Teil 1 des Interviews mit Sascha Haghani, Roland Berger "Und das ist eben das entscheidende Thema der Restrukturierer: Sie müssen unter Unsicherheit entscheiden."

Wie ist Ihr Ausblick auf die nächsten Monate? Wie groß wird die Insolvenz-Welle, die auf uns zurollt?
Sascha Haghani: Ich selbst habe vier Krisenzyklen erlebt. Zunächst die Nachwendekrise 1993. Darauf folgte die New-Economy-Krise mit dem Tiefpunkt 2003, die Finanzkrise 2008/2009 und jetzt die Corona-Krise. Und alle Krisen sind unterschiedlich.
Diese hat eine besondere Dynamik. Im Endeffekt konnte man bei anderen Krisen die Uhr danach stellen, wann Sanierungs- oder Restrukturierungsfälle in welcher Branche aufschlugen. Das ist 2020 anders, weil wir eine Krise auf sehr viel breiterer Front und in wirklich globalem Ausmaß haben. Zudem wurden weltweit massive staatliche Unterstützungsleistungen initiiert.
Die Liquiditätshilfen sind sinnvoll und notwendig, um zunächst die Situation zu meistern. Diese sind zunächst pauschal getroffen worden, weil in der Kürze der Zeit nicht differenziert werden konnte, ob Unternehmen auch unter strukturellen Problemen leiden, die bereits 2019 vorhanden waren.
Also wir haben es jetzt mit sich überlagernden Effekten zu tun. Wenn ich mit Bankern und Kreditversicherern spreche, dann glauben alle, dass wir schon im Winter – vielleicht auch erst Anfang kommenden Jahres – mit einer größeren Welle rechnen müssen. Auch wenn durch die Aussicht auf einen wirkungsvollen Impfstoff vielleicht noch im laufenden Jahr jetzt zumindest ein Silberstreifen am Horizont erkennbar wird.
Spannend ist ja auch, dass KfW-Mittel, die bereits gewährt worden sind, zum Teil gar nicht abgerufen werden, weil die Bereitstellungskosten zu hoch sind.
Fazit: Ich gehe davon aus, dass wir ein langsames, aber stetiges Aufbauen der Restrukturierungsszenarios erleben werden. Das gilt nicht für alle Branchen gleichermaßen. Bestimmte Themen werden wir aber die nächsten zwei Jahre in einem dauerhaften Restrukturierungsmodus sehen.
Fängt es jetzt mit Touristik und Luftfahrt an? Die Branchen, deren Geschäftsmodell zuerst und unmittelbar von Corona betroffen sind, oder eher die Unternehmen, denen es ohnehin nicht gut ging und Corona zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt kam? Was ist Ihre Meinung?
Sascha Haghani: Zunächst ist es offensichtlich, dass der ganze Tourismusbereich – mit leeren Fliegern oder Hotels – nachhaltig leiden wird. Die Hoffnung, dass es sich ohne flächendeckende Impfungen irgendwie wieder normalisiert, wird sich nicht erfüllen. Im Gegenteil, man wird wahrscheinlich damit leben müssen, dass geplante Urlaube – auch das Skilaufen – mehr oder weniger komplett ausfallen.
Die ganze Branche steht vor einer starken Konsolidierung und wird sich an das "new normal" gewöhnen müssen. Es wird Jahre dauern, bis man das Niveau von 2019 wieder erreicht. Aber das ist ja nur ein Segment. Wie sie zurecht gesagt haben, hatten wir 2019 bereits eine Reihe von Branchen, die mit Gewitterwolken zu kämpfen hatten.
Sie meinen Automotive, oder?
Sascha Haghani: Automotive ist ohnehin ein Dauerthema, weil die Industrie mit der Digitalisierung und der E-Mobilität vor großen Transformationen steht. Auch viele andere Branchen leiden, weil sie auf Jahre hinaus einen Wachstumseinbruch befürchten müssen. Ich spreche nicht davon, dass man einmal strukturell 20 Prozent aus dem System rausnimmt. Wenn sie im Grunde eine Stagnation, eine L-Kurve haben, keine V- oder keine U-Kurve, dann haben sie bei stark skalierenden Geschäftsmodellen ein Problem. Viele Unternehmen benötigen mindestens 2-3 Prozent Wachstum, um ihre eigene Kostenstruktur dauerhaft abdecken zu können.
Zur Problemgruppe gehören auch der Werkzeugbau oder der klassische Maschinenbau. Weiterhin das stationäre Geschäft des Handels inklusive des Gewerbe-Immobilienmarkts.
Wir sehen, dass wir zunehmend Anfragen für Restrukturierungskonzepte von großen Immobilien-Portfolios erhalten.
Zu rechnen ist nicht nur mit Mietausfällen, auch der Bedarf wird sich künftig anders darstellen. Wir werden Büroflächen in dieser Größenordnung nicht mehr benötigen.
Ist es eher ein Abwicklungs- oder ein Sanierungsfall, den Sie vor sich haben? Wie entscheiden Sie das?
Sascha Haghani: Bestimmte Wertschöpfungsketten in der Form, wie das in der internationalen Arbeitsteilung bislang lief, werden sich so nicht mehr nach vorne hin linear fortschreiben lassen.
Restrukturierungen von Unternehmen wurden in den vergangenen Jahren in einem Umfeld durchgeführt, in dem der Markt noch grundsätzlich in Ordnung war. Jetzt haben wir das Problem, dass der Markt in Unordnung geraten ist. Sie müssen zunächst strategisch überlegen, welche weiteren Veränderungen und Verwerfungen im Markt vorhersagbar sind und welche Dynamik vorliegt.
Diese Veränderungen sollten Sie Szenarien-artig durchlaufen. Im Prinzip wie auf einer Autobahn. Sie suchen sich eine Spur aus, um zu verstehen, auf welcher Spur das Unternehmen strukturell noch am besten fahren kann. Es stellt sich die Frage, wie das Unternehmen ausgestattet sein muss, wie der Bestand an Ressourcen aussieht oder wie viel Kraft das Unternehmen für eine Transformation hat.
Zunächst macht man einen Check: Dabei schaut man, ob das Geschäftsmodell tragfähig ist und Substanz hat. Sowohl von den Ressourcen her als auch in der Marke und den Human Resources. Zum Beispiel fragt man sich, mit welcher Produktqualität man unterwegs ist, wie das Management besetzt ist oder wie die Wertschöpfungsketten aufgebaut sind.
Es gibt auch noch eine Zwischenvariante: Wann stabilisiert man?
Es gibt eine Reihe von Instrumenten, die dazu dienen, die Situation der Unternehmen zu konservieren, bis der Markt-Outlook wieder positiver ist. Bis zum Beispiel ein Impfstoff oder Therapien verfügbar sind. Oder sich die Welt insgesamt wieder beruhigt hat und diese permanenten Lockdown-Szenarien nicht mehr so in die Geschäftsmodelle hineinspielen.
Wir haben bereits jetzt eine Reihe Anfragen von Unternehmen, bei denen wir der Meinung sind, dass es keinen Sinn macht, diese zu sanieren. Bei denen würde es mehr Sinn machen, ein ESUG-Verfahren anzustreben, bei dem man den Rechtsträger erhält. Mit ESUG kann man strukturelle Lasten, z.B. Pensionsverpflichtungen, Mietverträge oder bestimmte Tarifverträge, so an die Realitäten anpassen, dass sich mit dem Kern durchaus noch Geld verdienen lässt.
Mich würde ihre Sicht auf die wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Bundesregierung interessieren. Sind die Maßnahmen viel Geld reinzupumpen und die Insolvenzantragspflicht auszusetzen die richtigen Maßnahmen gewesen? Und, wie kommt man da wieder raus? Wie ist der Übergang?
Sascha Haghani: Ich glaube, es war alternativlos. Ich bin schon der Meinung, dass man in einer sozialen Marktwirtschaft schnell an eine Systemüberforderung gelangen kann. Gott sei Dank hat sich die Bundesrepublik Deutschland über die Jahre genug Spielräume erarbeitet. Und hier muss man dann konstatieren, dass gut und richtig gehandelt wurde. Mit den Liquiditätshilfen hat man den Unternehmen schnell unter die Arme gegriffen.
Die Frage, die sich jetzt stellt, ist, ob Geschäftsmodelle durch Covid in Schwierigkeiten gezogen worden sind oder ob sie zuvor schon Schwierigkeiten hatten. Es gibt da einen riesigen Graubereich. Ich glaube, es gibt viele Unternehmen, die durchaus antragspflichtig wären. Diese Fragen werden dann aber die Gerichte oder die Verwalter beantworten müssen. Tatsache ist, dass die teilweise Aussetzung der Insolvenzantragspflicht das Siechtum einiger Unternehmen nochmal verlängert hat.
Es wird auf Dauer nicht funktionieren, dass ein marktwirtschaftliches System in die reine Umverteilung geht.
Es sind die jetzt verteilten Liquiditätshilfen, die am Ende des Tages die Verschuldung nach oben treiben und die Gefahr von Zombie-Unternehmen wachsen lassen. Irgendwann müssen die Darlehen auch wieder zurückgezahlt werden.
Wenn sie sich erinnern: In den neuen Bundesländern hat man irgendwann den Unternehmen die Schulden einfach erlassen, weil sie nie in der Lage gewesen wären, diese Gelder zurückzuzahlen. Ich behaupte, es gibt auch heute eine Reihe von Unternehmen, die sich in derselben Lage befinden. Und da muss man sich überlegen, wie man das sozialisiert. Es geht gegen jeglichen marktwirtschaftlichen Grundgedanken.
Kann man sich als Unternehmen auf so eine Krise vorbereiten?
Sascha Haghani: Es ist schon möglich, sich auf eine Krise vorzubereiten. Was derzeit ein Faktor ist: Wir hatten ja zehn Jahre lang Rückenwind. Wir haben eine ganze Manager-Generation, die eigentlich nur Wachstum kannte.
Führungskräfte werden am Ende den Unterschied machen, ob es ein Unternehmen schafft, durch die Krise zu kommen oder nicht. Führungskräfte, die vorwärtsgerichtet denken und auch die harten strukturellen Maßnahmen angehen, die restrukturierungsaffin sind, werden sich entsprechend durchsetzen.
Natürlich haben Unternehmen gelernt, in Szenarien zu denken und auch zunehmend verstanden, dass es eine Reihe von globalen Risiken gibt. Ich glaube, das Entscheidende ist, ein Management zu haben, dass diese Puzzlestücke so zusammensetzen kann, dass man in der Lage ist, strategische Entscheidungen zu treffen.
Und das ist eben das entscheidende Thema der Restrukturierer: Sie müssen unter Unsicherheit entscheiden.
In der Bank gibt es einen Chief Risk Officer, der sich mit einem Bewusstsein für und Verständnis um das Risiko im Unternehmen bewegt. Aus meiner Sicht sollten die meisten Unternehmen einen CRO haben, weil sie nicht nur extern am Markt mit vielen Risiken konfrontiert werden, sondern auch intern -man denke nur an die Vielzahl an Compliance-Themen. Es gibt viele Herausforderungen, die es zu meistern gilt. Da braucht es unbedingt auf der Geschäftsführungsebene eine Evidenzstelle, die solche Themen antizipiert und mit dem Management kritisch diskutiert.
Der zweite Teil des Interviews findet sich hier.

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