Kolumne Was für ein Saftladen?
Von Dr. Anna Schneider
Das Streben nach Vollkommenheit nimmt in der schillernden Welt der Stars und Sternchen groteske Züge an. Während sich in Hollywood, und auch hierzulande, die Prominenz in immer größerer Perfektion versucht, so sind es doch oft die vermeintlich "Unperfekten", die unser Herz wirklich erwärmen. So feiert Adele seit Jahren große Erfolge, eine früher als "Ideal" inszenierte Britney Spears hingegen, ist allenfalls noch in Klatschblättchen vertreten, die heute ihr Scheitern zelebrieren.
Und was hat das jetzt mit Produkten, Marken, Dienstleistungen zu tun? Eine ganze Menge!
Super glamouröse Mascara mit Extension- und Schmetterlingseffekt?
Bei solchen Versprechungen von L'Oréal, Maybelline Jade und Co., kommen uns Damen doch die Tränen und auch die Herren rollen genervt mit den Augen, oder? Ein weiteres Beispiel: Denken Sie einmal an das einzig wahre Feierabendbier. Jenes, das erwarten lässt, dass ein Orchester spielt, sobald man auf dem Sofa sitzt und die Flasche öffnet. Kurz gesagt: Verbraucher werden mit hochglanzpolierten Produkt-Versprechungen bombardiert, die Genuss in Reinform und perfekte Lebenswelten in Aussicht stellen.
In der Realität sieht es dann aber eben oft ganz anders aus. Gerade dann, wenn Hersteller Perfektion suggerieren, reagieren Verbraucher ungläubig bis trotzig. Die Folge: Vor nahezu jeder bewussten Kaufentscheidung suchen Verbraucher gezielt nach echten Rezensionen, um die Schwächen und "Kratzer im Lack" aufzudecken. Vermeintlich vernünftige Entscheidungsgrundlagen, sind dank des Internet, ja auch schnell recherchiert. Da stellt sich doch die Frage, warum Werbetreibende immer noch an überzogenen Versprechungen festhalten. Obwohl sich auf Seiten der Verbraucher doch die Erwartungshaltung "über den Tisch gezogen zu werden" herausgebildet hat. Dieses generalisierte Misstrauen, befördert Überreaktionen in sozialen Netzwerken und kann selbst bei kleineren Anlässen schnell zum sogenannten Shitstorm führen. Die Folge sind erhebliche Reputationsschäden für die betroffenen Unternehmen. So war im Jahre 2011 die Deutsche Bahn betroffen, die eigentlich nur ein paar Tickets zum Sonderpreis lancieren wollte, die Plattform aber genutzt wurde, um dem Ärger über Verspätungen, Stuttgart 21 und defekte Technik, Luft zu machen. Ist es an der Zeit, dass die Deutsche Bahn ihre Marketingstrategie ändert? Möglicherweise.
Wissenschaftlich belegt: Negative Informationen vom Hersteller wirken positiv!
Ein Forscherteam der Universität Amsterdam konnte in einer Reihe von Studien nachweisen, dass das Vertrauen in Hersteller nicht sinkt, sondern im Gegenteil ansteigt, wenn sie auch negative Informationen zu ihren Produkten vermitteln. Mehr noch: Die Kauf- und Zahlungsbereitschaft ist höher. Aber eben nur dann, wenn es tatsächlich der Hersteller selbst ist, der "Schwachstellen" kommuniziert, nicht seine Kunden. Und übrigens auch nur in einem Umfeld, in dem andere, vergleichbare Hersteller, die (offensichtlichen) Schwächen ihrer Produkte nicht kommunizieren.
In Kürze: Hersteller die in der Lage sind, auch mal Schwächen zuzugeben, punkten beim Verbraucher. Einige Firmen haben das bereits erkannt und nutzen diese "Ehrlichkeits-Strategie". Sie selbst – und nicht etwa ihre desillusionierten Kunden in diversen Blogs und Netzwerken – benennen "Makel" ihrer Produkte. Und das wirkt! Glauben Sie nicht? Oh doch.
Smart scheitert im Gelände und punktet in der Stadt
Kennen Sie die Werbung von Smart, in der der Cityflitzer erst am Berg hängenbleibt und später im See versinkt? Dass dies "Offroad" mit einem Smart passiert, ist nicht besonders verwunderlich. Dass eine Marke in dieser Form mit einer "Schwäche" kokettiert, aber eben doch. Das ist sympathisch, oder?
Ein Amsterdamer Hostel treibt das Prinzip "Ehrlichkeit" vermutlich auf die Spitze: Seit zwei Jahrzehnten wirbt dieses sehr erfolgreich mit überaus abschreckenden Bildern. In der Kampagne "What you see is what you get… Just don’t look too closely." wird so ziemlich jedes gewöhnliche Nutzenversprechen NICHT gemacht. Die Betreiber spekulieren (erfolgreich) darauf, dass die Gäste nachher angeben, "so schlimm sei es gar nicht gewesen". Würden die Betreiber des Hostels jedoch versuchen – wie üblich in der Branche – auf etwa die zentrale Lage (Übersetzung: Laut!), romantische Zimmer (Übersetzung: Ein zu schmales Bett!) oder die Vollklimatisierung (Übersetzung: Fenster lassen sich nicht öffnen!) hinzuweisen, wären enttäuschte Rezensionen die Folge. So hingegen, fielen die Bewertungen durchweg positiver aus als die Werbung vermuten ließe und nicht zuletzt sagen die Betreiber selbst: "Man bekommt was man bezahlt". Ehrlichkeit kann ihnen also nicht abgesprochen werden.
So ein Saftladen? Erfrischend ehrlich!
Aber muss es direkt ein so extremes Vorgehen sein? Nein, da können Sie beruhigt sein. Auch kleinere "Geständnisse", gewürzt mit einer kleinen Prise Humor können große Wirkung haben.
So hat beispielsweise True Fruits die Strategie der Ehrlichleit, des sogenannten "Honesty-Marketings", für sich entdeckt. So gibt einer der Gründer offen zu, dass ihm selbst der eigene, pinke Smoothie überhaupt nicht schmeckt. Übrigens genau die Sorte, bei der auf dem Flaschenaufdruck darauf hingewiesen wird, dass leider keine Einhornkotze enthalten sei – aber dafür auch keine Zusatzstoffe, sondern viele gute Zutaten und Vitamine. Sie verstehen?
Ehrlichkeit überrascht, Ehrlichkeit steigert das Vertrauen, Ehrlichkeit macht sympathisch. Und Ehrlichkeit wirkt - ich muss nun 'nen Saft haben – und zwar den pinken!
Studie: Demmers, J., Erbé, A., van Strijp, J., & Wientjes, C. (2015). The value of transparent marketing communication: how proactive disclosure affects consumer behavior. In P. Williams and A. Morales (eds.), Advances in Consumer Psychology, 7. Washington, DC: Society for Consumer Psychology.
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