Dennis Buecker, LeanOne Wie zeitabhängige Meilensteinkonzepte für Klarheit bei Entscheidungen in Turnaround Situationen sorgen

Die Covid-19 Wirtschaftskrise kommt zu einer Zeit, in der wir in vielen Bereichen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens vor fundamentalen Umwälzungen stehen. Die herkömmliche Businessplanung ist für Manager (insbesondere im Restrukturierungskontext) kaum mehr dafür geeignet, Unternehmen und deren Stakeholder durch dieses anspruchsvolle Umfeld zu führen.
In der Praxis zeigt sich, dass zeitabhängige Meilensteinkonzepte in diesem Kontext ein zeitgemäßeres Führungs- und Steuerungsinstrument darstellen als die traditionelle Unternehmensplanung mit starren, deterministischen Annahmen.
Was die Covid-19 Wirtschaftskrise von anderen Krisen unterscheidet
Die Covid-19-Pandemie ist die zweite große Wirtschaftskrise des 21. Jahrhunderts, unterscheidet sich aber in vielerlei Hinsicht von früheren Krisen. Sie bringt nicht nur einfach einen Nachfragerückgang mit sich - die Krise fällt auch in eine Zeit, in der Unternehmen sich an neue technologische und geopolitische Rahmenbedingungen ebenso anzupassen haben wie an neue Konsumpräferenzen der Verbraucher. Anstehende Mega-Themen wie etwa Elektromobilität, Umweltschutz, E-Commerce oder die Auswirkungen von nationalem Isolationismus auf weltweite Lieferketten bringen nicht nur einfach Unsicherheit. Sie erfordern von Unternehmen Investitionsentscheidungen als "Wetten" auf eine Zukunft, die unsicherer ist als je zuvor.
In der Praxis bedeutet das für viele Industrieunternehmen, dass Wohl und Wehe binär vom Eintreten bestimmter Ereignisse abhängen: Entscheidet sich mein Kunde für den Großauftrag, der für Auslastung am Standort X sorgt? Kommt Euro-7 schon 2025 oder doch erst 2030? Wird sich Technologie A im Wettbewerb durchsetzen oder B das System der Zukunft sein? Werden wir 2021 noch Vorprodukte aus China in unserem Werk in den USA beziehen dürfen?
Ob und wann die Ereignisse oder "Umweltzustände" eintreten ist zentral für manageriale Entscheidungsfindung: Ist es besser, sich auf den sich erhofften Großauftrag für Standort X zu verlassen - oder schon heute das Werk zu schließen (ohne den Großauftrag) um Verluste zu minimieren?
Grenzen herkömmlicher Unternehmensplanung
Jedes Unternehmen kennt die üblichen Unternehmensplanungsprozesse als Hochrechnung, Budget- oder Dreijahresplanung. Jährlich grüßt das Murmeltier: Auf Basis historischer Kennzahlen wird mit deterministischen, linearen Annahmen die Zukunft geplant und im Controlling Abweichungen analysiert. Natürlich bleibt dieser Ansatz auch 2021 relevant und wird immer eine Daseinsberechtigung haben. Aber was tun, wenn die Zukunft binär vom Eintreten wenig beeinflussbarer Ereignisse abhängt? Mit Erwartungswerten und Eintrittswahrscheinlichkeiten kommt man hier nicht weiter.
Im Restrukturierungskontext dienen Planungsprozesse Managern auch dazu, einen unternehmenspolitischen Konsens unter den wichtigsten Stakeholdern wie Mitarbeitern, Eigentümern und Finanzierern herbeizuführen. Hier zeigen sich im Kontext von Covid-19 und der anstehenden Umwälzungen die Grenzen traditioneller Business Planung mit starren Annahmen: Materialisiert sich der Großauftrag (oder andere wesentliche Umweltzustände) entgegen der Planannahmen doch nicht, wird eine Werksschließung notwendig - und führt so die gesamte Planung ad absurdum. Wie kann man als Manager glaubwürdig bleiben und Vertrauen schaffen, wenn die wichtigsten Prämissen binär und unsicher sind?
Lösungsansatz aus der jüngeren Praxis: Planung mit "zeitabhängigen Meilensteinen"
In der Praxis hat sich dieses Jahr gezeigt, dass dieses bislang unbekannte Maß an Unsicherheit zu endlosen "wenn-dann-so-oder-sonst-vielleicht-auch-anders" Diskussionen führt. Schnell kommt es zu wenig konstruktiven Auseinandersetzungen zwischen den Organen, wie die Gesellschaft in Abhängigkeit der anstehenden Umwälzungen auszurichten sei - und ob man denn z.B. nicht bis zur Realisierung eines Umweltzustands noch länger warten könne. So ziehen sich wichtige Entscheidungen länger und länger hin.
Zu diesem Zweck hat sich die Planung mit zeitabhängigen Meilensteinen als sehr sinnvoll erwiesen. Wir führen einen strukturierten Diskurs über mögliche unterschiedliche Realisierungen von Umweltzuständen bis zu bestimmten Zeitpunkten - und welche Maßnahmen in deren Abhängigkeit einzuleiten sind. Das proaktive Befassen mit solchen "Eventualitäten" und deren Konsequenz macht es dem Management leichter, berechenbar und glaubwürdig zu kommunizieren bzw. zu führen.
Ich möchte den Ansatz gerne anhand eines Beispiels in fünf einfachen Schritten erläutern.
Lassen Sie uns in einem fiktiven Beispiel annehmen: Ein Industrieunternehmen bemüht sich um einen Großauftrag, der die Zukunft eines Werkes mit Unterauslastung sichert.
Schritt 1: Kritische Umweltzustände identifizieren & quantifizieren

In einem ersten Schritt gilt es zu identifizieren, ob und welche kritischen Ereignisse bzw. Umweltzustände dem Unternehmen bevorstehen - und wie sich jeweils Umsatz, erforderliche Investitionen, Kosten und Liquidität darstellen.
Es ist nicht nur zu quantifizieren, wie viel Umsatz der Auftrag beitragen würde; sondern auch, wie sich Ergebnis und Liquidität entwickeln, wenn der Auftrag ausbleibt. In unserer Praxis rückten bei dieser Übung Management und operative Bereiche viel enger zusammen: Während Managern klar wurde, welchen Realitäten sich z.B. der Vertrieb täglich im Markt gegenüber sah - so erkannte der Head of Sales, welche Tragweite bestimmte Vertriebserfolge für das Unternehmen in Gänze hatten.
Schritt 2: Maßnahmen ableiten und Entscheidungsbaum entwerfen
In der Krise sind kritische Umweltzustände, wie der Gewinn eines Großauftrags, nicht im luftleeren Raum zu bewerten. In Schritt 2 gilt es, die Konsequenzen in Form der erforderlichen Maßnahmen abzuleiten.

In unserem simplen Beispiel zieht das Ausbleiben des Auftrags die Schließung eines Werks nach sich - die Maßnahme hat eigene wirtschaftliche Auswirkungen, die zu quantifizieren sind.
In der Realität sind hier der Komplexität keine Grenzen gesetzt, aber die Erfahrung legt nahe, den "Entscheidungsbaum" möglichst einfach zu halten - um die Diskussionen im Kreis der Stakeholder zielgerichtet führen zu können.
Schritt 3: Definition von zeitabhängigen Meilensteinen und Bewertung
Im Erfolgsfall sind keine unliebsamen Entscheidungen zu treffen. Es kann verführerisch sein, einfach auf eine positive Entwicklung zu warten. Die wesentlichste Frage ist hier, bis wann sich eine Eventualität realisiert haben muss, bevor Alternativen anzugehen sind. Die Frage ist schließlich, wie lange es sich das Unternehmen leisten kann, abzuwarten.

In unserem Beispiel zieht das Warten auf die Entscheidung des Kunden um weitere 3 Monate operative Verluste von 100 nach sich - was das Ergebnis im Erfolgsfall auf 0 sinken lässt.
Schritt 4: Identifikation des Worst Case Szenarios
Dem Worst Case Szenario kommt im Restrukturierungskontext eine besondere Bedeutung zu: Es zeigt den maximalen Finanzierungsbedarf des Unternehmens und lässt Rückschlüsse darauf zu, welche Handlungsspielräume der bestehende Finanzierungsrahmen zulässt.
Schritt 5: Diskussion und Bewertung der wahrscheinlichsten Szenarien
Schwarz auf weiß zeigt der Entscheidungsbaum nun den unternehmerischen und finanziellen Handlungsspielraum des Unternehmens. Längliche "was-wäre-wenn" Diskussionen im Kreis der Stakeholder können nun pointierter geführt werden - im unternehmenspolitischen Prozess wird es einfacher zum Konsens zu finden.
Fazit
In vielen Gesprächen mit Vorständen und Geschäftsführern seit Beginn des ersten Lockdowns habe ich erlebt, wie unglaublich schwer die Führung durch diese neue Unsicherheit ist - strategisch, aber auch kommunikativ und emotional.
In der Krise ist meiner Erfahrung nach kaum etwas so wichtig wie ein klarer Weg nach vorn und glaubwürdige Kommunikation durch das Management - die Arbeit mit zeitabhängigen Meilensteinkonzepten kann Managern dies wieder ermöglichen, und sicherer durch die Krise führen.
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