Kolumne von Prof. Dr. Dirk Lippold Warum sind Hochschulabsolventen eigentlich keine Kunden für Personalberater?

Hochschulabsolventen werden laut Prof. Lippold derzeit noch nicht ausreichend von Personalberatern angesprochen (Bild: picture alliance / Ulrich Baumgarten | Ulrich Baumgarten).
Personalberater suchen Führungskräfte und Spezialisten im Auftrag personalsuchender Unternehmen. Doch wer führt eigentlich für die vielen Hochschulabsolventen mit Bachelor- oder Masterabschluss eine fundierte Berufseinstiegsberatung durch? Die Bundesagentur?
Oder wären nicht doch die Personalberater mit ihrem Instrumentarium (Eignungsdiagnostik etc.) und ihren spezifischen Marktkenntnissen die geeigneteren Marktteilnehmer?
Also: Warum kümmern sich unsere Personalberatungen eigentlich nicht um die vielen zigtausend frischgebackenen Bachelor und Master, die Jahr für Jahr – Bologna sei’s gedankt (oder geschuldet?) – unsere Hochschulen verlassen und dann auf einen Arbeitsmarkt treffen, dessen Anforderungen sie häufig nicht richtig einschätzen können?
Unzufriedenheit und Kündigungsbereitschaft steigen
Denn wenn sie schließlich einen Job gefunden haben, stellt sich leider viel zu häufig heraus, dass der Job weder Eignung noch Neigung entsprach. Die vielen tausend MBA-Studierenden, die berufsbegleitend, also nach Feierabend ihre Freizeit opfern, um sich „employable“ (beschäftigungsfähig) für eine neue Bewerbung zu machen, sind ein Beleg für die unzähligen unzufriedenen akademischen Berufsanfänger. Noch deutlicher wird die Studie von McKinsey „Great Attrition“, nach der fast ein Drittel aller Angestellten in den nächsten drei bis sechs Monaten kündigen will. Kein Wunder, denn viele Hochschulabsolventen müssen heutzutage Sachbearbeiteraufgaben übernehmen, für die früher ein ausgebildeter Industriekaufmann mit mittlerer Reife zuständig war.
Laut der McKinsey-Studie sind es 34 Prozent aller Befragten, denen es an Perspektiven für die berufliche Entwicklung und Beförderung mangelt.
Also nochmals: Warum unterstützen Deutschlands Personalberater zwar Unternehmen bei der Suche nach Fach- und Führungskräften und warum nicht auch Hochschulabsolventen bei der Suche nach Einstiegsjobs mit Perspektive? Wohlgemerkt, es geht hierbei nicht (nur?) um die High-Potentials, die sich ohnehin ihre Jobs auf dem absurden Bewerbermarkt aussuchen können. Nein, es geht um den durchschnittlich begabten Bachelor oder Master, der sehr lange warten muss, bis er zum ersten Bewerbungsgespräch eingeladen wird und dann mangels Alternativen nehmen muss, was gerade daherkommt. Es geht nicht darum, dass die Personalberater nun total umschwenken. Nein, Executive Search beziehungsweise Personalsuche in allen Ehren, aber Personalberater sind eben auch „Berater“, und wer benötigt (Einstiegs-)Beratung mehr als unsere Hochschulabsolventen?
Die untenstehende Abbildung zeigt sehr deutlich, bei welchen Zielgruppen die Personalberater ihre Schwerpunkte setzen. So verdienen 95 Prozent der von den Personalberatern platzierten Kandidaten mehr als 75.000 Euro. Hochschulabsolventen kommen also so gut wie gar nicht für eine Platzierung bei den personalsuchenden Unternehmen in Betracht.

Verteilung des Zieleinkommens der von den Personalberatungen platzierten Kandidaten in Euro 2021 (Bild: BDU)
Zwei Gründe lassen sich ausmachen, warum die Zielgruppe der Hochschulabsolventen bei den Personalberatern offensichtlich kein Gehör findet:
- Erstens geht es der Personalberatungsbranche aufgrund der sehr guten konjunkturellen Lage derzeit auffallend gut, so dass überhaupt kein Leidensdruck besteht, über neue Geschäftsmodelle nachzudenken. Immer mehr Unternehmen greifen bei der schwierigen Suche nach Personal auf die Unterstützung von Personalberatungen zurück. Mit Hilfe der Headhunter konnten im vergangenen Jahr 16 Prozent mehr Stellen besetzt werden. Parallel dazu ist der Branchenumsatz auf ein neues Allzeithoch von 2,7 Milliarden Euro geklettert. Das entspricht einem prozentualen Plus von 17 Prozent. Das zeigt die BDU-Branchenstudie ‚Personalberatung in Deutschland 2022‘.
- Zweitens sind die bestehenden Auftraggeber der Personalberater, also die Unternehmen, naturgemäß wesentlich solventer als frischgebackene Bachelor oder Master, die bislang von ihren Eltern unterstützt wurden oder ihr Studium durch Nebenjobs selbst finanziert haben.
Der erste Grund kann sich schneller ändern, als uns allen lieb ist. So geben 60 Prozent der Personalberater in der Studie an, momentan mit ihren Umsätzen über ihren Budgetplanungen zu liegen. Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine geht allerdings nur noch ein Drittel von einer nochmals günstiger werdenden Geschäftsentwicklung aus. Zum zweiten Grund ließe sich einwerfen, dass Größenvorteile von der Anzahl her gesehen (economies of scale) vielleicht doch auf der Seite der Hochschulabsolventen liegen.
Wie Personalberatung für Studienabgänger funktionieren kann
Es müssten ganz einfach nur Bezahl- beziehungsweise Honorarmodelle (vielleicht sogar mit Erfolgsbeteiligung!) gefunden werden. Mit solchen Modellen ließe sich das „Massengeschäft“ der Beratung und Vermittlung von Hochschulabsolventen höchst profitabel gestalten. Mit ein wenig Kreativität und Phantasie ließen sich hier Erfolgs- und Phasenmodelle (z.B. über mehrere Arbeitgeber hinweg) gestalten, die zu einer echten Win-win-Situation für Personalberater und Hochschulabsolventen gleichermaßen führt.
Wichtig ist, dass es sich bei diesem Geschäftsfeld um eine Personalvermittlung und um eine Personalberatung handelt.
Bausteine aus der Eignungsdiagnostik und dem Outplacement sind bei wirklich qualifizierten Personalberatern zu genüge vorhanden. Warum sollten solche Leistungsprofile nicht auch bei denjenigen eingesetzt werden, die es wirklich nötig haben und wo der Leidensdruck besonders hoch ist: bei unseren frischgebackenen Hochschulabsolventen? Und nicht zuletzt wäre damit auch ein volkswirtschaftlicher Nutzen verbunden, der angesichts einer zunehmenden Orientierungslosigkeit unserer Generation Z vielleicht gar nicht hoch genug bewertet werden kann.
Ein Paradigmenwechsel – aber einer, der sich lohnen könnte! Für den Einzelnen, für die Branche und für die Gesellschaft.
Quellen:
- Spiegel-Online, 20.12.2022: „McKinsey-Studie: Fast ein Drittel der Angestellten will kündigen“
- Bundesverband Deutscher Unternehmensberatungen (BDU): Studie: Personalberatung in Deutschland 2022
- Lippold, D.: Die Unternehmensberatung. Von der strategischen Konzeption zur praktischen Umsetzung, 4. Aufl., Berlin-Boston 2022 (ab Seite 122 mit weiteren Quellenangaben)
Über die Person
Prof. Dr. Dirk Lippold ist Dozent an verschiedenen Hochschulen. Seine Lehrtätigkeit umfasst die Gebiete Unternehmensführung, Marketing & Kommunikation, Personal & Organisation, Technologie- und Innovationsmanagement sowie Consulting & Change Management. Zuvor war er viele Jahre in der Software- und Beratungsbranche tätig – zuletzt als Geschäftsführer einer großen internationalen Unternehmensberatung. Auf seinem Blog www.dialog-lippold.de schreibt er über aktuelle betriebswirtschaftliche Themen.
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