folgen lässt, werden die Lieferanten ihre Geschäftspraktiken anpassen“
Interview mit Prof. Christian Hauser, Fachhochschule Graubünden „Nur wenn ein Unternehmen seinen Worten konkrete Taten folgen lässt, werden die Lieferanten ihre Geschäftspraktiken anpassen“

In ihren internationalen Lieferketten müssen Unternehmen zunehmend Nachhaltigkeitsanforderungen, wie sie das deutsche Lieferkettengesetz formuliert, berücksichtigen. Wie gut sind sie darauf vorbereitet? Eine Studie der Fachhochschule Graubünden gibt interessante Aufschlüsse. (Bild: picture alliance / Zoonar | Stefan Ziese)
Herr Professor Hauser, Sie haben am SIFE im Vorfeld des Inkrafttretens des deutschen Lieferkettengesetzes am 1. Januar 2023 Unternehmen im DACH-Raum dazu befragt, inwieweit diese darauf vorbereitet sind bzw. wie es um ihre Reife in Sachen verantwortungsvolle Unternehmensführung in internationalen Lieferketten bestellt ist. Wie sind Sie vorgegangen und wen haben Sie wie befragt?

In ihren internationalen Lieferketten müssen Unternehmen zunehmend Nachhaltigkeitsanforderungen, wie sie das deutsche Lieferkettengesetz formuliert, berücksichtigen. Wie gut sind sie darauf vorbereitet? Eine Studie der Fachhochschule Graubünden gibt interessante Aufschlüsse. (Bild: picture alliance / Zoonar | Stefan Ziese)
Christian Hauser: Insgesamt haben an der Umfrage 515 Unternehmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz teilgenommen, die international beschaffen. Das heißt die direkte von Lieferanten aus dem Ausland Rohstoffe, Vorleistungen oder Fertigwaren beziehen. Außerdem haben wir mit über einhundert Personen persönliche Interviews geführt beziehungsweise diese haben an Fokusgruppen-Workshops in Lateinamerika und Asien teilgenommen.
Was sind die Kernerkenntnisse aus Ihrer Sicht?
Christian Hauser: Wir haben erhoben, in welchem Umfang die Unternehmen Maßnahmen zur Sicherstellung verantwortungsvoller Unternehmensführung in ihren internationalen Lieferketten ergreifen. Dabei kam heraus, dass bereits 53 Prozent der Unternehmen mehr als eine Maßnahme ergreifen. Wir haben dieses Ergebnis jedoch mit den Befunden von Studien verglichen, die sich mit der Frage nach der Häufigkeit entsprechender Maßnahmen beschäftigen, die auf interne Anspruchsgruppen, die Mitarbeiter, ausgerichtet sind. Dabei zeigt sich, dass die Unternehmen gegenüber ihren Lieferanten relativ wenige Aktivitäten entfalten. Dies deutet darauf hin, dass in diesem Bereich noch deutlicher Nachholbedarf besteht.
Unter anderem haben Sie gefragt, wie hoch die Unternehmen die Eintrittswahrscheinlichkeit bestimmter ESG-Risiken bewerten. Welche Risiken unterscheiden Sie? Welche Einschätzung gaben die Unternehmen?
Christian Hauser: Die Unternehmen gehen vergleichsweise häufig davon aus, dass bei ihren ausländischen Lieferanten Umweltrisiken auftreten. Beispielsweise sagen 44 Prozent, dass ihr Lieferant Treibausgase in beträchtlichem Umfang emittiert. Fast genauso viele gehen davon aus, dass es zu Gewässer-, Luft- oder Bodenverschmutzung kommt und Abfälle unsachgemäß entsorgt werden. Gleichzeitig schätzen Sie die Auswirkungen der Umweltrisiken auf ihre eigene Reputation als verhältnismäßig geringer ein. So gehen nur 31 Prozent davon aus, dass der schlechte CO2-Fussabdruck ihres Lieferanten negative Konsequenzen für sie selbst hat. Bei sozialen und Governance-Risiken verhält es sich genau umgekehrt. Diese treten relativ seltener auf, haben aber eine höheres Schadenspotenzial.
Auswirkungen von ESG-Risiken beim direkten Lieferanten auf das Unternehmen. Zum Vergrößern hier klicken. (Grafik: FHGR)
Was sind die verbreitetsten Maßnahmen, die Unternehmen ergreifen, um eine verantwortungsvolle Unternehmensführung sicherzustellen? Welche davon halten Sie für besonders geeignet?
Christian Hauser: Am häufigsten geben die Unternehmen an, dass sie ihre Lieferanten einen Lieferantenkodex unterschreiben lassen, in dem die Kriterien einer verantwortungsvollen Unternehmensführung verankert sind. Dies kann jedoch nur ein erster Schritt sein. Denn Papier ist ja bekanntlich geduldig. Vielmehr ist es notwendig, für jeden Lieferanten ein Maßnahmenpaket zu ergreifen, das auf das jeweilige Einflussniveau und Risikoprofil abgestimmt ist.
Setzen die Unternehmen damit aus Ihrer Sicht die richtigen Prioritäten? Was sind aus Ihrer Sicht die größten/verbreitetsten Risiken, vor denen sich Unternehmen auf den drei Feldern Environmental, Social und Governance in internationalen Geschäftsbeziehungen hüten sollten?
Christian Hauser: Unsere Studienergebnisse zeigen, dass sich die Unternehmen stark an den gesetzlichen Vorgaben orientieren. In Bereichen, in denen zum Teil schon seit Jahrzehnten Gesetze in Kraft sind, wie z.B. im Wettbewerbsrecht oder bei der Korruptionsbekämpfung, sehen wir, dass die Unternehmen deutlich häufiger konkrete Maßnahmen ergriffen haben als in Bereichen wie Umwelt und Soziales, in denen die rechtlichen Regelungen erst noch in Kraft treten werden. Dies deutet auf einen reaktiven Umgang mit den Risiken hin. Es ist fraglich, ob sich dieses Vorgehen als nachhaltig erweist, da es mit erheblichen Reputations- und Haftungsrisiken verbunden ist.
Für die Bewertung des Einflussvermögens eines Unternehmens auf seine Zulieferer ziehen Sie verschiedene Typen von Geschäftsbeziehungen heran. Welche sind das, und welche Handlungsoptionen folgen aus Ihrer Sicht daraus?
Christian Hauser: Wir unterscheiden «Strategic», «Leverage», «Bottleneck» und «Non-Critical»-Geschäftsbeziehung. Je nach Art der Geschäftsbeziehung ist das Einflussvermögen eines Unternehmens auf seine Zulieferer unterschiedlich.
- Bei einer strategischen Geschäftsbeziehung haben beide Parteien ein starkes Interesse an der Zusammenarbeit.
- Bei einer «Leverage»-Geschäftsbeziehung besitzt das Unternehmen eine ausgeprägte Verhandlungsmacht gegenüber dem Zulieferer, da dieser in einem Abhängigkeitsverhältnis steht. Somit ist in diesen beiden Konstellationen das Einflussvermögen recht hoch. Das heißt, dass ein Unternehmen seinen Erwartungen bezüglich verantwortungsvoller Unternehmensführung relativ gut Nachdruck verleihen kann.
- Bei einem «Bottleneck»-Lieferanten ist die Situation genau umgekehrt. Hier steht das Unternehmen in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Lieferanten. Folglich hat das Unternehmen kaum eine Handhabe, das Geschäftsgebaren des Lieferanten zu beeinflussen.
- Bei einem nicht-kritischen Lieferanten ist die gegenseitige Abhängigkeit und damit auch das Einflussvermögen eher gering.
Aber auch bei «Bottleneck» und nicht-kritischen Geschäftsbeziehungen hat ein Unternehmen die Möglichkeit, auf eine verantwortungsvolle Unternehmensführung seitens seiner Lieferanten hinzuwirken. In unserem Handbuch geben wir konkrete Hinweise, wie dies erreicht werden kann.
Wie können Unternehmen ihr individuelles Risikoprofil erstellen? Welche Schritte empfehlen Sie an dieser Stelle?
Christian Hauser: Zunächst muss ein Unternehmen sämtliche ökologischen, sozialen und Governance-Risiken identifizieren, die in seiner Lieferkette auftreten könnten. Hierfür ist es notwendig, die Perspektive der Lieferanten aber auch von anderen Anspruchsgruppen wie Mitarbeitende oder Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen zu berücksichtigen. Nachdem eine solche Risikoliste erstellt wurde, geht es im nächsten Schritt darum, die einzelnen Risiken zum beispiel mithilfe einer Risikomatrix zu bewerten. Auch hierfür empfiehlt es sich, mit den verschiedenen Anspruchsgruppen zusammenzuarbeiten und möglichst objektive Daten heranzuziehen. Anschließend werden die Informationen für jeden Lieferanten zu einem Risikoprofil verdichtet.
Was gehört dazu, um ein Unternehmen hinsichtlich Mindset und organisatorisch auf ein gesetzeskonformes Handeln im Sinne des Lieferkettengesetzes vorzubereiten?
Christian Hauser: Zunächst gilt es, sich mit der Situation der Lieferanten vertraut zu machen und die formalen Voraussetzungen für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit im Bereich verantwortungsvolle Unternehmensführung zu schaffen. Dies kann etwa durch spezielle Klauseln in den Verträgen oder einen Lieferantenkodex erreicht werden. Der nächste Schritt ist die Durchführung von Schulungen und Dialogveranstaltungen mit den Lieferanten, damit diese befähigt werden, das umzusetzen, was von ihnen bezüglich verantwortungsvoller Unternehmensführung erwartet wird.
Anschließend muss überprüft werden, ob die Vorgaben eingehalten werden. Dies kann z.B. mithilfe von Audits geschehen. Es ist aber auch wichtig, die Interessen der Lieferanten mit denen des Unternehmens anzugleichen. Wenn dies gelingt, ist es leichter, eine verantwortungsvolle Unternehmensführung in der Lieferkette zu gewährleisten. Umgangssprachlich könnte man dies auch als „Zuckerbrot und Peitsche“ umschreiben. Parallel zu diesen Maßnahmen muss ein Unternehmen sicherstellen, dass es über seine Anstrengungen Bericht erstatten kann, wie dies vom neuen Gesetz vorgesehen ist.
Handlungsoptionen für verantwortungsvolle Unternehmensführung. Elemente einer Roadmap. (Grafik: FHGR)
Wie gelingt es, internationale Lieferanten / Geschäftspartner dauerhaft einzubinden? Was sind hier spezielle Hürden / Stolperfallen?
Christian Hauser: Entscheidend ist, das von mir beschriebene Vorgehen nicht als einmalige Pflichtübung zu betrachten, sondern als einen Prozess der kontinuierlichen Verbesserung. Nur so kann ein nachhaltiges Ergebnis erzielt werden. Außerdem ist es wichtig, dass die Lieferanten spüren, dass das Unternehmen es ernst meint. Nur wenn ein Unternehmen seinen Worten konkrete Taten folgen lässt, werden die Lieferanten ihre Geschäftspraktiken anpassen.
Abschließend würde uns interessieren: Inwieweit gibt es Ihren Ergebnissen zufolge Unterschiede im Umgang mit ESG zwischen Unternehmensgrößen und den Ländern Schweiz, Österreich und Deutschland?
Christian Hauser: Bezüglich der Unternehmensgröße zeigt sich, dass größere Unternehmen erwartungsgemäß in der Regel über mehr Maßnahmen verfügen, also als besser vorbereitet angesehen werden können. Bezüglich der Länder zeigen sich keine signifikanten Unterschiede. Dies ist bemerkenswert, da sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz ab dem 1. Januar 2023 neue gesetzliche Regelungen greifen, wohingegen in Österreich noch an einem Vorschlag für ein Lieferkettengesetz gearbeitet wird. Dies lässt wiederum darauf schließen, dass viele deutsche und Schweizer Unternehmen noch nicht ausreichend gerüstet sind.
Das Interview führte unser Redakteur Alexander Kolberg.
Die vollständige Version der Studie steht hier zum kostenlosen Download zur Verfügung.
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