Der Consultant Hunter Retention-Modelle in der Beratung: Von Tischkickern und Anlageverträgen

Das Gewinnen neuer Kolleginnen und Kollegen ist eine zentrale Aufgabe, die über den Erfolg oder Misserfolg eines Beratungshauses entscheidet. Mindestens ebenso entscheidend: Das Binden der Mitarbeitenden an das eigene Unternehmen. Doch welche Anreize helfen wirklich? Droht ein Überbietungswettkampf bei den Benefits? Eine aktuelle Bestandsaufnahme unseres Kolumnisten Daniel Nerlich, Partner bei Odgers Berndtson.

Tischkicker (Bild: picture alliance / dpa | Malte Christians)

Die einen konzentrieren sich darauf, etablierte und bewährte Maßnahmen weiter zu optimieren – die „Tischkicker-Fraktion“. Hier geht man - bewusst oder unbewusst - nicht bei dem mit, was sich die Konkurrenz an immer neuen Benefit-Innovationen ausdenkt. (Bild: picture alliance / dpa | Malte Christians)

Kostenlose Getränke, Obstkorb, vergünstigte Fitnessstudio-Tarife, Yoga-Kurse, Tischkicker, Team-Events, Hoodies mit Firmenlogo, Job-Bikes, Gesundheitsservices, finanzielle Unterstützung bei MBA-/Promotionsvorhaben, 4-Tage-Woche… diese Liste ließe sich endlos fortsetzen.  

Firmen haben in den vergangenen Jahren immer mehr Angebote geschaffen, um ihre Mitarbeitenden bei Laune zu halten. Manche davon steigern den „Social Glue“ und fördern die Einbindung der Person in das Team. Andere steigern das Well-Being oder bieten die Option, sich aktiv im Bereich Social Responsibility einzubringen. Wiederum andere leisten konkrete finanzielle Unterstützung und treten neben die reine Cash-Kompensation. Und es ist kein Geheimnis: Unternehmensberatungen sind sicherlich von jeher in der Spitzengruppe, wenn es um Retention-Maßnahmen geht. Doch angesichts des immer enger werdenden Kandidatenmarktes stellt sich die Frage: Was bindet Mitarbeitende wirklich, was ist reine Vergeudung von Zeit und Geld? 

The Great Resignation und das Facebook-Szenario 

Es ist ein Horror-Bild: Eben noch hatte man ein gut aufgestelltes, eingespieltes Team, doch dann kommt es zu Kündigungen en masse – und diese betreffen nicht nur diejenigen, auf die ohnehin hätte verzichtet werden können, sondern auch die Leistungsträger. In den USA wurde dieses Phänomen seit Anfang 2021 in den Arbeitsmarktdaten beobachtet und von Professor Anthony Klotz mit dem Begriff „the Great Resignation“ beschrieben. Auch alternative Bezeichnungen wie „Big Quit“ oder „Great Reshuffle“ lassen die Partnerschaften und HR-Abteilungen von Unternehmensberatungen in der Nacht nicht ruhiger schlafen.  

In meinen Gesprächen mit Unternehmensberaterinnen und Unternehmensberatern höre ich immer wieder den Satz: „Eigentlich wollte ich nur zwei oder drei Jahre im Consulting sein…“ – zumeist in Kombination mit der Aussage, dass Arbeitsinhalt, Umfeld und Entwicklungsperspektive letztlich doch derart positiv waren, dass man noch viele weitere Jahre in der Beratung verbracht hat.  

Was aber, wenn die ursprünglich geplante Verbleibdauer von immer mehr Consultants realisiert wird; drohen dann Zustände wie bei Microsoft, Oracle und Facebook, wo die mittlere Firmenzugehörigkeit zwischen einem und zwei Jahren liegt? 

Eine kleine Typologie der Retention-Ansätze 

Wenn man sich derzeit im Consulting-Markt umhört, vernimmt man ein durchaus differenziertes Echo: Zwar ist jedem und jeder bewusst, dass das Gewinnen, Hegen, Pflegen und Halten von Mitarbeitenden vermutlich die wichtigste Aufgaben neben dem Gewinnen von Kundenaufträgen sind.  

Wie man dies anstellt, wird jedoch sehr verschieden gesehen. Die einen konzentrieren sich darauf, etablierte und bewährte Maßnahmen weiter zu optimieren – die „Tischkicker-Fraktion“. Hier geht man - bewusst oder unbewusst - nicht bei dem mit, was sich die Konkurrenz an immer neuen Benefit-Innovationen ausdenkt.  

Dann gibt es jene, die den Blick ganz aktiv nach links und rechts richten, wettbewerbsgerecht mitziehen und zugleich von einem Überbietungswettkampf sprechen. Die wahrgenommene Aufwärtsspirale, die den Umfang an Benefits immer weiter vorantreibt, wird mit Blick in die Zukunft kritisch gesehen – die „Zukunftsskeptiker“. 

Und dann gibt es jene, die sehr viel Zeit und Kreativität aufbringen, um sich in die Lebenswirklichkeit ihrer Mitarbeitenden hineinzuversetzen und Anreize zu kreieren, damit diese gerne länger an Bord bleiben. Diese „Avantgarde“ versucht, möglichst individuell auf die Person zugeschnittene und zugleich zur Unternehmensphilosophie passende Maßnahmen zu entwickeln.  

Eine HR-Leiterin einer führenden Managementberatung verwies in diesem Zusammenhang auf den „lebensstilorientierten HR-Management“-Ansatz, den das Zukunftsinstitut entwickelt hat: Der Ansatz unterscheidet rund 20 Persona mit unterschiedlichen Werten und Interessen, auf die modernes HR Management eingehen sollte. Der Ansatz sensibilisiert dafür, dass es nicht „den einen“ Weg gibt, mit dem man die Mitarbeitenden mitnimmt und zum Bleiben bewegt. Es sind mehrere. 

Wenn das Geld lacht… 

Dies kann mitunter auch teuer werden. Wie oben bereits beschrieben, haben Softwarehäuser mit sehr kurzen Verweildauern ihrer Mitarbeitenden zu kämpfen. Dies kann man demütig akzeptieren oder man versucht, konkrete Angebote zu schaffen, die diesen Umstand auflösen. So sind in der Tech-Branche bereits seit Jahren „Long-Term-Incentive“-(LTI)-Modelle etabliert. Eigentlich ein simples, eingängiges Prinzip: Nur, wenn der oder die Mitarbeitende X Jahre im Unternehmen verbleibt, wird die Summe Y ausgezahlt. Man spricht dann davon, dass „restricted stock units“ nach den betreffenden Jahren „vesten“ (in wunderbarstem Denglish). Das können je nach Seniorität und Unternehmenswertsteigerung schnell sechs- und sogar siebenstellige Summen werden. Ein Modell, das Consulting-Häuser auch unterhalb der Partner-Levels einsetzen sollten?  

Abhängig davon, ob das Unternehmen an der Börse gelistet ist oder sich in privater Hand befindet, können solche Modelle unterschiedliche steuerliche Komplexität haben. Börsennotierte Firmen wie Accenture oder Capgemini setzen schon länger darauf, die eigenen Mitarbeitenden am Unternehmen zu beteiligen und darüber zu binden: So baut Capgemini beispielsweise auf den „Employee Share Ownership Plan“, der seit 2014 existiert und zwischenzeitlich 96% der gesamten Belegschaft zur Verfügung steht. Doch Capgemini belässt es nicht bei diesem finanziellen Anreiz: Felizitas Graeber, Chief People Officer bei Capgemini Invent, betont, dass neben dem Faktor „Reward“ (finanzielle Anreize) insbesondere auch „Development, Appreciation, Purpose und Community“ eine entscheidende Rolle bei dem Gewinnen und Halten von Mitarbeitenden spielen.  

Und man muss nicht internationaler Beratungskonzern sein, um greifbare Angebote für das eigene Team zu schaffen: Die mittelständische Beratung 4C Group wurde im Jahr 1997 bewusst als Aktiengesellschaft gegründet, um Mitarbeitenden die Option zu bieten, sich am Unternehmen zu beteiligen. Vorstandsmitglied Dr. Heiko Mauterer führt aus: „Wir wollen unsere Mitarbeitenden dahin entwickeln, unternehmerisch zu denken und zu handeln. Wir wollen unseren Mitarbeitenden die Möglichkeit geben, sich an unserem Unternehmenserfolg zu beteiligen. Wir wollen langfristige Geschäftsbeziehungen zu unseren Mitarbeitenden aufbauen“. Das Unternehmen verweist gerne darauf, dass 40% der Mitarbeitenden am Unternehmen beteiligt und 30% der Führungskräfte länger als 15 Jahre im Unternehmen sind. 

Firmen wie BearingPoint, die sich komplett in privater Hand der Equity Partner befinden, zeigen, dass man auch jenseits von Aktien(-optionen) finanziell attraktive Anreize schaffen kann: Seit 2021 hat man ein Programm aufgesetzt, um Mitarbeitenden unterhalb des Senior-Manager-Levels „Long-Term Incentives“ anzubieten. Charmante Logik: Sollten sich aus der Gruppe derer, die LTIs in Anspruch nehmen, doch die einen oder anderen verabschieden, bleibt für den Rest umso mehr im Topf. Judith Kederer, HR Director bei BearingPoint in Deutschland, kann noch nicht abschließend einschätzen, ob sich signifikante Trends ableiten lassen – die Fluktuation ist aber bereits leicht gesunken. Doch auch hier wird nicht allein auf Geld vertraut: Im Rahmen von Fokus-Sessions befragt man die Mitarbeitenden, warum sie in der Zukunft an Bord bleiben werden. Ziel ist es, eine individuelle Sicht einzufangen und möglichst effektive, individuelle Maßnahmen abzuleiten. 

…und Geld längst nicht alles ist 

Eine differenzierte Sicht auf das Thema hat man bei Deloitte – ebenfalls eine jener Gesellschaften, die nicht börsennotiert sind. Deloitte bietet jenseits der Partnerschaft de facto keine Beteiligungsmodelle an, man schaut sich die verschiedenen Incentivierungsmodelle jedoch aktiv an. Nicolai Andersen, CEO von Deloitte Consulting in Deutschland, gibt zu bedenken, dass Beteiligungen über Shares durchaus auch nachteilige Effekte haben können: „Echte Beteiligung bedeutet, dass ich als Mitarbeiter echtes Geld in der Firma stecken habe. Und das ist dann risikobehaftet. Wenn die Firma aber pleitegeht, ist das Geld weg. Der vorher ausgezahlte Bonus nicht. Man könnte also argumentieren, dass vor allem die Firma Vorteile hat“. Er führt weiter aus: „Stock Options machen dann Spaß, wenn der Aktienkurs extrem steigt. Starke Unternehmenswertsteigerung ist im Geschäftsmodell einer Beratungsfirma aber nur schwer möglich. Das geht besser bei Technologiefirmen“. Und zuletzt verweist Andersen auf den folgenden Umstand: „Gerade auf jüngeren Leveln wäre der Gegenwert der Stock Options immer noch so klein, dass die nächste Firma sie als Sign-on-Bonus leicht ablösen könnte. Das wird mit den MBA-Schulden ja auch so gemacht…“. Ist das mit den finanziellen Anreizen also doch keine so gute Idee? Schließlich zeigt die Wissenschaft bereits seit Jahrzehnten, wie wichtig die intrinsische Motivation ist und dass extrinsische Motivatoren sogar negative Effekte erzielen können. 

Fazit: Neben allen Anreizen ist gute Führung essentiell 

Losgelöst von den konkreten Incentivierungsmodellen: Allen – erfolgreichen – Unternehmen im Consulting-Markt ist bewusst, dass gute Führung, die von Wertschätzung und Respekt für sowie Wahrnehmung von Mitarbeitenden geprägt ist, einer der wichtigsten Faktoren im Kontext von Retention ist. Die Binsenweisheit, wonach Mitarbeitende Firmen wegen schlechter Führung verlassen, spiegelt sich alltäglich in der Wirklichkeit wider. Und es ist somit nicht nur Aufgabe von den CSR-, Diversity-, HR- oder Business-Unit-Leitungen, für niedrige Fluktuationszahlen und starkes Retention Management zu sorgen. Es obliegt einer jeden Führungskraft in der Beratung – von der Teilprojektleitung bis zum Managing Partner. Welche Leistungen neben guter Führung zusätzlich noch geboten werden, sollte von Beratung zu Beratung individuell abgewägt werden. Authentisch bleibt es dann, wenn Benefits auf die spezifische Philosophie und Kultur des Unternehmens einzahlen. 

 

Über die Person

Daniel Nerlich ist Gesellschafter und Partner bei einem führenden Unternehmen im Executive Search, Board Consulting und Management Audit. Zu seinen Klienten zählen die Top-10 der internationalen Strategieberatungen, die Big-4 Wirtschaftsprüfungs- und Advisory-Gesellschaften sowie sogenannte „Hidden Champions“. Seit rund fünfzehn Jahren liegt sein Fokus auf der Besetzung von Führungspositionen innerhalb der Unternehmensberatung. Zudem ist er Gründer des Online-Magazins CONSULTANT career lounge.

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