Fachbeitrag Skills vor Rollen - Skillmanagement in agilen Organisationen

Laut einer Lünendonk-Studie befinden sich etwa 65 Prozent der befragten Unternehmen am Beginn eines Veränderungs- und Anpassungsprozesses und nutzen in ausgewählten - vorwiegend IT-bezogenen - Bereichen bereits agile Methoden. Die Mehrheit der befragten Unternehmen investiert in den Aufbau von Schulungs- und Trainingskapazitäten (58 Prozent), während sich nur 45 Prozent im Recruiting auf neue Rollen und Persönlichkeiten fokussieren.
Vor Transformation Reifegrad ermitteln
Umso wichtiger wird es für Unternehmen, schon vor Beginn einer agilen Transformation den "Reifegrad" des Einzelnen sowie der gesamten Organisation zu ermitteln: Auf welchem Wissen über Agilität kann aufgesetzt werden? Bringen die Mitarbeiter die fachlichen Skills mit, um agile Teams zu bilden, die den gesamten Wertschöpfungsprozess abdecken? Bringen sie Methodenwissen mit, welches ein Arbeiten nach beispielsweise Scrum oder Kanban erfordert? Und liegen die notwendigen sozialen Kompetenzen vor, die eine solche Transformation zwingend benötigt?
Wenn diese Transparenz gegeben ist, können Bildungsmaßnahmen zielgerichteter geplant und Bedarfe in den Stellenprofilen beim Recruiting berücksichtigt werden. Die Erfassung sozialer Kompetenzen und deren Abgleich mit dem gewünschten Zustand in der Zukunft gibt eine Indikation zur aktuellen Unternehmenskultur und erlaubt eine Einschätzung zu möglicherweise notwendigen Investitionen in ein aktives Veränderungsmanagement.
Agil anwenden heißt nicht immer auch agil sein
Generell lässt sich in vielen Projekten rund um Agilität feststellen, dass der Grund für das Aufsetzen einer Agilitätsinitiative in den äußeren Umständen liegt. Wettbewerbsdruck und Markttrends führen dazu, dass Vorstände und Führungskräfte Ansätze des agilen Arbeitens dankbar aufnehmen und versuchen, den Expertenratschlägen entsprechend Folge zu leisten. Sie gründen Agilisierungsteams, besetzen neue Funktionsrollen wie die des Product Owners und des Scrum Masters und ordnen Mitarbeiter neuen Strukturen zu.
Dabei erlangen sie nur selten ein tiefes Verständnis von Agilität und versäumen oftmals das "Warum" hinter ihrer gewünschten agilen Transformation zu definieren. Mitarbeitern wird es damit erschwert, die Hintergründe des Wandels zu verstehen. Sie erkennen die Unternehmensentwicklungen als weiteren Trend, der aller Wahrscheinlichkeit nach ohne langfristige Konsequenzen an ihnen vorüberziehen wird.
Umbenennung statt Agilisierung
Auf organisationaler Ebene führt das mangelnde agile Wissen in diesen Fällen mehr zu einer Umbenennung als zu einer tatsächlichen Agilisierung. Es erfolgt keine Abbildung der Wertschöpfungskette in Teams, die den gesamten Produktentwicklungsprozess abdecken können. Stattdessen werden "neue" Teamstrukturen - da es keine andere Orientierungshilfe gibt - aufgrund bestehender Netzwerke und historisch gewachsener Themenkonstrukte gebildet. Die Folge sind weiterhin große Abhängigkeiten innerhalb der Teams und viele Schnittstellen in der Zusammenarbeit. Die Vorteile von Agilität finden nur teilweise Anwendung.
Die Umstellung auf agiles Arbeiten erfordert von Mitarbeitern und Führungskräften große Veränderungsbereitschaft und Anpassungsfähigkeit. Diese Einstellung darf nicht vorausgesetzt werden. Vielmehr müssen zu Beginn einer agilen Transformation alle Stakeholder an die Hand genommen und agiles Wissen aufgebaut werden. Darunter fällt sowohl das Sammeln praktischer Erfahrungen im Umgang mit agilen Arbeitsweisen als auch die Entwicklung entsprechender sozialer wie auch fachlicher Skills. Nur wenn die geplanten agilen Organisationsstrukturen verstanden werden und Mitarbeiter wie auch Führungskräfte sich in der Lage fühlen, mit den neuen Anforderungen umzugehen, können alte Verhaltensweisen systematisch abgelegt werden. Ist dies nicht der Fall, greifen die wirklichen Vorteile von Agilität nicht und unter den Mitarbeitern entsteht der Eindruck von Pseudo-Agilität.
Agilisierung braucht Skillmanagement
Einige Mitarbeiter bringen Vorwissen zu agilen Methoden mit. Andere wiederum hatten bisher keine Berührungspunkte. Sie befinden sich im Aufbau ihrer digitalen Skills und fühlen sich im Rahmen einer agilen Transformation schnell überfordert. Wie in jedem anderen Veränderungsprozess entscheidet unter anderem die Akzeptanz unter den Mitarbeitern über den Erfolg einer agilen Transformation. Ihre unterschiedlichen Reifegrade und Bedürfnisse müssen daher von Anfang an berücksichtigt werden.
Weder Führungskräfte noch Mitarbeiter können in der heutigen Welt zukünftige Veränderungen mit Sicherheit voraussagen. Entsprechend schwer fällt es Unternehmen, die richtigen Stellen auszuschreiben und Bedarfe frühzeitig zu erkennen. Dennoch ist eine Zukunftsstrategie als Orientierung in Zeiten des Wandels unabdinglich. Sie schafft einen grundsätzlichen Rahmen und spiegelt die Richtung der Transformation wider. Gleichzeitig erlaubt es eine agile Organisation, innerhalb dieses Rahmens flexibel auf neue Anforderungen zu reagieren und den Kurs, falls notwendig, nach zu justieren. Die Voraussetzung hierfür bildet ein aktives Skillmanagement, sprich die kontinuierliche und systematische Erfassung vorhandener Skills sowie die Ermittlung von Lücken auf Basis zukünftiger Anforderungen an den einzelnen Mitarbeiter.
Nicht jede Person und nicht jede Abteilung eignen sich für agiles Arbeiten
Die Ermittlung vorhandener beziehungsweise fehlender Skills kann Aufschluss darüber geben, an welchen Stellen eine agile Transformation empfehlenswert ist. Nicht jede Person und nicht jede Abteilung eignen sich für agiles Arbeiten. Die Ermittlung vorhandenen, agilen Wissens und entsprechender Skills vermeidet Überforderung und erlaubt eine zielgerichtete Vorbereitung und Weiterbildung der Mitarbeiter und Führungskräfte auf die Transformation.
Insbesondere die Bedeutung sozialer Kompetenzen in agilen Veränderungsprozessen wird häufig unterschätzt. Während Methoden wie Scrum oder Kanban von jedem Mitarbeiter gelernt werden können, kann der Ausbau von Teamfähigkeit, Kommunikationsbereitschaft oder Offenheit als Grundpfeiler eines agilen Mindsets nur über einen längeren Zeitraum gelingen. Auf individueller Ebene sind hiermit elementare Verhaltensänderungen verbunden, die eine besondere Mitnahme durch Führungskräfte und gegebenenfalls entsprechende Kulturwandelprogramme erfordern.
Auch bei der Besetzung agiler Rollen kann die Erfassung sozialer und fachlicher Skills eine Bereicherung darstellen. Beispielsweise kann die Fähigkeit zu "servant leadership" (übersetzt: dienende Führung) auf diese Weise festgestellt oder ausgebaut werden, um die Rolle des Scrum Masters oder Product Owners entsprechend auszufüllen. Durch unternehmensweite Skillprofile für agile Rollen und deren Abgleich mit den Profilen der Mitarbeiter wird dem Statusdenken in diesen Rollen entgegenwirkt und zum Beispiel die Fehlinterpretation der Product-Owner-Rolle als Teamleitung gemildert.
Schneller Check durch datenbasiertes Skillmanagement-System
Ein datenbasiertes Skillmanagement-System deckt durch einen Soll-Ist-Vergleich vorhandener und zukünftig relevanter Skills individuelle, teamübergreifende und unternehmensweite Lücken auf. Auf diese Weise können Trainings zu agilen Methoden übergreifend angeboten werden. Gleichzeitig lassen sich für das Individuum Bedarfe hinsichtlich Methoden- oder Rollentrainings feststellen und individuelle Entwicklungspfade erarbeiten. In agilen Kontexten verlieren hierarchische Strukturen und die damit einhergehenden Karrierepfade an Bedeutung. Abgeleitet vom individuellen Profil stellt sich nun eher die Frage, ob sich eine überfachliche Karriere im Sinne eines Coaches oder eine fachliche Karriere im Sinne einer Expertenposition oder als Product Owner anbietet.
Trend: Agile Teams nach einzelnen Skills suchen
Ob in klassischen oder agilen Konstrukten, die Führungskraft fungiert in der Personalentwicklung als Coach. Datenbasiertes Skillmanagement erleichtert diese Aufgabe, indem es alle Skills des Mitarbeiters offenlegt - auch solche, die über seine eigentliche berufliche Tätigkeit hinausgehen können. Auf diese Weise wird die frühzeitige Schließung von Lücken, aber vor allem die Erkennung von Talenten begünstigt. Da in agilen Organisationen die Rolle des Linienmanagers in der ursprünglichen Form nicht mehr existiert, wird die Personalabteilung in Zukunft eine noch wichtigere Rolle in der Personalentwicklung und -beratung einnehmen. Der Trend, für Projekte und agile Teams nicht mehr nach Jobprofilen oder Lebensläufen, sondern nach einzelnen Skills zu suchen, zeichnet sich mehr und mehr ab. Ein datenbasiertes Management könnte diese Entwicklung noch zusätzlich mit Hilfe von künstlicher Intelligenz und entsprechenden Algorithmen unterstützen. So könnte zum Beispiel die Häufigkeit der Zusammenarbeit oder die Vernetzung unter den Mitarbeitern zukünftig als Suchkriterium berücksichtigt werden. Auf diese Weise wird der Weg geebnet für die zuverlässige Zusammensetzung sogenannter High-Performing Teams.
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