Blick in die Bilanz: CONSULTING.de-Kolumne von Bert Erlen Wie analysiert man einen Jahresabschluss?

Die Geschichten sind interessant! Die Geschichten hinter den Zahlen. Wie erfolgreich sind wir und warum? Was können wir von unseren Wettbewerbern lernen? Ist die Stimmung gut oder macht uns Corona gerade kaputt? Und wie ändern wir das? Unter diesen Blickwinkeln und mit diesem Anspruch nähern wir uns nun der Analyse eines Jahresabschlusses.

Umsatz, Größe, Wachstum

1. Frage: Wie hoch war der Umsatz des Unternehmens im vergangenen Jahr und um wieviel hat er sich im Verhältnis zum Vorjahr verändert?

Der Umsatz ist absolut zentral. Ohne viele Analysen beantwortet er direkt die Frage, ob ein Unternehmen groß der klein ist. Wie viele Menschen dort arbeiten, wie wie wichtig das Unternehmen für seine Stakeholder ist, welches Marktpotential von ihm ausgeht usw. Und er ist die Basis für Gewinn - je nachdem, wie sich die Kosten entwickeln.

Und am wichtigsten ist das Erste Grundgesetz der Betriebswirtschaft: Große Unternehmen können durch Automatisierung und Standardisierung wesentlich kosteneffizienter arbeiten als kleine Unternehmen. Also: Größe!

Profitabilität: Umsatzrendite

2. Frage: Wie hoch ist der prozentuale Anteil des operativen Ergebnisses EBIT (Earnings before interest and taxes, Gewinn vor Zinsen und Steuern) am Umsatz?

Das ist die EBIT-Marge. Wieviel Gewinn bleibt vom Umsatz nach Abzug der operativen Kosten (vor Zinsen und Steuern) übrig? Weniger als bei den Wettbewerbern, die ja auf dem gleichen Markt aktiv sind? Dann sollten wir vielleicht die Preise erhöhen oder unsere Kosten senken!

Denn darum geht´s: ob wir profitabel genug sind. Insofern ist die EBIT-Marge die wichtigste Kennzahl um zu beurteilen, ob ein Unternehmen "das meiste rausholen" kann.

Warum vor Zinsen und Steuern?

Darauf gibt es zwei Antworten: Erstens, weil Zinsen und Steuern nicht operativ sind. Die allermeisten Menschen im Unternehmen beschäftigen sich nicht mit Zinsen, mit Bankverhandlungen oder mit Gewinnausschüttungen. Das machen Fachleute, die meist mit "den Operativen" wenig zu tun haben. Das gleich gilt auch für die Steuern.

Und die zweite Antwort lautet: Weil der EBIT reichen muss, um die Kapitalgeber und das Finanzamt zufriedenzustellen. Denn wenn der operative EBIT diese Sollhöhe erreicht, verdienen wir "genug" Geld, ist unser Überleben gesichert.

CONSULTING.aktuell: der Newsletter der Consultingbranche

News +++ Jobs +++ Whitepaper +++ Webinare
Wir beliefern täglich mehr als 4.000 Abonnenten

Profitabilität und Vermögensrendite

3. Frage: Wie hoch ist das operative Ergebnis EBIT im Verhältnis zum Vermögen des Unternehmens?

Das Ziel der Unternehmensführung ist es, das Vermögen zu vergrößern. Und die Antwort auf  diese Frage - die Kennzahl ROI (Return on investment) oder Vermögensrendite - misst, um wieviel Prozent sich das Vermögen durch die unternehmerische Tätigkeit verändert hat. Ob das Unternehmen hier gut ist, hängt von den Renditeerwartungen der Kapitalgeber ab, den sogenannten Kapitalkosten.

ROI, ROCE, RONA etc.

Der ROI ist im Sprachgebrauch absolut verbreitet und in seiner Interpretation auch sonnenklar: erwirtschaten wir genug Rendite für unsere Kapitalgeber? Leider sieht aber die unternehmerische Komplexität komplizierter aus. Daher messen viele Unternehmen die Vermögensrendite mit abgewandelten Kennzahlen, die dann so ähnlich heißen. Zum Beispiel Return on Caital Emplyed oder Return on Net Assets.

Wichtigster Unterschied dabei ist die Nicht-Berücksichtigung der zinslosen Finanzierungsformen, insbesondere der Lieferantenkredite und der Kundenanzahlungen.

Vermögensstruktur

4. Frage: Mit welchen Vermögensgegenständen wurde der EBIT erwirtschaftet?

Ohne Vermögen kein Gewinn, überhaupt ist eine unternehmerische Tätigkeit ohne Vermögen natürlich nicht möglich. Hinter dieser Frage steckt daher die Überlegung, ob alle Vermögensgegenstände in ausreichendem Maße dazu beitragen, Gewinn zu erzielen. Oder ob es vielleicht Vermögen gibt, das eigentlich gar nicht gebraucht würde oder nötig wäre.

Der Vorteil von weniger Vermögen wird unmittelbar in der ROI-Formel aus Frage 3 deutlich: Ist der Nenner des Bruches kleiner, ist der ROI umso größer. Es geht also darum, ob wir den gleichen EBIT auch mit weniger Vermögen hätten erzielen können.

Working Capital Management

Diese Frage eröffnet zahlreiche Controllinggesichtspunkte, von denen das Working Capital Management der wichtigste ist. Das Working Capital Management umfasst die effiziente Lagerhaltung und ein effizientes Forderungsmanagement; zwei Themen, die in jedem Untenrehme eine große Rolle spielen. Und der Efekt ist klar: je weniger Working Capital, desto mehr ROI!

Finanzierungsstruktur

5. Frage: Wie ist das Unternehmen finanziert? Wie hoch ist der prozentuale Anteil des Eigenkapitals am Gesamtkapital?

Die Finanzquellen des Unternehmens stehen rechts in der Bilanz, und die wichtigste ist das Eigenkapital: Wieviel Geld haben die Eigentümer in das Unternehmen gegeben? Der Anteil am Gesamtkapital ist dann die Eigenkapitalquote, sie gibt einen Hinweis auf die finanzielle Solidität.

Eigenkapital ist ein unerlässlicher Verlustpuffer, was in der gegenwärtigen Krise vielen Unternehmen zum Verhängnis wird. Eine hohe Eigenkapitalquote schützt vor Insolvenz.

Zu hoch verschuldet?

6. Frage: Wie hoch ist das Verhältnis der Finanzverbindlichkeiten zum EBITDA?

Auch hier geht es darum, ob das Unternehmen solide finanziert ist, ob es seine Schulden begleichen kann. Diese sogenannte Tilgungsdauer vergleicht den Schuldenstand mit der operativen Ertragskraft. Der EBITDA spiegelt die Fähigkeit des Unternehmens wider, operative Cahflows zu erzielen. Die Tilgungsdauer zeigt also auf, wie lange das Untenrehmen theoretisch für die Rückzahlung seiner Finanzschulden brauchen würde.

Liquidität und Cashflow

7. Frage: Wie viel Bargeld generiert das Unternehmen aus dem laufenden Geschäft?

Das ist der operative Cashflow. Das Geld, das aus dem Verkauf der Produkte und Dienstleistungen abzüglich der laufenden unternehmerischen Auszahlungen in die Kasse geflossen ist. Der Cashflow unterscheidet sich vom Gewinn oder EBIT durch die Abschreibungen und duch die Tatsache, dass viel Kunden ihre Rechnungen an uns und wir unsere Rechnungen an unsere Lieferanten meist nicht direkt bezahlen. Der operative Cashflow ähnelt also dem Gewinn, ist aber nicht das gleiche.

Investieren oder Kpatialgeber auszahlen?

8. Frage: Kann das Unternehmen seine Investitionen aus dem laufenden Geschäft selbst finanzieren? (Übersteigt der operative Cashflow den Cashflow aus Investitionstätigkeit?)

Das ist der Free Cashflow und er weist darauf hin, ob ein Unternehmen "alleine läuft" oder wie sehr es (noch) auf externe Geldgeber angewiesen ist. Externe Geldgeber sind Eigenkapital- und Kreditgeber, die man zum Aufbau eines Geschäfts braucht. Aber hoffentlich irgendwann eine ordentliche Rendite an sie zurückzahlen kann. Denn schließlich wollen die Kapitalgeber eine "reiche Ernte" einfahren.

CONSULTING.aktuell: der Newsletter der Consultingbranche

News +++ Jobs +++ Whitepaper +++ Webinare
Wir beliefern täglich mehr als 4.000 Abonnenten

Unternehmen haben eigentlich das ganz klare Interesse, niemals ihr Kapital wieder zurückzuzahlen. Denn ohne Kapital kein Vermögen und ohne Vermögen kein Umsatz und ohne Umsatz keine Arbeitsplätze. Trotzdem erwarten die Kapitalgeber zumindest Renditezahlungen. Diesen Interessenkonflikt auszutarieren ist daher strategisch absolut entscheidend.

Das Unternehmen durchleuchten

Diese acht Fragen weisen Ihnen also den Weg um festzustellen, wie es dem Unternehmen geht. Probieren Sie es aus: Analysieren Sie einen Jahresabschluss und finden Sie Antworten. Beginnen Sie, Ihre Erkenntnisse zu interpretieren, seien Sie offen für weitere Assoziationen zu dem Unternehmen, analysieren Sie Wettbewerber, Kunden oder Lieferanten. Das ist brennend interessant, ob als Mitarbeiter, als Berater, vielleicht als Kunde oder als Lieferant, oder aus anderen Gründen.

Jede (Kenn-)Zahl erzählt eine Geschichte!

 Zur Person

Bert Erlen
Bert Erlen begleitet Unternehmen in Veränderungsprozessen. Er begeistert Führungskräfte für unternehmerisches Denken und Handeln, erleichtert die Kommunikation zwischen Controllern und dem operativen Management und stärkt die Finanzielle Führung in Organisationen. Gerade in betriebswirtschaftlichen Schwächephasen kann er mit Wissen und Klarheit eine neue Vision vermitteln. Er ist zertifizierter Unternehmercoach, langjähriger Managementtrainer für Finanzielle Führung, Blogger und veröffentlicht einen Business Podcast.

/cb

 

Diskutieren Sie mit!     

Noch keine Kommentare zu diesem Artikel. Machen Sie gerne den Anfang!

Um unsere Kommentarfunktion nutzen zu können müssen Sie sich anmelden.

Anmelden

Weitere Highlights auf CONSULTING.de

Editors Choice

alle anzeigen