The Consultant Hunter Per Videokonferenz zum neuen Job: Berater-Recruiting in Zeiten der Pandemie

Warum es auf den "Elevator-Pitch" ankommt
Als Personalberater führe ich jährlich rund 200 bis 250 persönliche Interviews mit so genannten "Senior Professionals" aus dem Beratungsgeschäft. Etwa 90 Minuten pro Gesprächspartner. Von Angesicht zu Angesicht. Doch dann kam Corona und stellte sowohl meine Profession als auch die Einstellungsprozesse meiner Klienten auf den Kopf.
An die Stelle von Face-to-face-Interviews traten zahlreiche Interviews per Videokonferenz. Einerseits ein Segen, da Kandidaten ein solches Gespräch mal eben zwischen zwei Geschäftsterminen einbauen und bequem aus dem Homeoffice führen können – der Prozess wurde dadurch deutlich beschleunigt. Andererseits bietet das digitale Auswahlgespräch deutlich weniger Informationspunkte: Zappelt der Kandidat unter dem Tisch nervös mit den Beinen? Wäre der Handschlag souverän und die Hände trocken? Würde die Person auch im persönlichen Gespräch den direkten Augenkontakt meiden oder liegt dies nur am digitalen Medium? Eines geht den Videokonferenzen ebenfalls ab: Der Weg zum Aufzug. Häufig können Kandidaten auf den letzten Metern zum Aufzug noch zeigen, wie professionell sie beispielsweise im Smalltalk sind oder welche Facetten Ihrer Persönlichkeit sich in bestimmten Hobbies widerspiegeln. Manch einer hat sich jedoch genau auf diesem Weg durch unsouveränes Verhalten oder flapsige, unangemessene Rhetorik doch noch disqualifiziert. Neben allen Qualifikationen und Kompetenzen, die es zu prüfen gilt, sind auch dies relevante Aspekte bei der Auswahl von Kandidaten.
Das hybride Modell

Von Gesprächsabbrüchen und Platzregen
Wenn bei der finalen Endauswahl doch noch ein persönliches Gespräch im Office vor Ort geführt wird, bietet dies den Parteien die Chance, sich beidseitig zu prüfen: Consulting-Arbeitgeber können das Auftreten der Kandidaten – Gestik, Mimik, Angemessenheit der Kleidung, Souveränität, Überzeugungskraft im direkten Austausch, etc. – ungefiltert wahrnehmen und somit abschließend zu einer Einschätzung gelangen. Auf der anderen Seite erleben die Kandidaten erstmals "erspürbar" die Unternehmenskultur: Wie sieht das Office aus? Wie ist der Umgang der Teammitglieder untereinander? Wie verhält sich der zukünftige Vorgesetzte in der direkten Interaktion? Wichtige Aspekte für die Entscheidung für oder gegen einen zukünftigen Arbeitgeber. Am persönlichen Gespräch von Angesicht zu Angesicht führt kein Weg vorbei – insbesondere, wenn es um exponierte Positionen geht.
Im aktuellen "New Normal" gibt es aber auch zahlreiche Unwägbarkeiten, mit denen man umgehen können muss. So wurde beispielsweise bei einem Präsentationstermin eines Klienten ein Interviewer im laufenden Auswahlgespräch herausgezogen, weil kurzfristig der Verdacht aufkam, er könne Corona-positiv sein. In einem anderen Fall verband eine Beratung die persönlichen Interviews Corona-konform mit einem kleinen Spaziergang an der frischen Luft – der plötzlich auftretende Platzregen bei einem dieser Interviews stellte sowohl den Interviewer als auch den Kandidaten vor Herausforderungen ganz neuer Art. Beide konnten völlig durchnässt über die Situation lachen und sich dadurch individuell weitaus besser kennenlernen als im klassischen Corporate-Office-Kontext. Diese Anekdoten aus der Praxis zeigen, dass es künftig von Vorteil sein wird, mental auf Flexibilität eingestellt zu sein, statt starre Prozesse durchexerzieren zu wollen. Je mehr es Beratungen schaffen, unvorhersehbaren Hindernissen situationsgerecht und durchweg sympathisch zu begegnen, werden sie auch umso mehr die Herzen ihrer zukünftigen Mitarbeiter gewinnen.
Worauf es in der Zukunft ankommen wird
Welche praktischen Implikationen ergeben sich entlang von hybriden Recruiting-Prozessen? Welche Empfehlungen sollten Arbeitgeber und Kandidaten beherzigen? Die folgenden fünf Punkte stellen meines Erachtens die absoluten Basics dar:
- Sofern noch nicht eingesetzt, sollten validierte diagnostische Verfahren eingesetzt werden, um rein virtuelle Gespräche anzureichen. Da per Videokonferenz manche Information nicht wie im persönlichen Treffen zu erhalten ist, bietet sich der Einsatz wissenschaftlich fundierter Testverfahren zur Analytik/Logik/Intelligenz oder zu den so genannten Big Five der Persönlichkeitspsychologie an. Präferenzbasierte Tools können zudem eine Indikation zu Werten und Einstellungen der Person liefern und als Grundlage für weiterführende Gespräche dienen.
- Was grundsätzlich gilt, ist im Rahmen von Videointerviews essenziell: Interviewer müssen aktiv zuhören können. Viel zu häufig geschieht es, dass sich Interviewer selbst zu stark im "Sendemodus" befinden und den Antworten des Kandidaten zu wenig Beachtung schenken. Da Gestik und Mimik und zum Teil auch das gesprochene Wort deutlich eingeschränkt übertragen werden, gilt es, mit allen Sendern auf "Empfangen" zu stehen und gegebenenfalls nochmals nachzuhaken, falls Unklarheiten entstehen.
- Planen Sie eher mehr Zeit für die Videokonferenz ein als zu wenig. Wer kennt es nicht: Schnell gehen 5 Minuten zu Beginn der Videokonferenz verloren, da einer der Teilnehmer sich eben noch in einem anderen Telefonat befand und verspätet hinzustößt. Jedoch spricht ein weiterer Aspekt noch weitaus stärker für eine Verlängerung des Termins: Um eine vertrauensvolle Gesprächsbasis zu schaffen, in der man das Gegenüber bestmöglich "persönlich" kennenlernen kann, muss ausreichend Zeit für eine Selbstvorstellung aller Gesprächsteilnehmer sowie für Smalltalk vorhanden sein. Ein schnelles "Hop-on und Hop-off" wird nicht ausreichen, um einen nachhaltigen Eindruck zu erzeugen. Wenn man also eigentlich denkt, dass 60 Minuten ausreichen, sollten eher 90 Minuten angesetzt werden.
- Sorgen Sie unbedingt für ein professionelles Erscheinungsbild. Beide Parteien, sowohl Arbeitgeber als auch Kandidaten, sollten eine positive Visitenkarte hinterlassen und Selling ihrer selbst betreiben. Da der Arbeitsmarkt im Consulting klar als "Kandidatenmarkt" zu bezeichnen ist, in dem eher die Beratungshäuser um die stark hofierten Kandidaten buhlen müssen, sollten jedoch insbesondere die Interviewer des Beratungsunternehmens Sorge dafür tragen, dass sie in der Videokonferenz viele positive Signale senden. Und wer kennt sie nicht: Die besonders attraktive Raufasertapete im Hintergrund des Gesprächspartners, der kaum zu erkennen ist, da er schlecht ausgeleuchtet ist. Positiv überraschen kann man hier mit einem sehr guten, hochauflösenden virtuellen Hintergrund, der beispielsweise einen Einblick in das Office bietet und/oder professionell mit dem Logo des Unternehmens versehen ist. Und Geld für die Anschaffung einer Tischlampe zu investieren, die frontal von vorne ausleuchtet und die Person ins rechte Licht rückt, ist mehr als sinnvoll.
- Planen Sie ausreichend Rüstzeit für das Videointerview ein. Wer von Videokonferenz zu Videokonferenz hastet, eben noch einen anderen Geschäftstermin hatte und nun unmittelbar in das Interview springt, wird vermutlich nicht die beste Leistung im Gespräch abliefern können. In der klassischen "analogen" Welt setzte man sich ins Auto oder den Zug, um zum Gesprächstermin anzureisen, man saß zunächst am Empfang und hatte ausreichend Gelegenheit, langsam mit der Situation warm zu werden. Dies ist in der virtuellen Welt de facto nicht möglich, weshalb man sich vor Gesprächsbeginn genügend Zeit einplanen sollte, um sich selbst auf das richtige "Standgas" einzustellen.
Diese Liste ließe sich noch umfangreich fortsetzen. Wenn jedoch allein die vorgenannten Punkte beherzigt würden, hätten beide Parteien eine ausreichend gute Basis, um ein konstruktives, zielführendes Videointerview führen zu können. Und selbst, wenn es dann am Ende zu keiner Fortsetzung der Gespräche kommen sollte, hätte man doch einen professionellen Eindruck hinterlassen und eine positive "Candidate Experience" erzeugt.
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/jj
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