Unternehmensberatung in der Versicherungswirtschaft Wandel oder weg

Versicherer stehen mit der Digitalisierung vor der größten Transformation seit Jahrzehnten. Unternehmensberatungen wollen daran verdienen. Doch unter dem Einfluss der Versicherer muss die Branche feststellen, dass sie selbst vor einem gigantischen Wandel steht. Kann sie ihn meistern – oder wird sie bedeutungslos?


Für CONSULTING.de berichtet Nils Wischmeyer

Der Direktversicherer verkauft die Versicherung zum Auto dazu, Amazon bietet die Handyversicherungen direkt zum Smartphone an und bis alles abgeschlossen ist, dauert es nur wenige Klicks. In Großbritannien und den USA verkaufen die IT-Giganten schon heute Policen. Bis sie die auch in Deutschland anbieten, ist es nur eine Frage der Zeit. Was für viele Kunden bequem ist, ist für die Versicherer der schwerwiegendste Angriff auf ihr Geschäftsmodell seit Jahrzehnten.

Laut einer Studie von McKinsey steht wegen der Digitalisierung in der Versicherungsbranche jeder vierte Arbeitsplatz auf dem Spiel. Oliver Bäte, Chef der Allianz, sagt auch deshalb, dass es zu seinen größten Aufgaben gehört, den Giganten unter den Versicherern ins digitale Zeitalter zu führen.

Nur über das wie, da sind sich die Branchenvertreter noch uneinig. Denn zur Transformation der Geschäftsmodelle und der Produkte kommen auch die Umbauarbeiten innerhalb der Unternehmen. Allein die Digitalisierung der Vertreterstrukturen ist eine nahezu unüberschaubare Mammutaufgabe: Tausende Versicherungsmakler müssten in die neuen digitalen Strukturen integriert werden. Thomas Worbs, Partner beim Consultingunternehmen Basycon, erklärt: "Die Vertreter haben Angst, durch die Digitalisierung ihr Geschäftsmodell zu verlieren – und die Versicherer haben Angst durch Digitalisierung ihre Vertreter und damit wesentliche Vertriebskanäle zu verlieren." Die Branche scheint gelähmt.

Unternehmensberatungen sehen deshalb ein hochrelevantes Geschäftsfeld. Über Jahrzehnte hinweg waren sie es, die heikle Transformationen auch gegen Widerstände forcierten – mit entsprechendem Gewinn. Wenn es nach ihnen geht, soll das auch jetzt wieder der Fall sein.

Fachexpertise gesucht

Doch so einfach ist das nicht mehr. Das Zusammenspiel zwischen Versicherern und Unternehmensberatungen hat sich stark gewandelt, der Einfluss der Consulting-Unternehmen schwindet zunehmend. Kaum jemand kann das besser beurteilen als Christoph Treichler. Der Gründer der Metaberatung Cardea sitzt an der Schnittstelle, vermittelt Unternehmen an Berater und vice versa. Den Wandel der Branche beobachtet der ehemalige PWC-Mitarbeiter aus nächster Nähe.

Die wichtigste Beobachtung, die der 51-Jährige gemacht hat: Die Anforderungen der Kunden haben sich verändert. Statt ganze Projekte einzukaufen, investieren Versicherungen gezielt in einzelne Teilbereiche.

Was also früher in einem Gesamtpaket als "POM" verkauft wurde, wird heute nur noch in Einzelteilen bestellt, beobachtet auch Sven Schumacher von der h&z Unternehmensberatung: "Der Versicherer sucht Fachexpertise und kauft sich vor allem Umsetzungs- und Praxiserfahrung zu."

Informationen werden transparent

Gesamt-Lösungen sind heute nicht mehr per se gefragt. Viele Manager in den Versicherungen suchen nach einem ebenbürtigen "Sparringspartner", wie Treichler sagt. Statt die Lösung nur auf dem Silbertablett präsentiert zu bekommen, wollen die Versicherer den Prozess auf Augenhöhe begleiten, sehen, wie Informationen ausgewertet werden – und den Prozess von da an selbst steuern. Informationen, die man früher exklusiv und quasi unter Verschluss aufbereitet hat, werden dadurch transparent. 

Worbs von Basycon erzählt: "In Dax-30-Unternehmen gehen wir manchmal nur mit zwei bis sechs Leuten." Das reiche vollkommen aus. "Wichtig ist nicht das Endergebnis, sondern das Anleiten", sagt er.

Beobachtungen, die auch Sven Schumacher von der h&z Unternehmensberatung gemacht hat. "Früher sind wir mit großen Mannschaften gekommen", sagt er. "Das hat deutlich abgenommen." Stattdessen fordere der Kunde statt dem Junior-Berater oft nur die erfahrenen Berater an.

Und auch das Anforderungsprofil dieser Berater verändert sich zusehends. Bei Basycon gehört Programmieren mittlerweile zu den Grundvoraussetzungen. Neue Mitarbeiter müssen zwei Jahre programmiert haben, bevor sie in Betracht gezogen werden. Vor der Einstellung steht ein Programmiertest an. Dass IT-Wissen immer wichtiger wird, ist auch in Anbetracht der neuen Konkurrenz der Versicherer – von Google bis Amazon – ein offenes Geheimnis.

Versicherer kaufen Berater ein

Doch mit dem Abfluss der Daten wächst das Verlangen der Versicherer, selbst tätig zu werden: Sie beginnen eigene Digitalstrategien zu entwerfen. Die großen Konzerne wie etwa die Allianz haben bereits kleine Labore, sogenannte "Digital Labs" gegründet - nicht zuletzt auch aus Kostengründen. Schumacher von der h&z Unternehmensberatung schätzt, dass die Budgets der großen Häuser um ein Drittel zurückgegangen sind.

Externe Impulse wollen die Versicherer zukünftig von innen geben, statt sie teuer einkaufen zu müssen. Das führt dazu, dass Berater und damit das Know-How ins In-House-Consulting eingekauft werden. Sven Schumacher sagt hierzu: "Wir haben einige ehemalige Beraterkollegen, die uns jetzt auf der Kundenseite in den Versicherungen gegenübersitzen." Ungewöhnlich sei der Trend aber nicht, so der Consulter. "Das Know-How im Haus zu haben rechnet sich für die Unternehmen." Er erwartet sogar, dass der Trend noch zunehme.

Zu den neuen Maßnahmen befragt, blocken die Unternehmen ab. Die Allianz teilt lediglich mit, dass sie über ihr Verhältnis zu Beratern "nicht sprechen möchte". Auch zur Digitalisierung wolle man ungern etwas sagen.

Dabei scheint klar, worauf die Veränderungen abzielen. Transparenz, der Einkauf von Beratern und von Know-How, so erklärt Treichler von Cardea, laufe langfristig auf eine einzige Konsequenz hinaus: "Der Wissensvorsprung der Berater nimmt ab."

Die Beratungen müssen experimentieren

Damit muss sich die Branche der Unternehmensberatungen nun auseinandersetzen. Denn sollten die Versicherer bald ihre eigene Beraterelite beschäftigen, sollten sie das Know-How auf ihrer Seite haben – und wenn in Konsequenz eigene Lösungen im In-House-Consulting entwickelt werden, was bleibt dann noch den Unternehmensberatungen?

Bedeutungslos will man nicht werden und beginnt zu experimentieren. McKinsey beispielsweise hat mit "McKinsey Solution" ein eigenes Lab auf die Beine gestellt und Roland Berger arbeitet seit neuestem mit Start-ups zusammen, um besser auf die speziellen Kundenwünsche eingehen zu können.

Gleichzeitig treten neue Spieler in den Markt ein. Treichler sieht hier vor allen Dingen Platz für die sogenannten "Boutiquen": hochspezialisierte Beratungen mit einem kleinen Team. Sie könnten die Erwartungen der Versicherungen in manchen Bereichen besser erfüllen als die großen Platzhirsche, so Treichler.

Der neue Sparringspartner

Eine Ideallösung scheint aber noch niemand gefunden zu haben. Schlimm sei das nicht, so Worbs. Noch immer könnten Beratungen mit guten Verkaufsargumenten punkten, erklärt er. "Zum einen haben wir bereits unterschiedlichste Ansätze innerhalb einer Branche in der Praxis gesehen und zum anderen können wir Vorschläge auf rein sachlicher Ebene unterbreiten", sagt der 54-Jährige. Treichler ergänzt: "Beratungen sind nach wie vor die wichtigsten Impulsgeber". Der Vermittler schätzt: "Unternehmensberatungen sind heute genau so wichtig wie noch vor einigen Jahren – nur ihre Rolle hat sich verändert."

Transparenz, Spezialwissen, IT-Kenntnisse: Am Ende des Wandels könnten sich die Unternehmensberatungen neu erfinden und zum wichtigsten Sparringspartner der Versicherer werden. Die Mammutaufgabe "Digitalisierung", sie könnte eine erste Probe für das neue Sparring-Gespann sein. Denn schaffen die Unternehmensberatungen den bereits gestarteten Wandel, winken neue Geschäftsfelder und Millionenerlöse für beide Seiten. Schaffen sie den Wandel nicht, winkt die Bedeutungslosigkeit – Wandel oder weg.

 

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