Interview mit Birgit Langebartels, rheingold institut (Teil 2) "Solche Leute laufen am Ende Gefahr, in den Burnout reinzulaufen"

In seinem "HomeOffice Report" beschreibt das Kölner rheingold institut vier Prototypen von Mitarbeitenden, die völlig unterschiedlich mit der Arbeit von zu Hause umgehen. Im zweiten Teil ihres Interviews mit CONSULTING.de stellt Psychologin Birgit Langebartels deren Denkweisen und Bedürfnisse vor und gibt Tipps, wie Führungskräfte mit ihnen umgehen sollten.

Manche Menschen kommen schlecht mit der permanenten Arbeit aus dem Homeoffice klar. Für sie kann eine tageweise Präsenzpflicht im Office eine Erleichterung sein, meint die Psychologin Birgit Langebartels. (Bild: picture alliance / Zoonar | svyatoslav lipinskiy)

Frau Langebartels, im ersten Teil unseres Interviews zu Ihrem "HomeOffice Report" haben wir unter anderem über die Probleme vieler Menschen gesprochen, bei der Arbeit in den eigenen vier Wänden Privates und Berufliches unter einen Hut zu bekommen. Zudem haben Sie erläutert, was es mit dem Begriff "Long Homid" auf sich hat. Heute soll es um die vier Mitarbeiter-Prototypen gehen, die Sie in Bezug auf ihren Umgang mit dem Homeoffice unterscheiden: Den Privatier", den Durchlässigen", den Homeoffizier" und den Außendienstler". Lassen Sie uns doch mit dem Privatier" anfangen…

Birgit Langebartels: Gerne. Zuvor ist es allerdings noch einmal wichtig zu betonen, dass diese Umgangsformen nicht komplett an Personen gebunden sind. Ich kann beispielsweise als Einzelperson in die Pandemie als „Privatier“ gestartet sein und später in einen anderen Typus wechseln. Als „Privatiers" beschreiben wir diejenigen Mitarbeitenden, die absolut davon überzeugt sind, alles unter einen Hut bekommen zu können, also der Familie und der Arbeit gleichermaßen intensiv gerecht werden zu können. Bei diesem Typus verschwimmen die beruflichen und privaten Anforderungen an die Person. Diese Personen haben am Ende des Tages Schwierigkeiten damit, überhaupt effizient zu arbeiten, weil sie keine Grenzen ziehen können.

Worauf kommt es bei der Führung dieses Typus an?

Birgit Langebartels: Dieser Typ braucht eine besondere Art der Anbindung und der Kontrolle. Hier muss seitens der Führungskraft ein intensiverer Austausch gepflegt und gleichzeitig auch Wertschätzung für die geleistete Arbeit zum Ausdruck gebracht werden. Manchmal müssen diese „Privatiers" auch wieder ins Office gerettet werden. Mitunter sind sie dann auch erleichtert, wenn die Vorgabe lautet: Dienstag und Donnerstag ist Präsenzpflicht. Dann kann das sogar eine Entlastung sein.

„Privatiers" sind also die Typen, bei denen das Private eher das Berufliche ins Hintertreffen geraten lässt. Sicher gibt es auch das Phänomen, dass es andersherum läuft…

Birgit Langebartels: Richtig, nämlich beim Typus, den wir „Außendienstler" nennen. Diese Menschen haben auf andere Arten Schwierigkeiten damit Grenzen zu ziehen. Für sie ist eigentlich das ganze Leben nur noch Arbeit. Sie arbeiten bis spät in die Nacht, haben das Gefühl, immer „on“ sein zu müssen und überhaupt nicht ins Private gehen zu dürfen. Dies wird von vielen Führungskräften entweder missverstanden oder auch manchmal ausgenutzt. Hier wird vorrangig die scheinbar besondere Motivation der Person wahrgenommen.

Diese Motivation entsteht allerdings aus dem Angstgefühl, nicht gesehen zu werden, nicht wertgeschätzt zu werden und dass die Arbeit überhaupt nicht wahrgenommen wird.

Wie agieren Führungskräfte am besten, wenn sie bemerken, es mit diesem Typus zu tun haben?

Birgit Langebartels: Hier ist es ebenfalls wichtig, Grenzen zu setzen. Aber nicht zum Privaten, sondern zur Arbeit. Als Führungskraft sollte man also nicht nur zu sagen: Es ist okay, wenn du auch mal Ende mit deiner Arbeit machst oder Pausen einlegst. Sondern: Es ist erwünscht, dass du das tust! Entsprechendes Verhalten sollte dann auch als Führungskraft vorgelebt werden.

Denn: Solche Leute laufen am Ende Gefahr, in den Burnout reinzulaufen.

Die regelmäßige Wertschätzung der Arbeit – allgemein schon ein wichtiges Thema - ist in diesem Fall noch einmal von besonderer Bedeutung.

Die „Durchlässigen“ und die „Homeoffiziere“ wiederum haben Sie als Typen ausgemacht, die mit dem Homeoffice eigentlich ganz gut klarkommen. Was macht sie jeweils aus?

Birgit Langebartels: Die „Durchlässigen" bekommen Privates und Berufliches ganz gut unter einen Hut, indem sie einen sehr beweglichen, fast spielerischen Umgang mit der Situation pflegen. Sie leben eine unglaubliche Freiheit und Selbstbestimmtheit, indem sie beispielsweise sagen: So, ich arbeite jetzt mal von acht bis elf, mache dann aber mal drei bis vier Stunden Pause und arbeite noch bis spät abends. Sie geraten dabei nicht so schnell in eine Überforderung hinein, weil sie beiden Sphären ausgewogen Rechnung tragen. Das sind die Kollegen, bei denen auch einmal ein Kind durchs Bild läuft, die die Tür zur Familie mal offen haben, diese aber auch schließen können, wenn sie Ruhe brauchen. Sie pflegen einfach einen sehr selbstbestimmten und selbstwirksamen Umgang mit ihrem Zeitmanagement.

Wie führt man diesen Typus? Wenn er denn überhaupt geführt werden will…

Birgit Langebartels: Ein Problem mit den „Durchlässigen" aus Unternehmenssicht: Diese Personen wollen gar nicht zurück ins Unternehmen. Sie erleben eine verordnete Rückkehr ins Office als ein unheimlich enges Korsett. Dieser Typus will sich diese Freiheit nicht nehmen lassen. Dies kann am Ende zu einer Abkopplung vom Unternehmen führen. Gerade deshalb ist es wichtig, auch "Durchlässige" hin und wieder ins Unternehmen zu locken. Aber es muss Sinn machen. Das ist beispielsweise nicht der Fall, wenn sie in Ruhe kreativ etwas schreiben müssen. Anders ist es etwa bei kreativen Meetings, an denen sie Spaß haben können und sich an entsprechende Festlegungen dann auch gerne halten. Hier muss man wirklich achtgeben, sie nicht zu drängen.

Sonst droht die Gefahr, dass sie kündigen und sich einen Job suchen, in dem sie die gewünschten Freiheiten wieder erhalten.

Es gibt auch den Mitarbeitendentypus, der sich im Homeoffice pudelwohl fühlt und keine Probleme hat, Berufliches und Privates unter einen Hut zu bekommen. Von einer Rückkehr ins Büro sind diese Menschen schwer zu überzeugen. (Bild: picture alliance / dpa-tmn | Christin Klose)

Und die „Homeoffiziere" führen was für ein Regiment im Homeoffice?

Birgit Langebartels: Die „Homeoffiziere" kriegen paradoxerweise beide Sphären zusammen, indem sie strikt trennen. Dieser Typus sitzt morgens um acht Uhr in seinem Arbeitszimmer und arbeitet bis 12.30 Uhr, geht dann ins Esszimmer, wo – überspitzt formuliert – seine Ehefrau das Essen zubereitet hat, nennt das Esszimmer noch Kantine, ist mit seiner Frau eine dreiviertel Stunde zu Mittag, und geht danach wieder in sein Arbeitszimmer. Wo keiner reindarf, wo keiner stören darf. An diesem Typus macht sich bemerkbar, dass viele wieder in alte Rollenmuster verfallen sind. Dass die Frau das Essen macht, auch die Tür öffnet, wenn der Paketdienst kommt. Auch, wenn wir natürlich ebenfalls Frauen als "Homeoffiziere" beobachten.

Was braucht dieser Typus vom Unternehmen beziehungsweise der Führungskraft?

Birgit Langebartels: Vor allem kreativen Input, den man beispielsweise im Office bekommt, wenn man mit Kollegen an der Kaffeemaschine steht oder gemeinsam in die Kantine geht. Dies ist deshalb wichtig, weil "Homeoffiziere" sonst dazu neigen in ihrem strikten Abarbeiten von Aufgaben zu versanden. Ein positives Beispiel habe ich allerdings im Kopf, wo jemand ein Stück weit zum "Homeoffizier" mutiert ist: Ein Mann, der zunächst der Typus Privatier war, dann aber erkannt hat, dass er die Gemengelage nicht richtig gelöst bekommt und überfordert ist. Der hat sich ein kleines Gartenhäuschen eingerichtet, ist dann morgens diese drei Schritte ins Gartenhäuschen „gependelt“ und hatte es allein dadurch schon viel einfacher, in die richtige Arbeitsverfassung zu kommen.

HomeOffice Report von rheingold Institut: Ergebnisse in Zahlen

+ 69 Prozent der Beschäftigten fehlt der Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen
+ 56 Prozent sagen, dass sich die Arbeit im Homeoffice verdichtet hat (Bsp. Taktung von Meetings)
+ 45 Prozent fühlen sich im Homeoffice austauschbarer
+ 44 Prozent empfinden eine gewachsene Distanz zum Unternehmen
+ Gut ein Drittel schätzt sich insgesamt eher unproduktiver ein

Diese vier Typen gilt es als Führungskraft zu erkennen und individuell auf sie einzugehen. Haben Sie aber auch allgemeine Tipps abgeleitet, die auf die gesamte Belegschaft angewendet werden können?

Birgit Langebartels: Zunächst einmal gilt es Sicherheit zu schaffen. Vor allem sollten Führungskräfte signalisieren: Es ist mir wichtig, wie es euch geht! Sicherheit schaffen auch festgelegte Meetings. Es braucht dabei eine Meeting-Kultur, in der es Raum gibt, auszusprechen, wenn es einem auch einmal nicht so gut geht. In der Raum dafür vorhanden ist, dass auch Führungskräfte signalisieren können, dass sie ihre Schwierigkeiten mit hybridem Arbeiten und Führen haben.

Ein transparenter Arbeitsplan ist ebenfalls ratsam: Wenn alle wissen, wer jetzt gerade an was arbeitet, schafft das noch einmal weiter Vertrauen.

Im Umgang mit einzelnen Mitarbeitenden müssen die Erwartungen geklärt werden. Was erwarten das Unternehmen und ich als Führungskraft von dir? Aber auch umgekehrt: Was erwartest du von mir? Eine besondere Herausforderung ist es persönliche Nähe auf Distanz zu schaffen: Das kann über einen Teams-Kanal erfolgen, bei etwas älteren Mitarbeitenden kann es aber auch sinnvoll sein, zum Telefonhörer zu greifen und anzurufen: Hör mal, wie geht es dir? Wie kommst du voran? Was hast du am Wochenende gemacht?

Oftmals ist es ein Problem, dass Mitarbeitende das Gefühl haben: Meine Arbeit wird nicht so richtig gesehen, mir fehlt die Wertschätzung.

Hierzu kann beispielsweise auch der sogenannte Proximity Bias beitragen. Dahinter verbirgt sich die Neigung, die Leistung der Menschen, die im Office in der Nähe der Führungskraft arbeiten und daher sichtbarer sind, höher einzuschätzen als diejenige der Mitarbeitenden, die konsequent aus dem Homeoffice arbeiten.

Wie bereiten sich Führungskräfte am besten auf ihre Führungsarbeit unter den Bedingungen des hybriden Arbeitens vor?

Birgit Langebartels: Insgesamt gilt: Muss man fit werden für die neue Zeit. Es wird nicht mehr, wie es früher war, sondern die Arbeitswelt wird hybrid bleiben. Hier sind wichtig: Das Mindset, das Skillset und das Toolset.

Zum Mindset: Man akzeptiert, dass sich das Arbeiten geändert hat und es nicht mehr wie früher werden wird. Man erklärt sich bereit, die positiven, aber auch die herausfordernden Seiten des hybriden Arbeitens zu sehen und zu bearbeiten: Ich will effektiv arbeiten, ich will aber auch die Freude an der Arbeit fördern, wenn ich als Führungskraft arbeite. Ich will meine Mitarbeitenden nicht verlieren.

Zum Skillset: Hier sollte man sich die Fragen beantworten: Was brauche ich noch, um gut führen zu können? Was muss ich mir persönlich noch aneignen? Wo kann ich Weiterbildungen machen? Wo kann ich mich selbst schlau machen als Führungskraft? Wo gibt es entsprechende Weiterbildung für meine Mitarbeitenden?

Zum Toolset: Man sollte immer wieder in die Rückkoplungsschleife gehen. Was haben wir gelernt? Was können wir besser machen? Was können wir verwerfen, weil es nicht zu uns passt? Welche Tools gibt es, welche sind sinnvoll für uns?

Um den für das Team oder einzelne Mitarbeitende passenden Modus zu finden, können Führungskräfte ruhig auch Experimente wagen. Man probiert eine Vereinbarung zwei Monate lang aus und spricht dann noch einmal darüber.

Letzte Frage: Wie handhaben Sie das Thema hybrides Arbeiten beim rheingold institut?

Birgit Langebartels: Wir sind da sehr beweglich, gehen viel auf die Mitarbeitenden ein und schauen, was für die Personen jeweils passt. Seit Sommer sollen wir, wenn möglich, die Hälfte der Zeit auch im Office arbeiten. Was wir gemerkt haben: Bestimmte Termine sind in Präsenz noch einmal wichtiger geworden - das wollen wir wieder als unsere Arbeitskultur etablieren. Wir werden zudem unser Bürogebäude noch einmal umgestalten, denn auch die Räumlichkeiten müssen auf die neuen Bedingungen des hybriden Arbeitens angepasst werden. Wenn ich zum Beispiel ein Dreierbüro habe und alle sind gleichzeitig in einem anderen Teams Meeting, dann funktioniert das nicht. Bei rheingold sind wir in einem sehr intensiven Austausch von Führungsebene und Mitarbeitenden. Was braucht ihr, um gut und effektiv arbeiten zu können? Aber auch: Was braucht das Unternehmen beziehungsweise die Führungsebene?

Das Interview führte CONSULTING.de-Redakteur Alexander Kolberg.

Zum ersten Teil des Interviews mit dem Titel "So sehr das Homeoffice auch gefeiert wird: Es droht die Gefahr einer Erosion"

Über Birgit Langebartels

Birgit Langebartels, Diplom-Psychologin, ist Account-Managerin und Leiterin Kids & Family Research beim Kölner Marktforschungsinstitut rheingold. Sie forscht auf den Gebieten Frauen, Gesellschaft/Kultur/Trends sowie Pharma/Gesundheit und ist seit 1999 bei rheingold tätig.

 

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