#1Blick vom Beratungsforscher Papst Franziskus über Consulting

Wenn der Papst über Consultants und Consulting spricht, dann ist das ein ungewöhnliches Ereignis. Und doch ist vor wenigen Tagen genau dies geschehen. Der aktuelle #1Blick von Prof. Deelmann gibt eine kurze Vorstellung und Einordnung der Ansprache von Franziskus.

Papst Franziskus begrüßt bei seiner Ansprache im September Vatikan Gäste von Deloitte. Wie kam es dazu? (Bild: picture alliance / Stefano Spaziani | Stefano Spaziani)

Hintergrund: Wer, was, wann, wo, warum?

Papst Franziskus hat am 22. September 2022 Gäste von Deloitte im Vatikan begrüßt. Punit Renjen, Global Chief Executive Officer von Deloitte, richtete zunächst einige Worte an den Heiligen Vater, bevor dieser seine Ansprache gehalten hat. Die genaue Zusammensetzung der Besuchergruppe scheint noch unklar: Der Vatikan selber spricht von einem „Meeting of Deloitte Global“, in verschiedenen Berichten finden sich Formulierungen, die auf ein Deloitte-Stiftungstreffen, ein Wirtschaftsforum oder das Deloitte World Meeting hindeuten. Weitere, größere Besuchergruppen waren in der Audienzhalle Paul VI. nicht zu sehen, so dass diese auch nur zu weniger als einem Fünftel gefüllt war.

Eine solche Zusammenkunft stellt eine Besonderheit – gegenüber beispielsweise den regelmäßigen Generalaudienzen – aber keine Einzigartigkeit dar. So hat der Papst hat am 22. September noch zwei weitere Gruppen getroffen. Es soll sich aber um die erste Privataudienz für ein Privatunternehmen gehandelt haben. Als Kontaktpunkt für beide Seiten könnte die Arbeit von Renjen in der COVID-10-Kommission des Vatikans genutzt worden sein.

Der Vatikan stellt den Text der Ansprache hier bereit; eine inoffizielle deutsche Übersetzung, aus der auch die folgenden Zitate stammen, findet sich hier.

Die Sorge des Papstes & die Kompetenzen der Beraterinnen und Berater

Der Papst äußert – wenig überraschend – die Sorge, dass sich die Menschheit zwar globalisiert und vernetzt, Armut, Ungerechtigkeit sowie Ungleichheit aber bestehen bleiben und sich die Umweltbedingungen weiter verschlechtern. Er moniert, dass viele Menschen ihre Grundrechte, wie zum Beispiel auf ausreichende Ernährung, auf Gesundheit, auf Bildung etc., nicht ordentlich wahrnehmen können.

Das Beratungsverständnis des Papstes, das den Ausführungen in der Ansprache zu Grunde liegt, erscheint sehr frisch und ähnelt interessanterweise populären Darstellungen, beispielsweise derjenigen, die auch Marvin Bower für McKinsey formuliert hat. Es stellt Wissen, Fähigkeiten und Beziehungen (bzw. mit Bower: Möglichkeiten der Entscheidungsdurchsetzung) in den Vordergrund.

Drei Anregungen des Papstes für die Arbeit der Consultants

Schwerpunkt der Ansprache war die Frage: „Wie können Sie [angesprochen sind hier Consultants; TD] ihre Arbeit so gestalten, dass dadurch eine menschlichere, gerechtere und brüderlichere Welt ermöglicht wird?“

Der Papst gibt dafür drei Empfehlungen bzw. artikuliert drei Vorschläge:

  • Consultants sollen sich, erstens, ihrer Macht bewusst werden und diese für positive Zwecke einsetzen. Auch wenn sie selber keine Entscheidungen treffen, so bereiten Consultants sie doch vor und beeinflussen die Entscheidungsträger in Banken, Unternehmen, Verwaltungen, Regierungen etc. Als Leitsatz und Handreichung formuliert Franziskus die Frage, welche Art von Welt den Kindern und Enkeln hinterlassen werden soll.
  • Im Rahmen der zweiten Anregung drängt der Papst die Consultants dazu, ihre „kulturelle Verantwortung“ anzunehmen und anzuwenden. Dies meint die „Sicherstellung eines professionellen fachlichen sowie eines anthropologischen und ethischen Niveaus, das es Ihnen ermöglicht, Antworten vorzuschlagen, die mit der Vision des Evangeliums für Wirtschaft und Gesellschaft, also mit der katholischen Soziallehre, übereinstimmen.“ Dabei geht es darum „die direkten und indirekten Auswirkungen von Entscheidungen und ihre Folgen zunächst für Gemeinschaften, für die Menschen und für die Umwelt und erst dann für die Unternehmen zu bewerten.“
  • Als dritten Punkt nennt Franziskus die Förderung einer unternehmerischen Biodiversität bzw. eines ökonomischen Ökosystems. Dies dient „als Garantie für unternehmerische Freiheit sowie Wahlfreiheit für Kunden, Verbraucher, Sparer und Investoren, aber auch als unverzichtbare Voraussetzung für Stabilität, Gleichgewicht und menschlichen Wohlstand.“

Zielbild: „Ganzheitliche Berater“

Hinter diesen Punkten verbirgt sich ein ganzheitlicher Ansatz, der – in anderen Worten – eine Abkehr vom Shareholder Value und Hinwendung zum Stakeholder-Ansatz mit seinen vielfältigen und vernetzten Facetten unterstützt: „Tatsächlich sind menschenwürdige Beschäftigungen, die Sorge für das gemeinsame Haus, wirtschaftlicher und sozialer Wert sowie positive Auswirkungen auf die Gemeinschaften miteinander verbunden.“

Papst Franziskus ermutigt die Consultants „ganzheitliche Berater“ zu werden. Dieses Zielbild vereint den Blick nach vorne und den Verzicht auf alte Verhaltensweisen (die auch nur manchmal erfolgreich waren und wenn, dann nur in ganz speziellen Situationen) mit dem Gestaltungswillen, der Consultants typischerweise innewohnt, um sich einer notwendigerweise veränderten Wirtschaftsordnung zuzuwenden: „Sie verfügen über die richtigen Kompetenzen, um mitzuhelfen, die notwendige Brücke zwischen dem derzeitigen Wirtschaftsparadigma, das auf übermäßigem Konsum beruht und sich in der Endphase befindet, und dem sich abzeichnenden Paradigma, das auf Integration, Mäßigung, Fürsorge und Wohlbefinden ausgerichtet ist, zu schlagen.“

Eine Einzelmeinung für Einzelfälle?

Man mag schnell versucht sein, die Überlegungen vom „ganzheitlichen Berater“ als Einzelmeinung eines älteren, fachfremden Herren abzutun. Aber die artikulierten Ideen finden sich, wenn auch selbstredend nicht in diesen Worten und immer in dieser Intensität, auch an anderen Stellen: Beispielsweise bereits bei den ersten Consulting Engineers zur Zeit der zweiten Industriellen Revolution, im seinerzeit wirkmächtigen Gebiet der Landwirtschaftlichen Beratung insbesondere nach dem zweiten Weltkrieg, bei vielen Beraterinnen und Beratern, die sich der Organisationsentwicklung oder dem systemischen Beratungsansatz verschrieben haben, im Wertekanon der „neuen“ Generation Z, in den Forderungen von Marktbeobachtern und Kommentatoren; sogar prestigeträchtige Managementberatungen sprechen davon, dass sie die Nachhaltigkeit von Veränderungen in das Zentrum ihrer Arbeit stellen.

Der Pontifex formuliert also weder etwas gänzlich Neues, noch etwas sonderlich Abstruses. Vielmehr zeigt er in seiner Rolle als Brückenbauer Consultants einen Weg auf, ihre Profession ganzheitlich und damit zukunftsorientiert zu gestalten. Vermutlich hat er diesen Ratschlag nicht exklusiv für die Berater einer einzelnen Big-Four-Firma formuliert.

Über den Autor

Thomas Deelmann
Professor Thomas Deelmann arbeitet seit über 20 Jahren als, mit, für und über Berater. In seiner consulting.de-Kolumne #1Blick kommentiert er Marktentwicklungen aus der Vogelperspektive und schaut hinter die Kulissen der Arbeit von Beratern und ihren Kunden. Er lehrt an der HSPV NRW, twittert @Ueber_Beratung und berät bei strategischen Fragen. Als Buch erschien von ihm zuletzt „Die Berateraffäre im Verteidigungsministerium“ (2021, Erich Schmidt Verlag, 49,95 Euro).

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