Fragen an Gerd Sievers "Wie groß eine potenzielle Restrukturierungswelle sein wird, ist nur schwer abschätzbar"

Roland Berger gab diese Jahr zum zwanzigsten Mal ihre Restrukturierungsstudie heraus. Die zentralen Ergebnisse sind, dass 75 Prozent der Experten eine Zunahme der Restrukturierungsfälle erwarten und dass ESG und Nachhaltigkeit neben Innovationen und Umbau beim Geschäftsmodell erstmals mit zu den wichtigsten Restrukturierungsmaßnahmen zählen. Wie hoch diese vorausgesagten Restrukturierungen wirklich sein werden und weitere Fragen hat Gerd Sievers, Partner bei Roland Berger, im Interview beantwortet.

75 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass die Zahl der Restrukturierungsfälle in den zwölf Monaten zunehmen wird. Die Zahl macht aber keine Aussage darüber, wie stark die Zunahme sein wird. Wie schätzen Sie das ein? Rollt jetzt endlich die große Restrukturierungswelle auf die Beratungsbranche zu?

Gerd Sievers: Wie groß eine potenzielle Restrukturierungswelle sein wird ist nur schwer abschätzbar. Gleichwohl sprechen mehrere Umfeldfaktoren dafür, dass einige Regionen und Branchen betroffen sein werden. Die als mögliche Krisenauslöser genannten Rohstoffpreise und Inflation als auch eine potenzielle Wachstumsschwäche in China werden sich auf jeden Fall eher global auswirken.

Auf Top4 der Restrukturierungsgründe landen erstmals die ESG-Kriterien (Environmental, Social und Governance). Sind die Sanierungs- und Restrukturierungsberater auf diese Themen schon entsprechend vorbereitet?

Gerd Sievers: Das Thema ESG hat in letzter Zeit deutlich in der Beratungsbranche an Fahrt aufgenommen. Aktuell werden unterschiedliche Konzepte und Ansätze dafür entwickelt und diese finden erste Anwendung bei Kunden. Wir gehen davon aus, dass künftig auch in Sanierungskonzepten das Thema ESG und die Auswirkungen auf das Unternehmen vom Sanierungsberater mit zu beurteilen sein werden. Dafür wird sich erfahrungsgemäß ein Standard entwickeln.

Auf Platz 2 der Restrukturierungsmaßnahmen, die künftig an Bedeutung gewinnen, liegen Investitionen in ESG und Nachhaltigkeit. Wie ernst nehmen Sie dieses Ergebnis? Wie stark ist der Veränderungswille in Bezug auf Nachhaltigkeit bereits bei den Unternehmen vorhanden?

Gerd Sievers: Der Druck auf die Unternehmen, sich dieses Themas verstärkt anzunehmen wächst nach unserer Beobachtung deutlich. Dies unter anderem auch vor dem Hintergrund des Lieferkettengesetzes. Auch in Branchen, die sich mit ESG-Themen bereits seit längerem befassen, wurden sie in letzter Zeit noch einmal stärker priorisiert. Gleichwohl müssen in vielen Fällen noch entsprechende Konzepte entwickelt werden, die häufig mit Beratern zusammen erarbeitet werden.

Sie schreiben in Ihrem Fazit, dass ein überzeugendes ESG-Konzept zunehmend Finanzierungsentscheidungen beeinflusst. Das dies zunimmt, überrascht nicht. Wie groß ist die Wichtigkeit von ESG bereits? Ein nicht-profitables Unternehmen kann sich doch ESG-Investitionen gar nicht leisten, oder?

Gerd Sievers: Das Ergebnis ist aus unserer Sicht wie folgt zu verstehen. Da Finanzierer künftig zunehmend nur noch Unternehmen finanzieren werden, die ESG-konform wirtschaften, werden auch in Sanierungsfällen der Status und die zukünftig notwendigen Investitionen vom Sanierungsberater zu beurteilen sein. Voraussichtlich werden sich dadurch in vielen Fällen auch die Kosten der Restrukturierung erhöhen. Es sind nicht nur die klassischen Sanierungsmaßnahmen zu finanzieren, sondern auch noch der Umbau in Richtung ESG-Konformität. Die entscheidende Frage wird sein, ob die Finanzierer dazu bereit sind beides, den Umbau und die Neuausrichtung, zu finanzieren. Es ist durchaus davon auszugehen, dass einigen Unternehmen damit nicht mehr die Chance gegeben wird, die Herausforderungen zu meistern, wenn die Beträge zu groß werden. Abschließend ist aber auch die Frage zu stellen, ob und in welcher Form der Staat bei dem anstehenden Umbau eine Rolle einnehmen kann bzw. sollte.

Gibt es aus Ihrer Sicht bereits ein gemeinsames Verständnis von Nachhaltigkeit in Deutschland? Meinen Politiker, Bürger, Unternehmen und Berater das gleiche, wenn Sie den Begriff nennen?

Gerd Sievers: Die Frage, ob alle Stakeholder das Gleiche meinen, wenn sie von Nachhaltigkeit sprechen kann ich nicht beurteilen.

Zu Beginn der Pandemie wurde viel über Krisenfrüherkennungssysteme gesprochen. Immerhin 14 Prozent der Befragten sehen dieses Thema verstärkt in den Fokus der Geschäftsführung rücken. Wie viel Bewegung nehmen Sie bei den Unternehmen in Bezug auf Krisenprävention tatsächlich wahr?

Gerd Sievers: Das Thema Krisenfrüherkennung wird in der Sanierungsbranche schon lange diskutiert. Alle bisherigen Initiativen haben dabei kaum zu Veränderungen beigetragen. Auch die aktuelle Änderung über die StaRUG-Gesetzgebung hat bisher kaum Früchte in der Diskussion mit Unternehmen und deren Geschäftsführung getragen. Insbesondere Wirtschaftsprüfer als auch Berater haben als Multiplikatoren dieses Thema in der letzten Zeit stark forciert. Es zeigt sich jedoch, dass eine Veränderung durch die Finanzierer flankiert werden muss. Ob das im aktuellen Finanzierungsumfeld bei niedrigen Zinsen durchsetzbar ist, erscheint fraglich. Dazu müssten zunächst entsprechende Anforderungen einheitlich durch alle Kreditinstitute mit entsprechenden Auflagen im Kreditvertrag Eingang finden.

Über Gerd Sievers

Gerd Sievers Roland Berger 2021 (Bild: Roland Berger)
Gerd Sievers ist Partner und Co-Leiter der Plattform Restructuring, Performance, Transformation & Transaction von Roland Berger. Er berät Unternehmen aller Branchen bei Restrukturierungs-, Performanceverbesserungs-, M&A- und Finanzierungsprojekten. Sievers ist seit 1998 bei Roland Berger tätig. Er hat an der Universität Köln und der Universität Rostock studiert und in Betriebswirtschaftslehre promoviert.

 

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