BDU - Deutscher Personalberatertag 2022 Personalberatung zwischen Künstlicher Intelligenz und menschlicher Empathie

Joachim Pawlik, CEO der Pawlik Consultants, während seines Vortrags zur Bedeutung menschlicher Empathie in der Arbeitswelt. (Foto: Alexander Kolberg)
Möglichkeit zum ausführlichen Austausch boten die großzügigen Pausen im Kongressprogramm des zweiten Tages allemal. Dieses hatte der BDU in den Spannungsfeldern Künstlicher Intelligenz vs. Empathie beziehungsweise (technologische) Innovation vs. langjährige Erfahrung als Personalberater angelegt und dazu auf dem Petersberg bei Bonn eine passende Mischung aus Vortragenden und Themen auf die Bühne geholt. Über allem schwebte die Frage: Macht die Künstliche Intelligenz am Ende bestimmte Professionen – hier die Personalberater – überflüssig?
KI im Unternehmenseinsatz: Vieles noch Zukunftsmusik
Den Auftakt machte Dr. Wolfgang Hildesheim, Director Watson, Data Science & Artificial Intelligence DACH bei IBM, mit seinem Vortrag „Weltweiter Megatrend: Künstliche Intelligenz – Chancen und Risiken“. Seiner Beobachtung nach werden Chancen und Risiken Künstlicher Intelligenz sowie ihre Marktreife häufig falsch eingeschätzt – unter anderem verwies er dabei auf den Gartner Hype Cycle for AI. Hildesheim zeichnete die Erfolgsgeschichte von Künstlicher Intelligenz vom Schachcomputer „Deep Blue“ (1997) über IBMs Jeopardy-Sieger „Watson“ (2011) und „Google Alpha Go“ als GO-Champion bis hin zu IBMs „Project Debater“ als Talent für politische Debatten nach, gab aber auch konkrete Anwendungsbeispiele aus Unternehmen.
Bislang kämen im Business-Kontext vor allem Lösungen aus dem Bereich der „Narrow AI“ zu speziellen Prozessen/Inhalten zum Einsatz. Ziemlich ausgereift schienen die von Hildesheim gezeigten Beispiele der Chat-Bots von HUK24 und der Hamburger Stadtverwaltung. Die beiden weiteren Stufen Künstlicher Intelligenz „General AI“ (u.a. mit Kompetenz zur Lösung unbekannter Probleme / wie Menschen) und „Super AI“ (dem Menschen überlegen) würden aktuell erfolgversprechend erforscht beziehungsweise seien noch Science-Fiction.
Bezogen auf HR-Prozesse ging Hildesheim unter anderem auf Potenziale in den Bereichen Recruiting und Personalentwicklung ein. So kommt bei IBM bereits ein intelligentes Lernportal zum Einsatz, dass Mitarbeitern die neuesten auf ihr Profil passenden Weiterbildungen empfiehlt. Eine weitere KI hilft IBM dabei, auf der Basis von Belegschaftsdaten Stellenprofile und Ausschreibungen zu optimieren. Problematisch seien laut Hildesheim weiterhin KI-Lösungen für die Auswertung von Bewerbungen. Denn an dieser Stelle seien durch den EU AI Act aus dem Jahr 2021 enge Grenzen gesetzt: „Unternehmen müssen beweisen können, dass der Algorithmus fair ist.“ Sorgen, obsolet zu werden, müsse sich der Mensch nicht machen. Hildesheim zeigte sich sicher:
„KI schafft neue Stellenprofile.“
Die Bedeutung von Empathie und wie man sie fördern kann
Unter dem Titel „Die neue Empathie“ sprach Joachim Pawlik, CEO der Pawlik Group, über das Einfühlungsvermögen und seine Bedeutung in der Arbeitswelt. Empathie habe nachweislich positive Effekte auf:
- Zufriedenheit und Leistungsbereitschaft,
- Team-Performance & Gesprächsteilnahme,
- Motivation & Loyalität,
- Kreativität & Lernbereitschaft
- Lernbereitschaft und Empathie.
Pawlik beobachtet aktuell allerdings ein „Empathie-Paradox“: Der in unsicheren Zeiten wachsende Wunsch vieler Menschen nach Zugehörigkeit treffe auf eine fortschreitende Arbeitsverdichtung, die sogar dafür sorgt, dass eher weniger Raum für empathische Gespräche bleibe. Negativ auf gelebte Empathie wirke sich zudem räumliche Distanz durch das Homeoffice aus, die permanente Informationsaufnahme durch Hyper-Reading führe sogar zu ihrer Verminderung. Lehren für die Arbeitswelt laut Pawlik unter anderem:
- Führungskräfte sollten bewusst geplante persönliche Gespräche mit Mitarbeitenden einstreuen und diese auch im Team fördern. Wichtig: Empathie darf nicht mit Arbeitsinhalten oder Erwartungen gekoppelt werden – dies wird schnell als Manipulation oder emotionaler Betrug aufgefasst;
- Auch E-Mails sollten bewusster verfasst und mit Nachfragen/positiven Botschaften versehen werden. Grund: Ohne regelmäßigen persönlichen Kontakt fehle oftmals der Kontext und Gelesenes werde schneller negativ interpretiert.
Xing im Recruiting: Potenziale und Kritik aus der Branche
Frank Hassler, CEO von New Work SE, der Muttergesellschaft von Xing und Kununu, sprach über „New Hiring. Das kommt. Das geht. Das bleibt“ und präsentierte aktuelle Beobachtungen zum Arbeitsmarkt. Die Industrie bereite sich massiv auf Neueinstellungen vor. Beispielsweise gehörten HRler, speziell solche mit Bezug zum Recruiting, auf Xing zu den aktuell am häufigsten gesuchten Profilen (im Vergleich zu Vor-Corona: + 221 Prozent). Hassler erinnerte daran, dass bis 2030 in Deutschland fünf Millionen Arbeitskräfte weniger zur Verfügung stehen werden, und präsentierte Zahlen aus einer Studie mit forsa, die für vermehrte Aufträge für Personalberater sprechen:
- 37 Prozent der Befragten sind offen für einen neuen Job (2021: 25 Prozent);
- 28 Prozent der Frauen sind mit ihrem Job unzufriedener als vor der Pandemie, bei Männern liegt der Anteil bei 18 Prozent;
- Jeder vierte Jobwechsler kündigt inzwischen ohne einen neuen Job.
Hassler brachte Xing als Plattform ins Spiel, über die passende Profile für die Vakanzen gefunden werden können. Im Anschluss konfrontierten die Personalberater Hassler mit kritischen Nachfragen: Speziell mit dem Xing TalentService, der beim Active Sourcing unterstützen soll, werde die Plattform zum Marktteilnehmer, was für Irritation sorge. Hassler versuchte zu beruhigen, was ihm nur mäßig gelang: Man wolle nicht mit Personalberatungen in Wettbewerb treten, bei dem Angebot gehe es nicht um die Vermittlung. Vielmehr sollten Arbeitgeber mit Kandidaten in Kontakt gebracht werden. Auch wenn viele Personalberater diese Leistung als den halben Weg ansähen.
Weitere Kritikpunkte waren nach Meinung vieler anwesender Personalberater hohe Gebühren für die Nutzung bei gleichzeitiger Abwanderung von Kandidaten (etwa aus dem IT-Bereich) und geringerer Response. Zu letzteren beiden Punkten gab Hassler der Beobachtung nur in Teilen Recht: „Ja, das gibt es. Aber nicht durchgehend. Auch uns geht es so, dass das Recruiting schwieriger wird.“
Podiumsdiskussion: Personalberater werden noch gebraucht
Mit der allgemeinen Frage „Quo vadis Personalberatung?“ beschäftigte sich eine Diskussionsrunde, die BDU-Vizepräsident Wolfram Tröger moderierte. Mit Bezug auf die Personalberatung wurden u.a. die Themen Künstliche Intelligenz, Diversity und das Verhältnis zu Kunden besprochen. Hier gestrafft einige Statements der Diskutanten:
Dr. Katharina Knaisch, Geschäftsführende Gesellschafterin Knaisch Consulting GmbH: „Personalberatung muss weiblicher werden. AI kann helfen, den Unconscious Bias herauszufiltern und zu mehr Frauen in Führungspositionen zu kommen – neben dem Mindset, der sich ändern muss… Personalberater können immer noch bei der Suche nach Profilen helfen: Nicht alle Menschen sind im Internet präsent. Viele Kandidaten haben zudem immer noch Vorbehalte gegen Auswahlprozesse, in die KI involviert ist… Geschwindigkeit wird wichtiger, gleichzeitig müssen Auswahlprozesse auch immer besser Potenziale von Menschen erkennen können.“
J. Carlos Fernandes, Managing Partner der Delta Management Consultants GmbH: „Wir brauchen keine Angst vor KI haben. Wir sollten sie in einzelnen Prozessen nutzen, aber KI kann im Bewerbungsprozess keine Emotion ersetzen. KI kann mir schneller 30 bis 40 Profile heraussuchen, aber keine individuelle Ansprache machen… Bereits im Pitch-Prozess werden wir teilweise gefragt, welche Personen wir konkret ansprechen wollen. Wenn man dann nicht antwortet, ist man raus.“
Frank Haindl, Geschäftsführer / Arbeitsdirektor der FraSec Fraport Security Services GmbH: „KI dürfen wir nicht vernachlässigen, aber auf Personalberater möchte ich als Personalverantwortlicher nicht verzichten. Personalberater haben oft mehr Fingerspitzengefühl für richtige Kandidaten als junge, hauseigene Recruiter. Wir haben mehrheitlich gute Erfahrungen gemacht mit Preis und Geschwindigkeit bei der Übermittlung der ersten Profile.“
Michael Maeder, Managing Partner Asia der August Leadership: „Der Einsatz von KI hängt von der Frage ab: Wie komplex ist das Problem, das wir für Auftraggeber lösen sollen? Bei Executive Search wird das bis zum Einsatz sicher länger dauern. Der asiatische Markt ist an dieser Stelle etwas probierfreudiger, als man das hierzulande ist… Diversity ist im internationalen Vergleich in Deutschland unterbelichtet, gerade im Mittelstand… Kundenunternehmen sind heute viel stärker als früher in den Research-Prozess und die Ansprache involviert.“
Kreatives Denken: Die große Stärke des Menschen
Die Abschluss-Keynote hielt der Neurowissenschaftler, Science Slammer und Buchautor Dr. Henning Beck zum Thema „Gehirn versus Künstliche Intelligenz und wie wir den Corona-Schock nutzen“. Beck warnte seine Zuhörer, Information nicht mit Wissen zu verwechseln:
„Kreatives Denken wird auf absehbare Zeit nicht von KI abgebildet werden. Das ist das, was wir Menschen besonders gut können.“
Bezogen auf KI im Recruiting-Prozess befand Beck: „Wenn Sie KI programmieren wollen, die für mehr Frauen in Führungspositionen beiträgt, müssen Sie die Biases aus den bestehenden Daten entfernen. Das ist eine menschliche Aufgabe.“
Der Vorteil des menschlichen Gehirns auch gegenüber anderen Spezies liege darin, dass es in Konzeption und Kategorien denke. Dies sorge für echtes Verstehen und befähige zu kreativem Denken. Allerdings zeigten Studien: „Wenn Menschen nur vor dem Bildschirm sitzen, werden sie unkreativer. Das kann besonders im Homeoffice beobachtet werden.“ Henning Beck gab Tipps für ein kreativitätsförderndes Arbeitsumfeld: Dies bestehe aus den drei Phasen Konzentration, Austausch mit anderen und Entspannung. Dabei gelte: „Die drei Komponenten des produktiven Arbeitens sollten an verschiedenen Orten erfolgen.“ Empfehlenswert sei zudem ein Verhältnis von Arbeit und Pause von 1:5. Weitere Erkenntnis: Innovation in Unternehmen sei auch durch das gängige Verständnis von Intelligenz Grenzen gesetzt:
„Intelligenz ist definiert als Fähigkeit, Probleme immer effizienter zu lösen. Sie ist nicht definiert als Fähigkeit Regeln zu brechen.“
Der kreative Regelbruch dürfte am Ende noch eine der menschlichen Stärken sein. Wenn Programme diesen eines Tages beherrschen, dürfte die Antwort auf die Eingangsfrage nach der Obsoleszenz des Menschen möglicherweise anders ausfallen. Aber so gingen die Teilnehmenden des BDU-Beratertages mit viel neuem Wissen und der Gewissheit auseinander, auf absehbare Zeit wohl doch noch gebraucht zu werden.
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