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Interview mit Alain Le Berre, Csaba Angyal & Silvio Bracone von EPH "Oft werden für eine Sanierung 'Branchenexperten' gesucht, was ein grober Fehler sein kann"

Warum sind Sie selbst in der Sanierungsberatung gelandet?
Alain Le Berre: Als 24-Jähriger direkt aus der Uni bin ich sozusagen "in den Sanierungstopf hineingefallen", als ich damals eine ganz neue chemische Produktionsanlage in Bonn, die seit sechs Monaten nicht anfahren wollte, irgendwie dazu bringen sollte, gefälligst doch zu starten. Sechs Monate später durfte ich als Abteilungsleiter, der sieben Tage die Woche rund um die Uhr nun einwandfrei laufenden Anlage, nicht nur seine 49 Schichtarbeiter tagtäglich verantworten, sondern auch als stellvertretender Produktionsleiter fürs gesamte Werk (220 Mitarbeiter) die restlichen "Problemkinder" im Produktionsbereich aller anderen Anlagen übernehmen.
Fast Forward 30 Jahre und ich bin noch dabei, nämlich: Für Unternehmer und Gesellschafter schwierige, anspruchsvollen Sanierungsfälle und tiefgreifende, wichtigen Transformationsprozesse zu verantworten - allerdings mittlerweile nun eher als CRO (Chief Restructuring Officer), CTO (Chief Transformation Officer), CFO oder Interim-CEO. Oder manchmal auch bloß als einfacher Berater, je nachdem was für eine gewisse Situation am besten geeignet ist.
Csaba Angyal: Ich habe meine kaufm. Berufstätigkeit im Controlling begonnen, wo man häufig Schwachpunkte in Unternehmen aufdeckt, die ich schon immer im weiteren Verlauf verbessern wollte. Danach war ich mehrere Jahre bei einem Private Equity/Turnaround Investor tätig, wo das Sanieren von Unternehmen zum Geschäftsmodell gehörte.
Was fasziniert Sie an der Aufgabe?
Alain Le Berre: Als Kind von Ärzten, die mit "Leben-und-Tod" Situationen tagtäglich umzugehen hatte, bin ich seit Kindesbeinen an kritische Situationen gewöhnt, die rasche, jedoch auch Konsequenzen-reiche Entscheidungen notwendig machen. Mich fasziniert dabei besonders die Kombination von notwendiger analytischer Schärfe, einem synthetischen Bild, und einem feinen Fingerspitzengefühl, die für eine erfolgreiche Sanierungsarbeit alle stets anzuwenden sind.
Csaba Angyal: Faszinierend ist, dass eine nachhaltig erfolgreiche Sanierung stets den Mix aus Anpassung des Geschäftsmodells, operative Verbesserungen und die Veränderung der Unternehmenskultur erfordert.
Silvio Bracone: Stärker als mich die Restrukturierung fasziniert, tut es eigentlich das Thema "Change", welches sich mit starken Veränderungen in einer Unternehmung beschäftigt. Restrukturierung erfordert in der Regel schnelle Einschnitte und Personalreduktion. Change Management hingegen versucht, nachhaltig Dinge zu verändern und die beteiligten Personen auf dem Weg mitzunehmen.
Was war bislang Ihr schwierigster Restrukturierungsfall? Was hat den Fall besonders herausfordernd gemacht?
Alain Le Berre: Eher als ein besonders schwieriger Fall, würde ich gerne einige Risikofaktoren nennen, die leider oft auftauchen, und die die Erfolgschancen einer gelungenen Sanierung stets negativ beeinflussen:
- Verspätete Wahrnehmung: Auch wenn sich Warnsignale schon seit langem gezeigt haben, wird seitens der Entscheidungsträger oft viel zu spät gehandelt.
- Unterschätzung des Umfangs und der Tiefe der Probleme: Auch wenn der Handlungsbedarf erkannt wurde, wird oft nur halbherzig gehandelt, und die notwendigen Sanierungsmaßnahmen nur unvollständig und/oder zu langsam durchgeführt.
- Mangel an erfahrener Sanierungsexpertise: Oft werden für eine Sanierung "Branchenexperten" gesucht, was ein grober Fehler sein kann: Im Unternehmen kennt man ja die Branche schon in- und auswendig. Was dagegen gebraucht wird, und meistens im Unternehmen nicht vorhanden ist, ist eine langjährige Sanierungsexpertise, auch wenn sie in anderen Branchen gesammelt wurde.
Csaba Angyal: Das letzte Mandat "Sanierung eines insolvenzreifen Unternehmens in der Medizintechnik" war eines der anspruchsvolleren Projekte, da man innerhalb von sechs Monaten aufgrund der Corona-Pandemie ein zweites Mal insolvenzreif war, nachdem man die erste drohende Insolvenz aus eigener Kraft abwenden konnte. In einem Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung bestand die Herausforderung in der sehr zeitnahen Erarbeitung eines Sanierungskonzepts nach IDW S6 Standard.
Silvio Bracone: Die Restrukturierung der Administration eines großen Retailers. Besonders herausfordernd war, dass die Vorstellungen und Erwartungen des Kunden sehr hoch und analytische Vorarbeiten von schlechter Qualität waren. Trotz der schwierigen Voraussetzungen und einiger Auf- und Abs konnte letztendlich das Projekt erfolgreich umgesetzt werden.
Welcher Ihrer Cases ist Ihnen besonders positiv in Erinnerung geblieben?
Alain Le Berre: Gott sei Dank sind es viele! Vielleicht hier einige vielleicht besonders prägnanten Beispiele:
- Großunternehmen: Operative und Finanzielle Restrukturierung eines "quasi-sovereign" 28-Gesellschaften-Konglomerats in einem Golfstaat (700M$ Umsatz, 1'600 Angestellte)
- Größerer Mittelstand: Post-Merger Integration und Restrukturierung des Vertrieb- und Distributionsnetzwerks von 2 Wettbewerbern OHNE die ursprünglich geplanten Stellenstreichungen, sondern stattdessen mit erheblichem Umsatzwachstum (150M€ Umsatz, 350 Angestellte und Distributoren)
- Kleinerer Mittelstand: Turnaround CFO und CRO eines Verlags (Umsatz: 12M€), Insolvenzvermeidung, Konkordat und Veräußerung
Csaba Angyal: Zum Beispiel die außergerichtliche Sanierung des osteuropäischen Produktionsstandortes eines deutschen Familienkonzerns. Das Druckgusswerk (75 Mio Umsatz, 1.000 Mitarbeiter) konnte mit einem Beitrag der Gesellschafter, einem Mix aus strategischen Anpassungen und kurz- sowie mittelfristigen operativen Maßnahmen aus der Krise herausgeführt werden.
Silvio Bracone: Die Schließung einer italienischen Chemiefabrik. Zumindest war dies das Briefing zu Beginn des Projekts: Im Verlauf stellte sich dann heraus, dass das Kostenproblem hauptsächlich darin bestand, dass für die falschen Produkte in den falschen Märkten angeboten wurden. Eine Re-organisation des europäischen Produktionsnetzwerks konnte schlussendlich deutlich höhere Einsparungen erzielen als die ursprünglich angedachte Schließung der Produktionsstätte.
Was ist in Corona-Zeiten in Bezug auf die Restrukturierung von Unternehmen besonders herausfordernd?
Alain Le Berre: Ganz eindeutig die fehlende Visibilität, die sowohl die Unternehmensplanung als auch jene Entscheidungen über dem Umfang und die Tiefe der notwendigen Sanierung massiv erschweren.
Csaba Angyal: Einerseits die Beachtung der neuen, teilweise temporär gültigen insolvenzrechtlichen und sonstigen Regularien (z.B. Möglichkeiten der Staatshilfen, andere Fristen etc.). Andererseits die noch höhere Volatilität und Unsicherheit in den zu erstellenden Plänen und Maßnahmen (Business-, Liquiditätsplan, operative Maßnahmen), die eine noch genauere Verfolgung der Abweichungen und stetige, zeitnahe Anpassung der Maßnahmen erfordert.
Silvio Bracone: Insbesondere der Umstand, dass viele Projekte remote und nicht vor Ort stattfinden können. Es ist schon sehr herausfordernd hochsensible Themen über Zoom ohne persönliche Treffen zu besprechen und umzusetzen.
Über die Personen:



Alle drei Berater sind Mitglied im Netzwerk unseres Kooperationspartner expertpowerhouse. EPH vermittelt Berater oder Fachexperten. Egal, ob Sie selbst eine Unternehmensberatung sind und Mithilfe in einem Projekt benötigen, oder als Endkunde direkt Beratungsbedarf haben.
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