Frauen im IT-Consulting "Wir müssen mit typischen IT-Klischees aufräumen"

Woran liegt es, dass der Frauenanteil in der IT-Wirtschaft nur bei 16% liegt?
Dirk Pothen: Das hat strukturelle und gesellschaftliche Gründe. Es geht los mit alten Rollenbildern, in die sich viele Frauen unbewusst einfügen und die ihren Ursprung in Schulzeiten haben. Wenn Mädchen in mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern schlecht sind, wird es immer noch als „angeboren“ akzeptiert. Frühförderung an Schulen fehlt größtenteils, so dass man nur schwer gegensteuern kann. Später spielt dann der klassische Punkt „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ eine große Rolle, warum so wenige Frauen eine Karriere in der IT-Branche verfolgen: Solange die Angebote an flexiblen Arbeitsplatzmodellen sowie einer umfassenden Kinderbetreuung fehlen, werden Frauen, die immer noch den Löwenanteil der Mehrfachbelastung tragen, weiterhin vor einer großen Herausforderung stehen. Zu guter Letzt haben wir auch heute noch männlich geprägte Macht- und Managementstrukturen – die inoffiziellen Spielregeln und Beförderungsmechanismen schließen Frauen oftmals aus. Diese meist unbewusste Voreingenommenheit aufzubrechen, wird nicht einfach.
Die Berufswahl erfolgt lange vor der Entscheidung, ob man eine Familie gründen möchte oder nicht. Warum entscheiden sich so wenige junge Frauen für eine Karriere in der IT?
Dirk Pothen: Ich bin immer wieder erstaunt, wie sehr die jungen Menschen heute noch Gender-Klischees leben und sich für einen typischen Frauen- beziehungsweise Männer-Beruf entscheiden. Das hat – wie bereits erwähnt – viel mit klassischen Rollenbildern und fehlender Frühförderung zu tun. Gerade vor dem Hintergrund, dass Frauen beim schulischen Bildungsniveau Männer mittlerweile überholt haben, muss sich dringend etwas ändern. Die Politik versucht es über den MINT-Aktionsplan, in den die Bundesregierung bis 2022 rund 55 Millionen Euro investiert. Von Kita, Schule und außerschulischen Aktivitäten über die Berufsberatung, die Ausbildung oder das Studium bis hin zum Berufseinstieg und der Weiterbildung sollen Kinder, Jugendliche und Erwachsene für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik begeistert werden. Geht man allerdings an Schulen, fehlt es trotz verschiedenster Investitionsprogramme noch immer an Equipment und entsprechend ausgebildeten Lehrkräften.
Was müsste sich ändern, damit der Frauenanteil steigen würde? Wo sollte man ansetzen?
Dirk Pothen: Patentrezepte gibt es nicht. Es müssen Hebel an den verschiedensten Stellen umgelegt werden. Wirtschaft und Politik sollten schon in der Schule gezielt Mädchen ansprechen, um sie für IT zu begeistern. Damit Frauen später dann wirklich Karriere machen können, ist es wichtig, Job und Familie unter einen Hut zu bekommen. Unternehmen sollten sich dabei von Standardlösungen verabschieden und Antworten auf Fragen moderner Lebensrealitäten finden. Gerade die IT-Branche hat hier viel mehr Möglichkeiten als etwa Fertigungsunternehmen, wo Produktionsanlagen nicht einfach stillstehen können. Von einer gesetzlichen Frauenquote, wie sie gerade diskutiert wird, halte ich nur bedingt etwas. Ein paar weibliche Konzernvorstände mehr helfen der Mehrheit der Frauen nicht weiter, eine erfolgreiche Frauenförderung muss breiter ansetzen.
Was sollten Unternehmen ihrer Meinung nach tun, um die Situation zu verändern?
Dirk Pothen: Unternehmen dürfen nicht nur von Chancengerechtigkeit reden, sondern müssen diese mit den unterschiedlichsten Maßnahmen aktiv umsetzen. adesso beispielsweise geht an Schulen und in Universitäten, gestaltet den Informatikunterricht aktiv mit und wendet sich dabei speziell an Mädchen. Wir bieten aber auch Schnupper-Workshops für Mädchen und junge Frauen an, zum Beispiel beim Girl’s Day oder den IT4Kids-Workshops. Schulpatenschaften und Stipendien exklusiv für Frauen am zukünftigen Hochschul-Studiengang „adesso School of Coding and Software Engineering“ an der XU Exponential University in Potsdam mit begleitender Förderung im Rahmen von Werkstudentenverträgen sind weitere Bausteine. Darüber hinaus sollten Unternehmen Trainings zu genderspezifischen Verhaltens- und Denkmustern in der Karriereentwicklung über Förderungsprogramme bis hin zu einer besseren Vernetzung anbieten, die dazu führen, dass Frauen ihren Weg gehen können und gleichzeitig Vorbilder haben.
Wie ist Ihre Meinung zu Aktionen wie dem Girl’s Day?
Dirk Pothen: Der „Girls Day“ ist ein Baustein unter vielen anderen, den Politik und Wirtschaft gemeinsam umsetzen müssen, um Mädchen und Frauen ein neues Bild von der IT zu vermitteln: von einem spannenden, zukunftssicheren Job mit Karrierechancen. Die Förderung und Gleichstellung von Frauen innerhalb von Unternehmen muss dabei zur Chefsache werden, wenn sich etwas ändern soll.

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