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Consulting im Style-Check - Kolumne Wolfram Saathoff Preise, Siegel, Weltrekorde — Warum Auszeichnungen im Consulting Misstrauen schaffen können

No girls one cup (Bild: Haus am Meer)
Ich bin jetzt in einem Alter, in dem man sich mal gemütlich in den Garten setzt mit einer Tasse Tee und das Leben Revue passieren lässt. Was macht mich aus, was habe ich erreicht? Meine Bilanz ist recht zufriedenstellend: Ich habe sechs Teilnahmeurkunden von den Bundesjugendspielen, war einmal Teilnehmer beim Waldlauf in Wallinghausen, und habe mit der Schülerzeitung, bei der ich mitgemacht habe, den dritten Platz bei einem Wettbewerb von Gruner+Jahr gewonnen. Außerdem hat mir mein Klassenlehrer mal einen kleinen Pokal geschenkt, weil angeblich niemand so viel geschwänzt hat wie ich. Da gibt es also einiges, auf das ich stolz sein, das ich meinen Enkelkindern mal erzählen kann. Und da ich nie welche haben werde, erzähle ich es einfach Ihnen!
Beratersiegel wie Schmetterlinge
Während ich so bei frühlingshaftem Wetterchen Tee trinkender Weise in meinem Garten sitzend mein Leben vor dem geistigen Auge fröhlich dahin ziehen lasse, nehme ich zwei Phänomene wahr, die jedes Frühjahr ungefähr zur selben Zeit auftreten: die Zecken, von denen die Hunde wieder in der ihnen eigenen dummdusseligen Hundigkeit von oben bis unten besetzt sind, und das ›Beste Berater‹-Siegel der BrandEins, das nun wieder unzählige Beratungswebsites schmückt wie Schmetterlinge, die sich zwecks Eiablage auf Runkelrüben und Stinkmorcheln niederlassen. In der Hoffnung, dass aus diesen Eiern dann Vertrauenswürdigkeit erwächst.
Siegel – schön ist anders
Aus grafikdesignerischer Sicht muss ich sagen, dass ich diese Siegel und Preise über alles hasse, denn sie sind in der Regel nicht nur arschteuer (was okay ist, wenn sie denn ihre Wirkung entfalten), sondern auch horrend hässlich, sehen sie doch allesamt aus, als hätte der unbezahlte Praktikant das Ungetüm in seiner Sojalatte-Pause schnell zusammengehauen. Hier ein englischer-Tourist-am-Strand-von-Malle-Rot, damit’s schön grell ins Auge geht, da eine Gratis-Typo, die man in den 90ern mit dem Wort ›edel‹ assoziierte, was schon damals falsch war, und so weiter.
Außerdem werden diese Siegel von den Verlagen nur in einer jeweiligen Größe dargeboten, sodass es auf Website oder Broschüre, muss man zwei oder drei von ihnen unterbringen, schön unharmonisch ausschaut: hier ein Quadrat, dort ein Kreis, da drüben ein Parallelogramm und daneben ein Rhombentriakontaeder mit asymmetrischer X-Achse gegen Pi zum Quadrat mal Alpha.
Die Farben darf man dann auch nicht anpassen, sie könnten sich ja sonst nahtlos in das Corporate Design des Kunden einpassen – und das muss unbedingt vermieden werden! Da so ein Siegel gerne mal vierstellig kostet, würde ich mir da durchaus ein bisschen mehr Kundennähe wünschen.
Ich meine damit natürlich niemand bestimmtes. Außer Top Consultant, Great Place to Work, BrandEins, Best of Consulting, Deutschlands Top Berater, Hidden Champions und wen ich sonst so vergessen haben sollte.
Der Sinn von Siegeln: Sicherheit, Orientierung, geiler machen
Aber abgesehen davon: Der Sinn hinter Siegeln auf Internetseiten ist ja, Sicherheit und Orientierung zu geben und sich selbst geiler zu machen als man unter Umständen ist. Kollege Deelmann hat dazu an ähnlicher Stelle einen sehr schönen Artikel geschrieben, lesen Sie ihn, lohnt sich! (Hier geht es zum Artikel!)
Als jemand, der aus der Praxis kommt, möchte ich die weisen Worte des Professors jedoch noch um einen aus meiner Sicht wichtigen Punkt ergänzen: Sie kennen doch bestimmt all die tollen Bio-Siegel, die in den letzten Jahren aus dem Boden geschossen kamen wie Runkelrüben und Stinkmorcheln. Da ist für jeden etwas dabei, sodass sich sogar das unternehmensgewordene Superböse mit Namen Nestlé mit vermeintlich seriösen Siegeln wie dem offiziellen EU-Biosiegel schmücken darf. Man darf von Bio-Siegeln halten, was man will. Aber Übersicht und Orientierung verleihen die nun nicht gerade. Und das ist durchaus auch so gewollt, wenn ich mal ganz tief in die Verschwörungsschublade greifen darf, siehe Nestlé.
Weniger ist manchmal mehr
Um dem Eindruck entgegenzutreten, da wolle sich eine viertelseidene Beratungsklitsche mit geil klingenden Siegeln und Preisen behängen, um top-seriös daherzukommen, sollte man auf Qualität setzen, nicht auf Quantität. Es wirkt auf die betrachtende Person tausendmal top-mäßiger, wenn man sagen kann, man hat fünf Mal in Folge Preis X oder Siegel Y verliehen bekommen, als jeweils ein Mal Preis A, Siegel B, Orden C, Auszeichnung D und obendrauf die Medaille in Bronze für arbeitnehmer*innenfreundliche Toilettenpapierhalterungen. Abgesehen davon, dass das dann aussieht wie Kraut und Rüben (siehe oben) – gerade spezialisierte Beratungsunternehmen profitieren viel mehr von regelmäßig diagnostizierter Güte als von rübenkrautigen Auszeichnungsdeponien.
Vornehme Zurückhaltung besser als Anbiederung
Auch ist Zurückhaltung mitunter seriöser als marktschreierische Anbiederung. Man muss nicht jedes Siegel abfeiern, als hätte man den Nobelpreis bekommen. Das ›Great Place to Work‹-Siegel ist ein schönes Nice-to-have, klar. Aber dort, wo es explizit um Recruiting geht, zum Beispiel in einem Stellenangebot, ist es viel sinnvoller eingesetzt, denn als ständiger Orden am Revers Ihrer Website baumelnd.
Eine Alternative
Überlegen Sie es sich also gut, ob sie ein paar tausend Euronen raustun wollen für das fünfte Siegel im Footer Ihrer Website, oder ob Sie sich das Geld nicht lieber für vernünftiges Marketing sparen.
Oder Sie machen es gleich ganz anders, suchen sich zehn Beraterkumpels, teilen sich mit denen eine ganzseitige Anzeige in einem Wirtschaftsmagazin, in der Sie sich selbst als ›Top Management Consultant‹ bezeichnen und klatschen sich dann gegenseitig auf LinkedIn ab, wie wichtig Sie alle sind, weil besagtes Wirtschaftsmagazin Sie ja als ›Top Management Consultant‹ bezeichnet hat. Top-seriös, das!
Über die Person
Warum sehen Beratungsunternehmen eigentlich so aus wie sie aussehen? Diese Frage stellt sich Wolfram Saathoff (Schuhgröße 43) in seiner monatlichen Kolumne. Der Kommunikationsdesigner und Trendforscher hat in Hamburg an der Design Factory International studiert und führt seit 2004 zusammen mit seinem Partner in Crime Steffen Kratz die Werbeagentur Haus am Meer in Barcelona. Gemeinsam machen sie die Beratungsbranche schöner. Mehr über die Agentur für Berater: www.hausammeer.org
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